Die CDs der Woche - Popkolumne:Alles nur Fake

Von dekonstruktiven Gebrauchsanweisungen für die Musik der Nine Inch Nails bis zum täuschend echten Blödsinn unter dem Namen Red Hot Chili Peppers - diese Songs sind nicht das, wofür sie sich ausgeben. Die Popkolumne - zum Lesen und Amüsieren.

Von Joachim Hentschel

Red Hot Chili Peppers

Wenn man über eine Musikgruppe schon sagen kann, sie klinge wie ihre eigene Parodie - dann heißt das im Umkehrschluss ja auch, dass man eine tatsächliche Parodie für eines ihrer ernsthaften Werke halten kann. Als Ende Januar, kurz vor dem Auftritt der Red Hot Chili Peppers in der Superbowl-Halbzeitpause, der neue Song "Abracadabralifornia" im Netz auftauchte, konnte man sich wirklich täuschen, im ersten Moment.

Red Hot Chili Peppers

Red Hot Chili Peppers

(Foto: Warner Music)

Der eingeschlafene Funk-Beat, der Blödsinnstext, der leicht falsche Gesang - all das war auch auf den letzten Chili-Peppers-Platten zu hören. Die Superbowl-Sache war allerdings kein Betrug, nur Spaß. Der Komiker Jon Daley hatte das Stück in Bierlaune aufgenommen und in Umlauf gebracht, als eine neue Veröffentlichung der Band nicht allzu unwahrscheinlich schien.

Dass genug Hörer auf den Quatsch hereinfielen ("Bing-a-bong-bong-Burbank!"), hat wohl mit Wunschdenken zu tun. Und damit, dass Fans ihren Idolen alles verzeihen.

Nine Inch Nails

Der nächste Fake, kurz nach dem Chili-Peppers-MP3, machte es den Opfern leichter. In "This Is A Trent Reznor Song" gibt Frederick Scott, ebenfalls Komiker, eine dekonstruktive Gebrauchsanweisung für die Musik, die Reznor mit seinem Projekt Nine Inch Nails macht.

Nine Inch Nails, Pressebilder

Nine Inch Nails

(Foto: Universal Music)

"Jetzt wird meine Stimme lauter, dann wieder leiser, gleich kommt der Refrain, aber vorher noch ein komisches Geräusch", singt der Parodist, mit der Stimme des Meisters, zum typischen Elektro-Krankenhaus-Rockplayback. Natürlich, das sagen ja alle: eine Hommage. Aber eben auch Selbsterregung, wie beim Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi.

Man hat das Geheimnis entschlüsselt, Macht erlangt, man ist in der Position, das zu verspotten, was man liebt. Das Internet ist voll von Fakes, aber zumindest die MP3s sind nicht dazu da, um böswillig zu täuschen oder Kulturterrorismus zu praktizieren. Banksy hat das mal gemacht, Paris-Hilton-CDs mit manipulierten Booklets heimlich in Londoner Plattenläden gestellt. Das war echte Kunst. Keine falsche.

Charles Charamba

Ganz anders der Fall, der kürzlich aus Simbabwe berichtet wurde. Da hatte der aufstrebende Gospelmusiker Trymore Bande eben seine CD "Zvakagara Zvakadaro" veröffentlicht - und musste feststellen, dass sie vom in Harare tätigen Produktpiraten-Kartell im großen Stil raubkopiert und auf dem Ein-Dollar-Markt verscheuert wurde.

Schlimmer: Um die windige Ware besser loszuwerden, hatten die Piraten statt Bandes Namen und Gesicht einfach den viel populäreren Sänger Pastor Charles Charamba auf die Cover gedruckt. Beiden war das nicht recht. Für Nachwuchsstar Bande verschlimmerte es den Umsatzeinbruch: Nicht einmal der Werbeeffekt nützte ihm etwas.

Dabei ist das freilich ein Fake-Prinzip, aus dem die westliche Musikindustrie eine grandiose Guerillataktik entwickeln könnte. Auf die CD der nächsten nichtsnutzigen Technobiene könnte man einfach Lady Gaga schreiben - wobei die letzte Lady-Gaga-Platte ja wirklich so klang, als sei genau das schon geschehen. Solche Fälschungen werden natürlich erst als allerletzte bemerkt.

Bruce Springsteen

Der schönste und zweifellos fortschrittlichste Fake-Fall der jüngsten Vergangenheit war die "Pofalla geht zur Bahn"-Meldung im Blog "Der Postillon". Ein echtes Gerücht, das die Satiriker dadurch unglaubwürdig machten, dass sie es auf ihre Seite stellten.

Bruce Springsteen

Bruce Springsteen

(Foto: sony Music)

Was Fälschungen betrifft, auch bei Popmusik, sind wir eben schon in der drei- oder vierfachen Verneinung angekommen, in der wir nicht mehr von anderen getäuscht werden können, nur noch von uns selbst. Theoretisch könnte Jon Daley gleich ein ganzes Chili-Peppers-Album aufnehmen, eine Tour simulieren, vielleicht würde der Unterschied kaum ins Gewicht fallen.

Wie bei dem "Dumb Starbucks" betitelten parodistischen Kaffeeladen in Los Angeles, an dem die Leute derzeit Schlange stehen. Das einzige Mittel gegen die sich beschleunigende Fälscher-Helix ist daher der völlig unraffinierte, platte Rollentausch. Wie bei Bruce Springsteen, der kürzlich beim Konzert in Perth "Highway To Hell" von AC/DC spielte. Das gibt es als Youtube-Video. Täuschend unecht. Und äußerst mächtig.

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