Die CDs der Woche - Popkolumne:Nach Hause zu Mutti

Auf ihrer neuen Platte schlüpft Martha Wainwright in die zweite Haut von gleichzeitig Yoko Ono und John Lennon und erzählt vom Glanz und Elend der Patchwork-Entwürfe eines kreativen Lebens. Auch mit der Elektro-Band "Die Türen" aus Berlin und einer bemerkenswerten Kombo aus München lohnt es sich zu beschäftigen. Die aktuelle Popkolumne zum Lesen und Hören.

Von Karl Bruckmaier

Martha Wainwrights schwuler Bruder lässt sein Kind von der Tochter Leonard Cohens austragen: ein Sinn fürs Dynastische war den Wainwrights, den McGarrigles nie abzusprechen.

Popkolumne

Martha Wainwright und ihr Album "Come Home to Mama". Das Ehepaar Wainwright (Marthas Mann spielt Bass) wird auf diesem Album assistiert vom Ehepaar Yuka Honda/Nels Cline, also von Mitgliedern der Bands Wilco und Cibo Matto, sowie von Sean Lennon.

(Foto: Cooperative Music)

Aus der Folk-Aristokratie der Siebzigerjahre erwuchs via weitverzweigter Kinderschar eine sich munter streitende, versöhnende, zusammenarbeitende und sich nun auch noch fortpflanzende Mischpoke, welche ganz selbstverständlich Maßstäbe setzt im Pop; Rufus Wainwright meldete sich 2012 mit einem stilsicheren Comeback als kommerziell erfolgreicher Solokünstler, doch zu einer meiner Platten des Jahres gekürt sei "Come Home to Mama" (V2/Universal) von Martha, wo nicht nur vom zu früh geborenen eigenen Kind gesungen wird, sondern auch vom Tod der Mutter, von der Auflösung des Haushalts der Verstorbenen, von tief greifenden Eheproblemen - wo man als Hörer quasi als Freund der Familie einbezogen wird in Glanz und Elend von den Patchwork-Entwürfen eines kreativen Lebens.

Das Ehepaar Wainwright (Marthas Mann spielt Bass) wird auf diesem Album assistiert vom Ehepaar Yuka Honda/Nels Cline, also von Mitgliedern der Bands Wilco und Cibo Matto, sowie einem anderen Kegelkind der Popgeschichte, Sean Lennon. So transzendiert "Come Home to Mama" im freundschaftlich-liebevollen Verbundensein das rein Private, wird zum Statement einer mitten im komplizierten Leben stehenden Generation jenseits der dreißig, die mit übermächtigen Elternfiguren ebenso umzugehen lernen musste wie mit Schicksalsschlägen, welche ihr selbst aufgegeben sind.

Martha Wainwright entledigt sich dieser Mut erfordernden Aufgabe bravourös, indem sie als Sängerin diesmal in die zweite Haut von gleichzeitig Yoko Ono wie John Lennon schlüpft: Wer dessen "Walls & Bridges" mag, wer auch Yoko Onos natürlicher Autotune-Stimme etwas abgewinnen kann, wird diese Platte lieben.

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Die Türen

Ist "Come Home to Mama" ein lebendiger Beweis für das Funktionieren von Freundschaften und Liebesbeziehungen, in welch abenteuerlichen Formen auch immer, so ist "Coverplatte" (Staatsakt) der in Berlin ihr Wesen treibenden Elektro-Band Die Türen ein gelungenes Experiment in Sachen kommunalen Handelns.

Die CDs der Woche - Popkolumne: Die Berliner Elektro-Band Die Türen hat das Album "Coverplatte" vorgelegt.

Die Berliner Elektro-Band Die Türen hat das Album "Coverplatte" vorgelegt.

Maurice Summen von Die Türen ist einer der großen Netzwerker im Lande, der mit scheinbar leichtester Hand ein stilsicheres Label, eben Staatsakt, führt und seine überdrehte Combo am Leben erhält. Als im Frühjahr "ABCDE..." erschien, ein neues Album der Türen, funktionierte nicht jeder Song; mancher Text wirkte bemüht, manche Melodie schon zu oft gehört. Dann, aus heiterstem Himmel: dieselbe Song-Ansammlung noch einmal, jedes Lied gecovert von befreundeten Bands wie Locas in Love oder Stereo Total. In der Vielfalt konnten die Lieder endlich den Charme, auch die Sprengkraft entwickeln, die der Band-Version irgendwie abgingen.

Und die Krönung von det Janze ist im Internet zu bewundern unter www.dietueren.de: Ein Betriebsausflug der Berliner Szene in eine Turnhalle zwecks lippensynchroner Nachstellung des Coveralbums, eine erhebende, urdemokratische Momentaufnahme dessen, was Pop am besten kann - Gemeinschaft stiften, um die individuelle Freiheit zu feiern.

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G. Rag Y Los Hermanos Patchekos

Die CDs der Woche - Popkolumne: G.Rag und ihr Album "Pain Perdu"

G.Rag und ihr Album "Pain Perdu"

Hermanos, das sind die Brüder. Patchekos, das wird wohl was mit Flicken sein. Und Rag ist ja auch ein Fetzen. Und Gut Feeling - das Label, auf dem die Flickenbrüder veröffentlichen - ist einerseits ein Song von Devo, andererseits kann man auch sagen, dass sich gut fühlt, wer in München, in Neuseeland, in den USA oder Schweiz ein Konzert dieser Bruderschaft besucht.

Zusammengestückelt wird im G.Rag-Universum seit mehr als einem Jahrzehnt, was nicht wirklich zusammengehört: Blasmusik, Theatralik, ältester Jazz, kratziger Folk, eine ans aufmüpfige grenzende Nonchalance: und so viel Liebe. Wenn unsere kleine Stadt über heimliche Stars verfügt, dann sind es G. Rag Y Los Hermanos Patchekos. Ihr aktuelles Album "Pain Perdu" (Gut Feeling) ist schon wieder ihr bisher bestes. Wo soll das noch enden? Mit dem Tod natürlich, laut ARD. Auf der Beerdigung spielen dann...

Fortlaufende Popkolumne der SZ.

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