Die Bildsprache der RAF:"Ein Bild, bei dem man weinen möchte"

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Zwischen Demütigung und der Erpressung von Mitleid: Wie die RAF den Terror mit Bildern entwickelte.

Charlotte Klonk

Wenige Bilder haben sich so im Gedächtnis festgesetzt wie die Aufnahmen von Hanns Martin Schleyer im "Volksgefängnis" der RAF. Noch dreißig Jahre später lösen die Bilder des entführten Arbeitgeberpräsidenten eine Betroffenheit aus, die so von keinem anderen aus der Zeit des RAF-Terrorismus ausgeht.

Selbst das berühmte Foto des toten Terroristen Holger Meins scheint heute ein archaisches Relikt vergangener Zeiten zu sein. Mit der Zurschaustellung ihres Opfers in den Bildern von Schleyer hingegen hat die RAF im Herbst 1977 eine Bildsprache entwickelt, die nichts an Aktualität verloren hat.

Ob man nun Soldaten in Afghanistan, Journalisten in Gaza-Stadt oder Zivilisten im Irak entführt, die Videobilder, die man an al-Dschasira schickt oder ins Internet stellt, gleichen sich in wesentlichen Punkten. Dazu gehört eine frontale, leicht aufsichtige und statische Kameraposition, eine schlechte Bildqualität und das unregelmäßige Einzoomen auf ein verunsichertes Opfer.

Dazu gehört auch, dass man die Entführten entweder öffentlich demütigt, wie im Extremfall in den Enthauptungsvideos - oder sie bewusst als Sympathieträger benutzt, die als Bittsteller in eigener Sache flehend vor die Kamera gesetzt werden. Im ersten Fall ist das Ziel die Einschüchterung von Feinden und Machtgewinn in den eigenen Kreisen; im zweiten ist es Mitleid für die Entführten in der Bevölkerung, deren Regierung erpresst werden soll. Die Zirkulation der Bilder wird zum ureigentlichen Mittel der Entführer.

Die RAF war nicht die erste terroristische Gruppierung, die Bilder von Entführungsopfern zu nutzen versucht hat. Südamerikanische Guerilleros hatten bereits Anfang der siebziger Jahre Erpresserfotografien ihrer Geiseln in Umlauf gebracht. Hier jedoch erschienen die Verschleppten häufig noch geradezu wie auf Schnappschüssen beim Verrichten alltäglicher Beschäftigungen.

Kurze Zeit später aber schon verschärften die Roten Brigaden in Italien die Bildsprache. Statt schlichten Lebensbeweisen wurden jetzt die Opfer demonstrativ erniedrigt. Die RAF griff dieses Vorgehen in der ersten Aufnahme von Hanns Martin Schleyer auf. Zwanzig Tage später aber änderte sich ihre Bildstrategie. Die Bilder des Opfers sollten nun - das war neu - Mitleid erregen, um Druck in der Bevölkerung zugunsten der Befreiung aufzubauen. Gleichzeitig entstanden die ersten Entführtenvideos in der Geschichte.

Gegenöffentlichkeit per Video

Zum ersten Mal stand damals ein Medium zur Verfügung, von dem sich politische Aktivisten seit Anfang der siebziger Jahre viel versprochen hatten: Mittels leicht handhabbarer Videoaufzeichnungs- und Wiedergabegeräte meinte man dem Einfluss der staatlichen Fernsehsender auf die öffentliche Meinung etwas entgegensetzen zu können.

Der Filmemacher Harun Farocki berichtet etwa, dass er seit Frühjahr 1968 in einem Haus in der Grunewaldstraße in Berlin-Schöneberg gelebt hat, wo zeitweise auch sein ehemaliger Mitstudent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, Holger Meins, ein und aus ging. Hier gab es neben der obligatorischen Kommune und dem Kinderladen auch eine Druckerei für Raubdrucke und eben ein Videostudio.

Man wollte die Möglichkeit haben, unabhängige Bänder zu produzieren - zur Schaffung einer Gegenöffentlichkeit. Die RAF-Terroristen besannen sich darauf, als das erste Polaroid-Foto von Hanns Martin Schleyer, das sie einen Tag nach der Entführung am 6. September 1977 an die Regierung geschickt hatten, nicht wie verlangt in der "Tagesschau" um 20 Uhr gezeigt wurde. Schleyer wurde nämlich daraufhin vor ein Halbzoll-Videoaufzeichnungsgerät gesetzt und das Produkt direkt an die in- und ausländische Presse gesendet.

Doch dieses erste Entführervideo in der Geschichte des modernen Terrorismus erreichte die Öffentlichkeit nicht. Der Pressesprecher der Regierung Schmidt verabredete eine Nachrichtensperre mit dem Presserat, der die deutschen Medien auch weitgehend nachkamen. Es sollte verhindert werden, dass die Terroristen ihre Ziele über das Anheizen der öffentlichen Meinung erreichten.

Die Nachrichtensperre traf die RAF empfindlich. Mit dem ersten Foto hatte man in der Tradition der Roten Brigaden bewusst ein Gegenbild zu Schleyers offizieller Persona verbreiten wollen: Ein vorher häufig publiziertes Porträt zeigte den Arbeitgeberpräsidenten im von Schmissen zernarbten Dreiviertelportrait.

Die RAF dagegen setzte ihn in Unterhemd und Trainingsjacke frontal vor der Kamera in Pose. Schleyer hält ein handgeschriebenes Gefangenenschild mit dem Datum in der Hand, hinter ihm ist der fünfzackige Stern der RAF mit Maschinenpistole und Schriftzug zu sehen.

Statt des zielstrebigen Blicks des offiziellen Porträts zeigten die Terroristen ein zutiefst verunsichertes, aufgedunsenes und schwitzendes Geschöpf. Wie schon der Genueser Richter Mario Sossi in Italien 1974 und der von der Bewegung 2. Juni entführte CDU-Politiker Peter Lorenz in Berlin 1975, so war auch Schleyer zu diesem Zeitpunkt für die Terroristen nicht mehr als eine Darstellung der Macht, die, sobald man sie ihrer Funktion beraubt, nur noch die banalste Kreatürlichkeit zum Vorschein bringt.

Mit dieser Erniedrigung Schleyers, der in der Öffentlichkeit wegen seiner Nazivergangenheit und unnachgiebigen Haltung in den Tarifverhandlungen nicht beliebt war, hoffte man auf Unterstützung für die eigene Sache. Diese, meinte man, müsse nicht nur aus Sympathisantenkreisen kommen, sondern auch von der unentschiedenen Linken und den streikenden Arbeitern, deren Aussperrung der Arbeitgeberpräsident noch wenige Monate vor seiner Entführung erwirkt hatte.

Diese Strategie ging aber im Herbst 1977 nicht auf. Zwar war es der RAF trotz der anfänglichen Schwierigkeiten schließlich doch gelungen, die nationale Nachrichtensperre mit Hilfe der internationalisierten Medienwelt aus den Angeln zu heben. Als aber das erste Foto an die Öffentlichkeit gelangte, da löste es statt Sympathie für die Sache der RAF eine Mitleidswelle für das Opfer aus.

Nachdem die französische Nachrichtenagentur AFP das Bild am 9. September publiziert hatte, folgten die Springer-Presse und am 12. September dann auch der Spiegel und andere Zeitungen. In der rechten wie linken Presse löste das Foto Entsetzen aus. "Ein Bild, bei dem man weinen möchte" war die Schlagzeile der Bild-Zeitung.

Unmögliche Nachrichtensperre

Die RAF reagierte mit einem Strategiewechsel in ihrer Bildpolitik. Im zweiten Polaroidfoto, das die Entführer am 26. September an die französische Libération schickten, trägt Schleyer wieder einen Anzug, wirkt gekämmt und gefasst. Auch eine fast unmerkliche sprachliche Veränderung auf dem von ihm gehaltenen Schild zeugt von einem Bedeutungswandel, der merkwürdigerweise damals wie heute übersehen wird: Statt des Datums steht nun in großen Buchstaben die Anzahl der Tage seiner Gefangenschaft darauf.

Mit dieser kleinen Veränderung aber verschiebt sich die Lesart von einer Demaskierung durch ein Beweisstück der Gefangenschaft hin zu einer Anklage der Verzögerungstaktik der Regierung. Ähnlich sah das dritte Polaroid aus, das die RAF an in- und ausländische Fernsehsender und Presseagenturen verschickte.

Auf dem letzten Foto vom 13.Oktober trägt Schleyer wieder nur ein Schild mit Datum, doch ist jeder explizite Hinweis auf die Gefangenschaft zugleich entfallen. Das Bild sollte, so zeigt der hinzugekommene Schriftzug an der Wand, deutlich machen, dass die an diesem Tag unter dem Palästinenserkommando Martyr Halimeh ins Werk gesetzte Entführung einer Lufthansa-Maschine und die Schleyer-Entführung als gemeinsame Aktion zu betrachten seien.

Einen ähnlichen Wandel zeigen auch die drei Videobänder, die die Terroristen verschickt haben, immer in der Hoffnung, dass es zur Ausstrahlung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen käme. Doch lediglich das letzte Videoband von Schleyer wurde kurz in der "Tagesschau" am 15. Oktober 1977 gezeigt, nachdem es bereits über die französische Rundfunkanstalt ORTF international bekannt geworden war.

Das Videobild unterscheidet sich in der Art der Inszenierung nicht wesentlich von den späten Polaroidfotografien des Entführten. Doch Schleyers eigene Stimme zu hören, wie sie den Staat anklagt, dem er zeitlebens gedient hat und der ihn nun für die Staatsräson geopfert zu haben scheint, ist erschütternd. Selbstverständlich hat die "Tagesschau" diesen Teil der Aufnahme nicht gebracht; sie ist erst später über unbekannte Wege an die Öffentlichkeit gelangt.

Die Terroristen waren sich der Medienwirksamkeit der Schleyer-Bilder bewusst. Nachdem klar war, dass die Regierung sich mit Schleyer nicht erpressen lassen würde, konnte es nicht mehr darum gehen, Sympathie für die eigene Aktion zu wecken. Nun versuchte man die Regierung durch eine öffentliche Mitleidswelle unter Druck zu setzen.

Im zähen, schließlich erfolglosen Tauziehen mit der Regierung hat die RAF vor dreißig Jahren eine Medienstrategie zwischen Demütigung und Mitleidserregung entwickelt, in deren Rahmen sich der heutige Terrorismus noch immer bewegt. Ob das Ziel Erniedrigung eines Verhassten oder Auslösung einer Sympathiewelle für das Opfer ist, heute ist es das Internet, das jene Zirkulation der Bilder möglich macht, durch die die Entführungen erst ihre breite Wirkung entwickeln.

Die Nachrichtensperre, die die Bundesregierung über die Verbreitung der Bilder im Herbst 1977 noch mehr oder weniger erfolgreich verhängen konnte, wirkt im Licht dieser Entwicklung unwirklich: Sie wäre heute noch nicht mal im Ansatz mehr durchzuhalten.

Die Autorin lehrt Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität in Berlin. Der vorstehende Text ist die gekürzte Fassung eines Vortrags, der kürzlich auf dem Kulturgeschichtetag an der Universität Linz gehalten wurde.

© SZ v. 18.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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