Dialekt im deutschen Film:Wir Hannoveraner

In anderen Ländern achtet man darauf, ob ein Dialekt vergeigt wurde - im deutschen Film und Fernsehen spricht man Hochdeutsch. Lieber nimmt man offenbar unlogische Szenen in Kauf. Warum?

Tobias Kniebe

Wenn es um die Kraft und den Reichtum geht, den deutsche Dialekte und Sprachfärbungen in Film und Fernsehen entfalten könnten, gibt es wohl keinen größeren Enthusiasten als den Veteranen Günter Rohrbach. "Im Dialekt kann man Figuren sehr viel kraftvoller, klarer, härter und spannender zeichnen, das ist überhaupt keine Frage" sagt der 82-Jährige, der einer ganzen Generation von deutschen Filmemachern als Fernsehspiel-Chef des WDR den Weg geebnet hat und dann bei der Bavaria selbst zum Großproduzenten wurde. "Wesentlich kraftvoller jedenfalls als in dieser Kanzleisprache, die wir Hochdeutsch nennen."

"Das Boot"

In "Das Boot" von Wolfgang Petersen waren zahlreiche Dialekte auf engstem Raum vertreten. Heutzutage würden wohl alle Männer hochdeutsch sprechen. Daran ist auch die Bequemlichkeit des Publikums schuld.

(Foto: dpa)

Dieser Enthusiasmus wird sofort spürbar, wenn man in die Dialoge von Das Boot hineinhört - wohl immer noch Rohrbachs größter Erfolg. In der Besatzung des U-Boots U-96 ist auf engsten Raum ein Kaleidoskop deutscher Typen und Dialekte versammelt. Da schwäbelt und berlinert es, da hallen Ruhrpott-Klänge durch den Maschinenraum, da treffen nicht nur Regionen, sondern auch Milieus und Klassen sprachlich hart aufeinander. War das eine Entscheidung, die bereits das Casting bestimmt hat? "Na aber selbstverständlich", sagt Rohrbach, fast entrüstet über die Nachfrage.

Und erzählt dann aber doch, was für ein Kampf es jedes Mal ist, sich im deutschen Film für den Dialekt, die sprachliche Genauigkeit, die Vielfalt der Idiome einzusetzen. "Wir Deutschen haben unser Sprachgefühl, was Film und Fernsehen betrifft, erfolgreich vernichtet", sagt Rohrbach. "Wir sind Opfer der Synchronisation, die alles Fremdsprachliche einebnet und auch fatal auf die eigene Filmproduktion zurückwirkt."

Selbst beim Boot war es so, erinnert er sich, dass eine Weile lang ernsthaft darüber nachgedacht wurde, den gesamten Film auf Englisch zu drehen - die Kosten waren so hoch, dass an den internationalen Markt gedacht werden musste. Es waren am Ende die ausländischen Partner, die das entscheidende Veto einlegten: In der deutschen Kriegsmarine müsse bitteschön deutsch gesprochen werden.

In Fleisch und Blut

In den USA, in England, in Italien und Frankreich ist sprachliche Genauigkeit, was Regionen, Milieus und Hintergründe der Figuren angeht, keine besondere Leistung, sondern Standard. Wenn Londoner, Römer, New Yorker oder Bostoner ins Kino gehen, verlangen sie in den Nebenfiguren Präzision des Sprachklangs.

Und von den Stars, die solche Dialekte und Akzente nicht natürlicherweise beherrschen, erwarten sie die größten Anstrengungen, das vergessen zu machen. Kritiker vernichten oder loben manche Performance allein aufgrund der Tatsache, dass ein Akzent entweder bös vergeigt - oder aber, exemplarisch immer wieder bei Meryl Streep, einem Star scheinbar in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Von solchen Bedingungen können deutsche Filmemacher nur träumen. "Die Synchronisation hat bei uns dazu geführt, dass viele Stars nur noch hannoveranisch sprechen", sagt Rohrbach. "Einen bayerischen oder einen berlinerischen Film mit prominenten Namen zu besetzen, ist noch vergleichsweise einfach - da gibt es viele, die das beherrschen. Aber versuchen sie mal, Hauptdarsteller für eine rheinische Geschichte zu finden, die das Publikum auch kennt."

Er hat es versucht. Vor drei Jahren produzierte er den Fernsehfilm Teufelsbraten, nach dem Roman Das verborgene Wort von Ulla Hahn, in dem das Rheinische bereits eine zentrale Rolle spielt. Am Ende half alles nichts - die Schauspieler mussten intensiv mit einem Sprachcoach arbeiten und monatelang trainieren, was als ungewohnte Härte empfunden wurde.

Die Sprache ist verlottert

Am Ende stand eine ziemlich realistische, harte Dialektfassung - die dann aber nach ersten Tests doch wieder aufgeweicht werden musste. Sonst wäre der Film kaum über Nordrhein-Westfalen hinaus verständlich gewesen. Das ist das nächste Problem: Echte deutsche Dialekte sind oft so speziell, dass das potentielle Publikum bequem in den Saal eines regionalen Mundart-Theaters passt. An solchen Orten findet man ja auch die lebendigste Dialektkultur.

Trotzdem ist klar: Die Sprache in Film und Fernsehen ist hierzulande auf eine Weise verlottert, die eigentlich eine Revolution nötig macht. Wer jedes Ausstattungsdetail mit historischen Quellen verifiziert, jeden Kostümstoff nachschneidern lässt wie vor hundert Jahren, dabei aber Dialekte und Sprachfärbungen großzügig ignoriert, befindet sich bereits auf einem Weg ohne Wiederkehr, der nur in der Lächerlichkeit enden kann.

Am Ende stehen dann Filme wie Joseph Vilsmaiers Marlene, wo Marlene Dietrich in Hollywood ankommt, dort aber auf wundersame Weise alle Menschen immer noch Deutsch sprechen; oder Fernseh-Mehrteiler wie Dresden, die bis zum Schluss keine Antwort darauf finden, wie sich ein abgestürzter britischer Bomberpilot in Dresden nun sprachlich im Feindesland bewegen sollte. Das Problem ist nicht, dass es solche Versuche gibt, Publikumsignoranz und Bequemlichkeiten nachzugeben. Das Problem ist, dass sie ernst genommen werden.

Mehr über Dialekte lesen Sie in der SZ vom 13.11.2010.

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