Devotionalien:Knochenfund

Der Autor Hunter S. Thompson hat einst ein Elchgeweih gestohlen. Es hing über der Tür der Jagdhütte, in der Ernest Hemingway sich umgebracht hat. Jahrelang plagte ihn sein Gewissen, jetzt wurde die Schaufel zurückgegeben.

Von Bernd Graff

1964 recherchierte ein da noch unbekannter Journalist in Ketchum, einem verschlafenen Kaff in Idaho. Er wollte herausfinden, warum sich Ernest Hemingway ausgerechnet diesen 700-Einwohner-Skiort für seinen Selbstmord ausgesucht hatte. Denn hier in Ketchum, nicht einmal eine Woche nach seiner Entlassung aus der Mayo Clinic in Minnesota, wo Hemingway wegen seiner schweren Depressionen mit Elektrokrampftherapie behandelt worden war, brachte sich der Nobelpreisträger im Jahr 1961 um. Der Journalist, der drei Jahre später um Hemingways Haus schlich, war der damals 27 Jahre alte Hunter S. Thompson. Er schrieb seine Story für das Wochenmagazin The National Observer. Doch es war nicht nur der Artikel, den Thompson mit nach Hause brachte. Er hatte das Elchgeweih mitgehen lassen, das über dem Eingang des Hauses prangte und dessen eindrucksvolle Größe er auch in seinem Essay beschrieben hatte, vermutlich war sein Träger einst vom Hausherrn waidmännisch geschossen worden. Aus Thompson wurde die erste Feder des Rolling Stone, er erfand und vervollkommnete den parteiisch-involvierten, hochsubjektiven Gonzo-Journalismus, revolutionierte damals den New Journalism der Sechziger- und Siebzigerjahre und wurde 1973 Autor des auch in der Verfilmung erfolgreichen Buches "Fear and Loathing in Las Vegas". Im Jahr 2005 beging er, 67-jährig, Selbstmord. Zurück blieben seine Frau Anita, der Sohn Juan und - unter anderem - das Elchgeweih Hemingways. Auf das Thompson gar nicht stolz war. Im Gegenteil, sein Diebstahl war ihm im Nachhinein peinlich, er protzte nicht mit der Herkunft der alten Knochen, verbarg sie in seiner Garage und plante immer wieder, so seine Frau heute, einen Roadtrip nach Ketchum, um das Geweih heimlich wieder dort anzubringen, wohin es gehörte. Dazu kam es indes nie. Aber dorthin kam es jetzt wieder, 52 Jahre nachdem Thompson es entfernt hatte. Denn Anita Thompson hat Hemingways Nachfahren kontaktiert, die Geschichte gebeichtet und das Geweih in einer elfstündigen Fahrt von Woody Creek bei Aspen in Colorado persönlich nach Ketchum zurückgebracht. Dort nahm Sean Hemingway, ein Enkel, das Geweih in Empfang und verfügte das alte Stück sogleich nach New York, wo er lebt.

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