Deutschrap 2015:Das sind die Rap-Typen des Jahres

Deutschrap ist 2015 ganz oben angekommen. Wer waren die wichtigsten Figuren?

Von Josa Mania-Schlegel

Die Kopien - Bushido, Shindy und Schwesta Ewa

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Wer ist das? Mitunter geniale Kopisten US-amerikanischer Kultur. Deutsche Rapper haben es nicht leicht. Im Grunde versuchen sie, ein amerikanisches Produkt noch einmal aufzuwärmen. Meistens haben sie zwei Möglichkeiten: eine eigene Stimme finden - oder die perfekte Kopie entwerfen. Schwesta Ewa und Bushido zeigen, wohin der zweite Weg führt: zu amerikanischem Bling-Hip-Hop als Franchise-Prinzip. Zu schweren Goldketten, teuren Autos und Kronen auf dem Kopf, wie Tupac Shakur und Notorious B.I.G. sie Mitte der Neunzigerjahre trugen und so den schillernden Lifestyle des Hip-Hop schufen. Doch in Amerika ist Bling mitterweile ein verblichenes Ideal. Auf dicke Hose machen ist nicht mehr zeitgemäß. Erfolgreicher ist heute Rap über verflossene Liebe, Polizeigewalt oder einsame Exkursionen in Drogensümpfe. Was bedeutet das für den Deutschrap? Bushido & Shindy hecheln auf ihrem Album "Cla$$ic" stur und entschlossen dem alten Bling-Ding hinterher. In einem Interview erzählt Bushido, er habe ein deutsches "Watch The Throne" machen wollen - jenes Über-Album der Branchenbosse Kanye West und Jay-Z, auf dem es zwischen den beiden genauso oft krachte, wie harmonierte. Da muss man schon mal schlucken: Bushido & Shindy sind nicht Jay-Z & Kanye. Und sie haben "Watch The Throne" auch nicht verstanden. Das Album war nicht nur das Stelldichein zweier Rap-Götter - sondern zugleich deren Dämmerung, eine letzte üppige Bling-Schau. Während Bling in den USA heute lieber morbid-nostalgisch verklärt und zerlegt wird, inszeniert sich Bushido auf "Cla$$ic" also weiter als monumentaler Goldjunge. Ihm wünscht man Schwesta Ewa an die Seite. Die Frankfurterin arbeitete früher im Rotlichtmilieu, heute ist sie Deutschlands bekannteste weibliche Rapperin. Und adressiert auf ihrem Debüt "Kurwa" womöglich genau Typen vom Format eines Bushido: "Erst rasier' ich meine Pussy / Und dann alle Goldrapper mit meiner Uzi". Ihre Vergangenheit verdammt Schwesta Ewa in fast jedem Titel. Und verleiht damit dem Bling neuen Sinn: Als feministisches Statement einer Frau, die es aus der Unterdrückung zu Villa, Gold und fetter Karre gebracht hat.

Die Wortakrobaten - Kollegah und Alligatoah

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Wer ist das? Seine Reime seien genau wie Nordkorea - nämlich ohne Botschaft, meint Rapper Kollegah in einem Song. Kapiert? Dann bleiben wir mal in der Sprache des Hessen und behaupten: Die Texte von Kollegah und Alligatoah fühlen sich an, als würde man an einer leeren Flasche Havana Club nuckeln: Es kommt wenig rum. Noch dabei? Vergleichen wir sie noch mit einem Stopp-Schild an einer grünen Ampel: extrem fetter Text, aber ohne Bedeutung. Soll alles heißen: Beide reden viel, sagen aber meistens wenig. Ihre extrem bildreichen Texte machen Spaß, tiefsinnige Botschaften gibt es eher nicht. Was bedeutet das für den Deutschrap? Das mit der Inhaltslosigkeit muss gar nicht mal schlimm sein. Dann bleiben halt nicht nachdenkliche Zeilen im Ohr, sondern feine Reime. Vom neuen Kollegah-Album zum Beispiel der hier, den man allerdings laut vorlesen muss: "Der Boss hat Termine wie Harry Potter". Der Hesse setzt 2015 auf "Zuhältertape Vol. 4" sein Nonsense-Feuerwerk fort: Hohle Storys werden in vielen kleinen, schnell hintereinander abgefeuerten Pointen erzählt. Zu düster, um sich totzulachen, zu witzig, um zu schweigen. Eher ein bisschen von beidem. Pointen zum melancholisch schmunzeln. Alligatoah dagegen tritt auf, als hätte man ihm die Zähne gezogen. Oder zumindest einen Maulkorb angelegt: Sein poppiger Nonsense-Rap hat immer von seinem Witz gelebt. Jetzt ist ihm das Lachen gänzlich vergangen (es wäre sowieso hässlich zahnlos). Auf dem neuen Album "Musik ist keine Lösung" werden mit einfachen Worten komplexe Themen angeschnitten: Konsumgesellschaft, Narzissmus, Altruismus. Leider bleibt es bei den einfachen Worten, Pointen fehlen komplett. Ernste Themen, witzige Überschriften, humorlos vorgetragen. Alles ein bisschen so, als müsste Claus Kleber die heute-show moderieren.

Die IQ-Rapper - Fatoni und die Antilopen Gang

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Wer ist das? Eine der größten Herausforderungen für jeden Rapper: Sein Publikum der eigenen Vorreiterrolle zu versichern, ohne gleich ausfällig zu werden. Der Antilopen Gang gelingt das ja ganz gut: "Plötzlich findet jeder Polit-Rap okay / Aber sich komplett blamieren war uns're Idee". Da klaut jemand unsere Idee? Andere Rapper hätten da schon längst zum Schwanzvergleich ausgeholt. Der Münchner Fatoni umgeht die stumpfe Mein-Penis-ist-größer-als-deiner-Routine auf seinem neuen Album "Yo, Picasso" noch etwas subtiler. Er erzählt uns die Geschichte des Arztes Ignaz Semmelweis, der Anfang des 19. Jahrhunderts mit neuen Hygiene-Richtlinien seiner Zeit voraus war: "Er meinte, Ärzte sollten sich besser die Hände waschen / Bevor sie sich an die Arbeit mit den Patienten machen." Was bedeutet das für den Deutschrap? Die Antilopen und Fatoni rappen über das Zufrüh- und Zuspätkommen als Rapper, seltener über den Moment dazwischen - und das eher nachdenklich als auftrumpfend. Selbstreflektierter Hip-Hop wird bei ihnen beinahe zum eigenständigen Genre. Ob es irgendwann langweilig wird, wenn Rapper nur noch über das Rappersein nachdenken, anstatt tatsächlich Rapper zu sein? Vielleicht. Andererseits kommt die anti-aktionistische Haltung gerade recht: Hedonistische Prinzipien, Reizüberflutung und Verschwendung, wie sie zum Beispiel Deichkind lange predigten, sind ohnehin nicht mehr in Mode.

Die Wahrheitssucher - K.I.Z. und Zugezogen Maskulin

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Wer ist das? Die großen Augenzwinkerer. Augenzwinkern, Teil 1: Mit Selbstironie lebt es sich leichter. Das denkt sich erst recht, wer handfeste politische Statements verklickern will, ohne gleich als nerviger Wahrheitsprediger dazustehen. Also wird die Wahrheit überbelichtet - mit Neuköllner Schulhof-Sprech, Fäkal-Fantasien und Hitler. So weit das bekannte Prinzip der Berliner Hip-Hop-Formation K.I.Z.. Augenzwinkern, Teil 2: Wer eine Botschaft hat, verzichtet besser auf Selbstironie. Das wissen die beiden Rapper Testo und grim104 vom Duo Zugezogen Maskulin. Ganz anders als K.I.Z. scheinen sie immer einen Tick zu ernst. Und eher verbissen als bissig. Was bedeutet das für den Deutschrap? Augenzwinkern, Teil 3: Wenn das Augenzwinkern in der Musik stattfindet, kann es im Text viel befreiter zugehen. Vor einer scheppernd-trippigen und immer etwas übertriebenen Produktion zeichnen Zugezogen Maskulin auf ihrem Debüt "Alles brennt" ein Bild von Pegida-Deutschland 2015 - hellsichtiger war in diesem Jahr keiner. Unmissverständlicher Rap, ehrlich und unironisch. Nach dem selben Prinzip verfuhren auch die Zwinkerprofis K.I.Z. und nahmen mit "Hurra, die Welt geht unter" ihr erstes richtiges Real-Talk-Album auf. Als Beweis ihrer Ernsthaftigkeit holten sie sich den tragischen, niemals lächelnden Henning May von AnnenMayKantereit ins Studio, die Authentizitäts-Versicherung der Stunde. Meinen die jetzt plötzlich alles ernst? Na, selbstverständlich! (Augenzwinker).

Bonustrack: Die Kommentatoren - Böhmermann und Money Boy

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Wer ist das? Die Streber aus der Schulhofecke. Ernsthafte Straßen-Fehden zwischen verfeindeten Rappern gibt es nicht mehr. Geschweige denn Schusswechsel. Ersatz bietet ein genauso scharf schießender Beobachter, der seit einigen Jahren so ziemlich jeden aufgeplusterten Trend aus dem Hip-Hop-Universum aufgreift, vereinnahmt und völlig überspitzt lächerlich macht: Der Österreicher Money Boy hat das Prinzip des Joke-Rappers als Marktlücke erkannt. Einer der vielleicht nicht die Straßen unsicher macht, dafür aber die Branche - und sich damit jede Menge Diss-Tracks eingehandelt hat. Lange schien Money Boy nur das zu sein, was sein Publikum in die Kommentarspalte seiner Videos schrieb: ein Stümper, der nicht einmal richtig rappen konnte - und sich über eine Sache, die viele sehr ernst nahmen, sehr lustig machte. Was bedeutet das für den Deutschrap? Irgendwann wandelte sich das Bild - im Provokateur Money Boy sahen plötzlich alle einen Comedian. Jetzt reißen sich die großen Hip-Hop-Magazine und deren YouTube-Kanäle um den Österreicher. Der kann es sich mittlerweile sogar leisten, manche Interviews nur gegen Geld zu geben. Als er auf Tracks der eigentlich todernsten Rapper Bushido und Fler erschien, war klar: Die Wunde, in die Money Boy einst Salz rieseln ließ, ist verheilt. Und mehr: Er ist mittlerweile ein Teil der Szene, die er so herrlich genau seziert hat. Zum Glück gibt es noch Jan Böhmermann und dessen Alter Ego POL1Z1STENS0HN: die Kleinkriminellen-Rap-Parodie des Jahres, völlig überladen mit den typischen Reibelauten auf dem hinteren Zungenrücken, die jedes Wort wie eine kurdische Mutterbeleidigung klingen lassen. Der Moderator traf wohl mehr Nerven als erwartet: Ihm schlug eine Welle todernster Empörung entgegen, die Money Boys Sticheleien nur noch wie Lausbubenstreiche aussehen ließ. Böhmermann beweist: Das Erregungspotenzial im Deutschrap bleibt hoch - auch ohne Fehden und Schusswechsel.

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