Deutschland:Vom Kursverfall der Pressefreiheit

In Deutschland wird das Grundrecht immer weniger ernst genommen. Bayern plant, Journalisten-Telefone "vorbeugend" abzuhören

Heribert Prantl

(SZ vom 3.5.2003) - Von der Pressefreiheit wird zwar in Deutschland viel geredet, sie interessiert aber eigentlich kaum noch jemanden. Sie ist selbstverständlich. In Kolumbien oder Nordkorea ist das anders: Da leben Journalisten gefährlich, da ist die Pressefreiheit oft nur zwei mal drei Meter groß, so groß wie eine Gefängniszelle.

In Deutschland leben Journalisten ungefährlich, müssen sich in der Regel nicht vor dem Staatsanwalt fürchten, hier hat Pressefreiheit Verfassungsrang, wird im Grundgesetz garantiert.

Aber dort steht bekanntlich viel, was nicht unbedingt zu den Herzensangelegenheiten in Deutschland zählt. Da steht zum Beispiel der Satz "Eigentum verpflichtet" oder der Satz, wonach die Streitkräfte "nur zur Verteidigung" da sind. All das ist, wenn man die Nachrichten verfolgt, durchaus nicht mehr selbstverständlich.

Und so ist es auch nicht mehr selbstverständlich, was es mit der Pressefreiheit auf sich hat. Bei festlichen Anlässen wird gern der berühmte Satz des Bundesverfassungsgerichts aus dem Spiegel-Urteil von 1965 zitiert: eine "freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates".

Heute rümpfen Politiker die Nase, wenn sie diesen Satz hören und fragen, ob es Pressefreiheit sei, wenn Zeitungen sich darüber auslassen, ob sich der Kanzler die Haare färbt.

Es ist durchaus so, dass die Pressefreiheit hier zu Lande ein wenig in Verruf geraten ist. Und es ist immer weniger im öffentlichen Bewusstsein verankert, dass es die Presse war, und nicht die Justiz, die die großen politischen Skandale der Bundesrepublik aufgedeckt hat.

Kurz: Die Pressefreiheit stand schon einmal höher im Kurs in Deutschland. Im Bundesverfassungsgericht gibt es neuerdings die Tendenz, die Pressefreiheit nicht besonders ernst zu nehmen. Ein Exempel war das Urteil vom 12. März 2003, in dem es die Verfassungsrichter der Polizei und der Staatsanwaltschaft unter relativ dürftigen Voraussetzungen erlaubten, Telefone und Handys von Journalisten abzuhören und die Verbindungsdaten der Telefonkontakte abzufragen.

Die Richter attestierten durchaus, dass es sich dabei um einen Eingriff in die Pressefreiheit handelt, meinten freilich, dass die Strafverfolgungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft wichtiger sei. Man tat zwar so, als sei das Abhören nur im "unabweisbaren Fall" gestattet - bei keinem der Fälle handelte es sich aber um einen solchen.

Es ging um den Milliarden-Pleitier Jürgen Schneider und den wegen Mordes im Jahr 1975 gesuchten mutmaßlichen Terroristen Hans-Joachim Klein. Schneider wurde 1998 in den USA, Klein 1995 in Frankreich aufgespürt.

Im Fall Klein waren sieben Monate lang zwei Telefonanschlüsse und das Handy eines Journalisten des Stern überwacht, im Fall Schneider ein Handy-Anschluss des ZDF kontrolliert worden. Schneider wurde unabhängig davon festgenommen, Klein wollte sich den Behörden ohnehin stellen - was diese wussten.

Die neue Regel lautet: Die Pressefreiheit muss beiseite springen, wenn die Staatsgewalt mit Blaulicht daherkommt. Wenn aber auf die Vertraulichkeit der Recherche immer weniger Verlass ist, Informanten nicht mehr darauf vertrauen können, dass sie geheim bleiben - dann ist Pressefreiheit in Gefahr.

In Bayern spitzt sich die Sache derzeit besonders zu: In der nächsten Woche bringt die CSU im Landtag ein Gesetz ein, wonach Telefone und Handys künftig nicht nur zur Verfolgung von Straftaten überwacht werden dürfen, sondern auch schon vorbeugend, also zur Abwehr von Gefahren.

Nach dem Gesetzentwurf darf die Polizei die Kommunikationsverbindungen all der Personen abhören, die nach der Strafprozessordnung durch ein Zeugnisverweigerungsrecht geschützt sind: In Bayern sollen also völlig unverdächtige Anwälte, Ärzte, Pfarrer, Drogenberater und Journalisten künftig vorbeugend abgehört werden. Sie alle müssen damit rechnen, dass die Polizei mithört, wenn sie mit ihren Problemfällen Kontakt aufnehmen. Das Zeugnisverweigerungsrecht wäre damit ausgehebelt. In Hamburg und im Saarland sind solche Gesetzespläne im Jahr 2003 gescheitert.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: