Deutscher Pop:Kampfküken in der Ego-Falle

Gegenüber einer hypermächtigen US-Pop-Industrie ist deutsche Popmusik maßlos stolz und maßlos schwach: Rosenstolz und sehr viele Ichs produzieren Angestellten-Lyrik für die Massen.

Jens-Christian Rabe

Es gibt diese eine helle, strahlende, heroische Seite des Pop. Auf dieser Seite stehen die internationalen Stars, die Rihannas, Justin Timberlakes, Britney Spears, Nelly Furtados, Pinks, Amy Winehouses und Timbalands dieser Erde.

Ihre aufwendigen Videos laufen im Musikfernsehen, sie treten auf in den weltweit übertragenen Fernseh-Galas, beim Grammy, auf den großen MTV-Awards und auch sonst überall. Wer sie nicht in seiner Show hat, der muss sie gewollt, aber nicht gekriegt haben. Diese Seite befindet sich seit einiger Zeit in der Krise, die das ökonomische Fundament einer ganzen Branche erschüttert hat.

Und dann gibt es diese ganz andere Seite des Pop. Auf dieser Seite stehen hierzulande Musiker, Stars, die Millionen Platten verkaufen, denen aber von allen, die etwas auf ihr popologisches Kennertum halten, so gut wie alles abgesprochen wird, was einen echten Popstar auszeichnen sollte: Nonchalance, Leichtigkeit, Coolness, Stil, Soul, kurz: die Fähigkeit, die Massen zum Tanzen zu bringen und, wenn es denn gut läuft, mit ihnen vielleicht auch das Leben als solches.

Formvollendet weichgespült

Diese Stars heißen Andrea Berg, der es einmal im Jahr sogar gelingt, ein paar zehntausend Fans in ihren kleinen schwäbischen Heimatort Kleinaspach zum großen Open Air zu lotsen, sie heißen Wise Guys, Roger Cicero, Rosenstolz oder Ich + Ich. Ihre Musik schafft es nicht nur jede Woche bis in die Top-Ten, sondern auch bis fast ganz nach vorne in die Jahreshitlisten. Mal mit geschmeidigem A-Cappella-Pop wie bei den Wise Guys, mal mit Bigband-Swing-Pop wie bei Roger Cicero, mal mit formvollendet weichgespültem Schlager-Pop wie bei Rosenstolz und Ich + Ich.

Und während die strahlende Seite des Pop die finale Hedonisierung mit dem nötigen ästhetischen Extremismus - "Hit Me, Baby, One More Time!" - betreibt, mit ultra-schnell geschnittenen Videos an der Grenze zur Pornografie, mit unverstellter Promiskuitäts-Propaganda und Tiefst-Frequenz-Bässen - während also da das Pop-Rad gepackt und immer schön brutal weitergedreht wird, versenkt uns der deutsche Pop tief in der Ichheit.

Das fleißige Ich- und Für-sich-sein, die rücksichts- und bedenkenlose Hingabe ans Selbst vom Selbst, das ist das zentrale Motiv des zeitgenössischen deutschen Pop. Äußerlich ist das alles schon lange durch, aber natürlich überhaupt kein Grund, nicht innerlich noch eine ganze Weile weiterzubluten. Dem internationalen ästhetischen Extremismus des Pop steht hierzulande ein gruseliger egozentrischer Extremismus gegenüber.

Das Duo Ich + Ich, deren Album sich auf Platz fünf der deutschen Album-Charts befindet, singt im Refrain ihres Hits "Vom selben Stern": "Wir sind alle aus Sternenstaub / In unseren Augen warmer Glanz / Wir sind noch immer nicht zerbrochen, wir sind ganz / Du bist vom selben Stern / Ich kann deinen Herzschlag hör'n / Du bist vom selben Stern." Hier wird noch "Wir" und "Du" gesagt, worauf die Sache zuläuft ist aber schon in der siebten Zeile völlig klar, dessen kategorische Apodiktik ist nicht weniger als ein zur grundlosen Feier der persönlichen Einzigartigkeit abkommandierter deutscher Idealismus:

Schamlose Zumutung

"Wie ich, wie ich - wie ich / Weil dich die gleiche Stimme lenkt / Und du am gleichen Faden hängst / Weil Du das selbe denkst / Wie ich, wie ich, wie ich." Sanft umschmeichelt vom Dosen-Soft-Pop sind diese Sätze doch nichts weniger als eine schamlose Zumutung: Du bist wie ich - der kalte Anspruch auf Deutungshoheit über alles und jeden.

Auch der Zweifel in der jüngsten Ich + Ich-Single "Stark" ist nicht ohne Hintertür, der Titel ist kein Zufall. Erst heißt es zum imaginären Gegenüber aus einer Position der vermeintlichen Schwäche heraus: "Ich bin nicht der, der ich sein will und will nicht sein, wer ich bin / Mein Leben ist das Chaos, schau mal genauer hin". Dann jedoch unverhohlen dominant: "Stell dich mit mir in die Sonne oder geh mit mir ein kleines Stück / Ich zeig dir meine Wahrheit für einen Augenblick / Ich frage mich genau wie du, wo ist hier der Sinn". Immer will sich da einer mit einem verkumpeln, den er gerade schon im Schwitzkasten hat.

Noch konsequenter vertritt den neuen egozentrischen Extremismus nur noch das Berliner Duo Rosenstolz, deren Album "Das große Leben" im vergangenen Jahr eines der zehn meistgekauften war. In ihrem Hit "Ich bin ich" wird erstmal gründlich Schwäche inszeniert, das singende Ich suggeriert, ein unsicheres Wesen zu sein, das die Gruppe braucht: "Gehör' ich hier denn noch dazu? / Oder bin ich längst schon draußen? / Zeit nimmt sich den nächsten Flug / Hab versucht ihr nach zu laufen".

Dann jedoch kippt die Lage und was gerade noch scheinbar schüchtern wimmert, formuliert jetzt den denkbar maßlosesten Anspruch, indem es die unbedingte, voraussetzungs- und bedingungslose Zustimmung zu sich selbst einfordert: "In meinem Kopf ist so viel Wut / Gestern Nacht konnt ich nicht schlafen / Dass du da warst, tat mir gut / Bitte stell jetzt keine Fragen".

Im Refrain ist das Kampfküken dann unverstellt am Werk: "Das bin ich, das bin ich / das allein ist meine Schuld / ich bin jetzt, ich bin hier, ich bin ich / das allein ist meine Schuld." Staunend steht man vor einer Angestellten-Lyrik, die die Liebe als Opfer verklärt und die Unterwerfung des anderen unter das eigene Ich-Ideal zur Tugend.

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