Deutscher Buchpreis 2013:Unendliche Dornbüsche

Monika Zeiner

Monika Zeiner ist mit ihrem Debütroman "Die Ordnung der Sterne über Como" auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2013.

(Foto: dpa)

Monika Zeiner erzählt in ihrem Debütroman "Die Ordnung der Sterne über Como" eine tragisch grundierte Dreiecksgeschichte - ihr Buch hat es als Außenseiter auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis geschafft

Von Hans-Peter Kunisch

Vor einigen Jahren erlebten CDs mit Liedern der kalabresischen 'Ndrangheta, die man oft einfachheitshalber der sizilianischen Mafia zuschrieb, einen kurzen Boom. Einer der schönsten Songs, "I cunfirenti", eine seelenvoll-herbe Ballade, deren Melodie verzweifelten Liebes- oder Emigrationsliedern ähnelt, handelt von der vorausschauenden tiefen Trauer der Mörder eines Bundesgenossen und üblen Verräters, der seiner Mutter Kummer gemacht hat.

Wenn Monika Zeiner - als Mona Stinelli ist sie Sängerin der Berliner Italo-Swing-Band Marinafon - die bekannte Fünfzigerjahre-Satire "Tu vuò fà l'americano" des Neapolitaners Renato Carosone darbietet, dann geht es "nur" um den Verrat des italienischen Lebensstils an die Amerikaner, und Ironie wie Trauer halten sich die Waage.

Aber auch "Die Ordnung der Sterne über Como", Monika Zeiners immerhin 600-seitiger Roman-Erstling, der über weite Strecken in Neapel spielt und es jetzt als Außenseiter auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, hält sich im Ton zunächst an die weniger tragischen Seiten des Lebens. Obwohl nie ganz klar wird, ob der Tod von Marc, dem großen Abwesenden dieser nachträglich erzählten Dreiecksgeschichte zwischen ihm, Betty und Tom, der bei einer Bergwanderung ums Leben kam, nicht tatsächlich mit dem üblen Verrat einer Freundschaft zusammenhängt.

Liebe, die mit Freundschaft in Konflikt gerät

Doch genau das ist das Spezifische der "Ordnung der Sterne". Das Schwere wird eine ganze Weile lang leicht gemacht, wie nebenher erzählt. Klassisch und weitgehend zeitlos beschwört Zeiner die allenfalls beiläufig wahrnehmbare Tragik einer durchschnittlichen Existenz. Es geht um nicht viel mehr als die oft nachlässige, höchstens halb leidenschaftliche, aber erstaunlicherweise recht dauerhafte Liebe, die mit Freundschaft in Konflikt gerät. Es wird keine Gesellschafts- oder Generationendarstellung versucht, auch keine Gegenwartsdiagnose geliefert, kein SS-Mann wird begraben, und Alzheimer wie Krebstod spielen keine Rolle. Nur die geradezu altmodischen Verwirrungen zwischen drei bis sechs Menschen, die vor zehn Jahren etwas jünger waren, kommen zur Sprache in diesem Debüt.

In der Erzählgegenwart ist Tom ein durchschnittlicher Berliner Konzertpianist um die vierzig, der gerade auf Wunsch seiner Frau Hedda von ihr geschieden wird. Immer mal wieder dreht es sich, nach sieben Jahren Ehe, um Sachen, die noch abgeholt werden müssen. Hedda geht dabei durch die ehemals gemeinsame Wohnung "wie eine Königin durch ein Leprakrankenhaus". So sieht es Tom, der sich auf dem Hof von Heddas neuer "Creative-Village Loft-Wohnung" doch recht verloren fühlt. Die Diplomatentochter Hedda ist irgendwo im Kunstbetrieb tätig. Toms Provinz-Eltern wiederum jammern sich vor dem Fernseher glücklich. Sein Leben lang hat der Vater Rechenmaschinen verkauft, was zunehmend schwierig wurde.

Bewundernswert tiefsinnig

Eine Mesalliance-Geschichte, das wusste schon das literarische 19. Jahrhundert, kann nicht gut ausgehen. Hier ist die klassische Story eingebettet in deutsche Gegenwart, was mit Wörtern wie "Backshop" signalisiert wird.

Eine zweite Geschichte wird parallel erzählt. Betty Morgenthal, Ex-Sängerin und Anästhesie-Ärztin, lebt mit ihrem Ehemann Alfredo, der Theaterkritiken schreibt, in Neapel. Gerade ist man vom ärmlichen und einbruchsanfälligen Viertel Montesanto in den bürgerlicheren Vomero gezogen - nicht mehr romantisch, sondern etabliert, aber es kriselt.

Zwischen den abwechselnden Gegenwartsgeschichten wird nun auch noch der Beginn der Freundschaft zwischen Marc, Tom und Betty rekapituliert, die eine Zeit lang zusammen wohnten. Marc, als Musiker viel genialer als Tom, und Betty wurden ein Paar. Tom hatte parallel jahrelang eine Affäre mit einer verheirateten Klavierschülerin aus besseren Kreisen, die ihn auch beim Sex mit "Sie" ansprach.

Eine an sich belanglose Geschichte, der Monika Zeiner durch ihr schlackenloses, lakonisch-ironisches Parlando, das jede Spannungsmache unterläuft, alltägliche Würde verleiht. Und auch wenn sie sich manchmal in poetischere Höhen aufschwingt, bleibt der Stil kontrolliert und passt meistens.

Ein Kapitel beginnt folgendermaßen: "Der Tod ist das letzte Blatt im Bilderbuch eines uralten Kindes. Der dünne Pfad, der durch gemaltes Märchengelände führt. Er geht an Berge geschmiegt, halb verborgen von hängenden Pflanzen, für jedes Jahr der Menschheitsgeschichte eine: Waldefeu, Lianen, unendliche Dornbüsche." Für etwas weniger gelungen mag man das folgende Gehänge halten, aber es wird durch das geschmeidige Ineinander von Gegenwart und Vergangenheit, das das ganze Buch auszeichnet, ausgeglichen: "Es ist Sonntag, Berliner Winter vor dem Fenster, ein weißer Himmel wie heute, der pergamentartig bis auf die Konturen der Häuser hinab hängt, und seine Hände, erinnert er sich, sind gefroren, während er spielt und Betty ins Zimmer tritt und ihr Sopran sich in die Musik schleicht, kaum hörbar zunächst, vorsichtig, als klopfe sie an."

Keine Effekthascherei

Als Marc, Betty und Tom gemeinsam eine Reise ins Engadin und nach Oberitalien machen, muss der Komponist Marc für ein paar Tage zu Aufnahmen nach Luzern. Tom bleibt bei Betty, und auf einem Campingplatz am Comer See passiert, was passieren muss. Diese Vorgeschichte verzahnt Zeiner mit einer erneuten Annäherung zwischen Betty und Tom, der zehn Jahre später, nicht erfolgreicher geworden, wieder mit Kollegen von damals unterwegs ist - auf Konzertreise nach Italien. Fast hatte er sie nach dem traurigen Ende seiner Ehe vergessen, da hört er Betty Morgenthal, die eine Ankündigung des Konzerts in Neapel gesehen hat, auf seinem Anrufbeantworter.

Eine weitere, nicht übermäßig originelle, aber dramaturgisch geschickte Maßnahme von Zeiner ist, dass sie beiden, Betty wie Tom, noch eine kleine, unbedeutende Affäre dazwischen schiebt. Wieder ohne jede Effekthascherei erzählt, quasi natürlich nähern sie sich auf symmetrische Weise über kleine Hindernisse hinweg an.

Doch die eigentliche Kunst Monika Zeiners besteht nicht in der ausgetüftelten Dramaturgie, sondern darin, wie ihr in den Erinnerungen Toms allmählich eine Veränderung im Ton gelingt. Nach Marcs Tod bei einer gemeinsamen Bergwanderung der beiden Freunde - Unfall, Mord, Selbstmord, alles bleibt möglich - kann es zwischen Betty und Tom nichts mehr werden. Woraufhin Tom in eine wirkliche Krise gerät. Er besucht seine Eltern, übernachtet im Kinderzimmer, bleibt ein ganzes Jahr und verwahrlost immer mehr, bis seinen ehemaligen Musikerkollegen die Rettung gelingt. Die Schilderung von Toms Verkommenheit ist das eigentliche Bravourstück dieses bewundernswert tiefsinnigen Unterhaltungsromans. Eine Genre-Überhöhung, wie es sie in Deutschland sonst kaum gibt.

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