Deutscher Alltag:Waren das Zeiten

Wirtshaus weg, Zeitung weg, Sparkasse verprotzt, Post verschwunden: Die Mitte eines Ortes kann man heute kaum mehr erkennen. Aber das sind alles nur blöde Gefühle.

Kurt Kister

Es ist nicht immer leicht zu bestimmen, wo eigentlich die Mitte liegt. Nein, es geht nicht schon wieder um die CSU, deren Mitte eigentlich die FDP ist, was nur der Seehofer nicht versteht. Also, weg von der CSU und hinein in medias medietatis: Wer schon etwas älter ist, der weiß, dass früher die Mitte des Ortes, in dem man lebte, leicht auszumachen war. In der Mitte fand man Wirtshaus, Sparkasse, Zeitung und Post. Das ist heute anders.

GESCHLOSSENES POSTAMT IN GADEBUSCH

Post gibt es keine mehr, nur noch Ladentheken in Gummibärchen-Geschäften. Bald gibt es auch keine Briefträger mehr, schreiben ja eh alle nur noch E-Mails.

(Foto: dpa)

Das Wirtshaus ist entweder einem Döner-Hamburger-Call-a-Pizza-Etablissement gewichen. Oder es ist ganz geschlossen, weil die Brauerei vier Pächtern hintereinander mit einem leicht wucherischen Bierabnahmevertrag die Luft genommen hat. Die Sparkasse dagegen ist in einen protzigen Dreistock-Würfel mit viel Glas und viel Beton umgezogen. Da gibt es kaum mehr Schalter, sondern nur noch Automaten.

Trifft man dennoch einen Lebenden, dann ist es ein grinsekaterig guckender Jungberater, der einen nur ganz entfernt an jene Spinne erinnert, die manchmal im Balkoneck sitzt und in der Dämmerung freundlich auf die Fliegen wartet. Die Zeitung ist natürlich auch nicht mehr in der Ortsmitte. Sie ist entweder am Stadtrand im Verwaltungsgebäude eines ehemaligen Reifengroßhandels untergebracht worden, oder sie hat so nachhaltig mit anderen Blättern fusioniert, dass dabei zwar ein Zeitungsmantel, aber keine Redakteure mehr übrig geblieben sind.

Immerhin gibt es ja noch die Post. Die Post? Nackter Hohn. Natürlich gibt es die Post nicht mehr. Längst nicht mehr. Die Post ist jetzt entweder die Postbank oder sie ist eine Ladentheke in einem Weiß-nicht-was-Geschäft. Der Weiß-nicht-was-Geschäftsinhaber, der sich gut mit Gummibären, Frauenzeitschriften oder Dosengetränken auskennt, sagt einem, wie man Briefe zu frankieren hat oder gibt einem das Paket, das der Postbote - den wird es auch bald nicht mehr geben - nicht abliefern konnte. Briefe kriegt man ohnehin kaum mehr, weil die Leute alle Mails schreiben. Wenn man jemandem sagt, man habe keine private E-Mail-Adresse, wird man so angeschaut, als gehöre man in Sicherungsverwahrung oder zumindest unter eine elektronische, wenn nicht gar elektrische Halsfessel. Ach ja, Briefmarken gibt es eigentlich auch keine mehr. Das sind jetzt paninihafte Klebeetiketten in kleinen Heftchen oder man druckt sie gleich am Automaten selbst.

Wahrscheinlich ist das einfach so in den modernen Zeiten: Wirtshaus weg, Zeitung weg, Sparkasse verprotzt, Post verschwunden. In Berlin, so war neulich zu lesen, machen sie bis zum Ende des Jahres alle noch verbliebenen reinen Postämter zu. Alle. In Berlin gibt es dann kein Postamt mehr, kein einziges.

Früher war es am Monatsanfang so: Man ging mit der Oma auf die Post, wo sie die Rente abholte. Dann durfte man sich einen Elastolin-Indianer kaufen oder ein Modellauto. Die Post war gut, weil sie der Oma Geld gab und dem Kind Indianer, zumindest mittelbar. Aber das sind nur blöde Gefühle.

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