Deutsche und Italiener:Die Nazis und die Mafia

Von wegen Amore: Wie fremd Deutsche und Italiener einander wirklich sind.

Henning Klüver

Die Nerven im Verhältnis zwischen der deutschen und der italienischen Öffentlichkeit liegen nicht blank, aber gereizt ist die Stimmung schon zur Zeit. Gerade berichteten die italienischen Medien groß über einen Brief des römischen Botschafters in Berlin, Antonio Puri Purini, an den Spiegel.

Darin verwahrt sich der Diplomat gegen eine angeblich pauschale Berichterstattung des Hamburger Nachrichtenmagazins. Das hatte in einem Beitrag unter der Überschrift "Weiße Weste für eine Parallelwelt" den rund 530.000 in Deutschland lebenden Italienern vorgeworfen, sie würden weitgehend in einer "abgeschlossenen Struktur von Familienbünden" nach "süditalienischen Prinzipien" leben, "die damit hierzulande einen prächtigen Nährboden bieten für die Geschäfte der Mafia, in aller Diskretion, zuverlässig und effizient."

Wenn die Mafia im Spiel ist, sei es im neapolitanischen Müllskandal oder in Pizzerien-Ketten auf deutschem Boden, ist Aufmerksamkeit gesichert.

"Die Italiener? Sie sind keine Mafiosi" zitierte die römische Tageszeitung La Repubblica in der Schlagzeile ihres Berichtes aus dem Brief von Puri Purini. Die italienischen Medien, die erst durch die Intervention des Botschafters auf einen Artikel aufmerksam wurden, der bereits drei Wochen zuvor erschienen war, übersahen dabei, dass der Bericht des Spiegels trotz des einen oder anderen Klischees faktenreich eine erschreckende kulturelle Rückständigkeit der italienischen Kolonie in Deutschland beschrieb.

In Italien erinnerte man lieber daran, wie häufig gerade der Spiegel Klischees über das Land südlich der Alpen verbreiten würde: Von dem berühmten Titelbild aus den siebziger Jahren mit einem Revolver auf einem dampfenden Spaghetti-Gericht bis zur unsäglichen Glosse auf Spiegel Online während der Fußball-WM im Juni 2006, in der kurz vor dem Halbfinalspiel Italien - Deutschland der italienische Mann, der beim Sport "besonders tückisch" sei, verächtlich gemacht wurde.

Die Toten von Turin

Was im stereotypischen Umgang miteinander den Deutschen die Mafiosi sind, sind den Italienern die Nazis. Vergangenen Donnerstag machte die Repubblica ihren Kulturteil mit einem ganzseitigen Bericht über die "versteckten Verbrechen" der Wehrmacht anlässlich der ZDF-Dokumentation über das britische Gefangenenlager Trent Park auf.

In den Tagen zuvor hatten die italienischen Medien süffisant über Roland Kochs Idee zur Einrichtung von Erziehungslagern für straffällige Ausländer in Deutschland berichtet und die Artikel unter anderem mit Fotos vom KZ Dachau illustriert.

Und dass eine Thyssen-Tochter im März 1945 zum Höhepunkt einer SS-Party im österreichischen Schloss Rechnitz an der Erschießung von Juden beteiligt gewesen sein soll, daran erinnerte sich die italienische Öffentlichkeit wieder, als im Dezember bei einem verheerenden Großbrand im Turiner Stahlwerk, das zur Thyssen-Krupp-Gruppe gehört, sieben Arbeiter ums Leben kamen. Das deutsche Unternehmen, so der Vorwurf der lokalen Gewerkschaften, sei durch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen am Tod der Arbeiter zumindest mitschuldig. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen Ermittlungen aufgenommen.

Die Toten von Turin (das letzte der sieben Opfer, das am Silvester-Tag seinen schweren Verletzungen erlegen war, wurde Ende der Woche zu Grabe getragen) verweisen beispielhaft auf einen der vielen kulturellen Unterschiede zwischen der deutschen und der italienischen Gesellschaft.

Während zum Beispiel in Deutschland tödliche Arbeitsunfälle kaum noch wahrgenommen oder höchstens wie Verkehrstote bedauernd registriert werden, rufen sie in Italien kollektive Trauer hervor. In Turin kam es zu Demonstrationen, bei denen rund 30.000 Menschen durch die Straßen zogen und Aufklärung über die Ursachen des Unglücks forderten. Zeitweilig wurde die Weihnachtsbeleuchtung in einigen Großstädten ausgeschaltet. Und die Einnahmen der Erstligabegegnung SSC Neapel gegen FC Turin am Sonntag nach dem Unglück wurden den Hinterbliebenen der Opfer gespendet.

Ausführlich nahm Staatspräsident Giorgio Napolitano dann in seiner Neujahrsansprache zum Problem der Sicherheit am Arbeitsplatz Stellung. Der Vorfall beschäftigt die Medien des ganzen Landes auch noch im neuen Jahr.

Vielleicht eine Klage

Italien ist ein Land, das seine Fähigkeit zum öffentlichen Trauern (wie es sich ebenfalls nach dem Tod von Luciano Pavarotti zeigte) bewahrt hat. Es ist eine Trauer, in die sich manchmal Wut mischt - wie jetzt über die kühle Reaktion aus der Thyssen-Krupp-Zentrale in Duisburg und Essen, die mit einem kargen Kommuniqué alle Schuld von sich weist und eine "Verkettung unglücklicher Umstände" für den Tod der sieben Arbeiter verantwortlich macht. In der aufflammenden antideutschen Stimmung wird allerdings hier und da vergessen, dass die Leitung des Werkes in Turin, das jetzt geschlossen werden soll, in italienischen Händen liegt.

So erinnerte der Intellektuelle Adriano Sofri daran, dass der Tod von sechs Italienern bei einem Mafia-Anschlag vor einem Restaurant in Duisburg "eine italienische Tragödie" gewesen sei. Warum, so fragt Sofri in der Repubblica, habe die deutsche Öffentlichkeit die Toten von Turin nicht auch als "deutsche Tragödie" begriffen?

Giuseppe Vita, sizilianischer Top-Manager von Schering und Springer, erklärt das im Corriere della Sera damit, dass sich die Welt und also auch Deutschland eben nicht für Italien interessiere. Immerhin soll es inzwischen zu ersten Kontakten zwischen den italienischen Gewerkschaften und der IG Metall gekommen sein. Die will prüfen, ob man nicht auch in Deutschland Klage gegen Thyssen-Krupp einreichen kann.

Wie wenig die beiden Länder voneinander wahrnehmen und mit welchen kulturgeschichtlichen Klischees mitunter selbst von Behörden hantiert wird, hatte sich auch vor zwei Monaten gezeigt, als die italienischen Medien über den Urteilsspruch eines Richters aus Bückeburg bei Hannover berichteten. Der hatte einen italienischen Staatsbürger zu einer Gefängnisstrafe von sechs Jahren verurteilt.

Der Angeklagte, ein 29-jähriger Kellner aus Sardinien, war schuldig befunden worden, aus Eifersucht seine frühere Verlobte entführt, drei Wochen lang gefangengehalten und dabei fortwährend geschlagen, gefoltert und sexuell misshandelt zu haben. Der Richter verhängte nicht die Höchststrafe, sondern ließ mildernde Umstände gelten, weil es sich bei dem Angeklagten um einen Sarden handelte, dessen "kulturelle und ethnische Prägung" man zu berücksichtigen habe.

Der pure Wahnsinn

Das Frauenbild, so der Richter, das in der sardischen Heimat des Angeklagten herrsche, könne nicht als Entschuldigung für die Tat gelten, müsse aber als mildernder Umstand herangezogen werden.

Das Urteil, das bereits im Jahr 2006 gefällt worden war, wurde erst ein Jahr später in Italien bekannt, als der Verurteilte um eine Verlegung in ein italienisches Gefängnis bat, um den Rest seiner Strafe abzusitzen. Die Reaktion der italienischen Öffentlichkeit über die Urteilsbegründung reichte von der Empörung angesichts des "blanken Rassismus" bis hin zum Hinweis, dass die sardische Gesellschaft historisch vom Matriarchat geprägt sei.

Ein Staatssekretär (Luigi Manconi) erregte sich über den "differenzierten Rassismus" der deutschen Justiz. Ein Schriftsteller (Marcello Fois) nannte das "puren Wahnsinn"; das sei so, als ob ein sardisches Gericht einem deutschen Antisemiten mildernde Umstände zusprechen würde, weil er ja in Deutschland aufgewachsen sei. Bei der deutschen Botschaft in Rom standen mehre Tage lang die Telefone nicht still. Und in Internet-Blogs konnte man den Tenor einer allgemeinen Stimmung spüren, der hier und da knapp zusammengefasst wurde: "Was kann man sich schon von einem deutschen Richter erwarten."

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