Deutsche Sprache:Babel ist uns einerlei

Die Sprache des Fortschritts ist Englisch, und gerade in den Wissenschaften haben die anderen europäischen Sprachen vor der Übermacht kapituliert. Where is the problem?

Kristina Maidt-Zinke

Wo ist das Problem? Genauer: Where's the problem? Die Globalisierung schreitet unaufhaltsam fort, die Sprache des Fortschritts, so haben wir es gelernt, ist das Englische, und folglich bedient sich die Wissenschaft, ihrer Natur nach an der Frontlinie des Denkens und auf internationale Kommunikation mindestens so angewiesen wie die Wirtschaft, zunehmend dieses Idioms, das neuerdings gern als "Lingua franca" bezeichnet wird. Auch wenn die wenigsten wissen, was das bedeutet - es klingt jedenfalls nach "frank und frei", und Freiheit ist bekanntlich die Hauptsache.

Pflaster

Wird den Deutschen der Mund verboten? Gut möglich. Doch die Bevölkerung würde dies kaum bemerken, nimmt sie doch mehrheitlich keinen Anteil am Diskurs über den Wandel der deutschen Sprache.

(Foto: iStockphoto)

Es wird sich dabei gewiss nicht um die Service-Radebrecherei der Deutschen Bahn oder das Denglish mancher Ministerpräsidenten handeln, denn die Scientific Community muss sich ja, in welcher Sprache auch immer, auf hohem Niveau verständigen. Außerdem dürfte es der Mehrheit der Bevölkerung egal sein, unter welchem linguistischen Label ein Diskurs zelebriert wird, an dem sie kaum Anteil nimmt.

Vor diesem Hintergrund könnte eine Tagung zum Thema "Deutsch in der Wissenschaft" leicht unter den Verdacht geraten, hier seien ewiggestrige Sprachkonservatoren und Anglizismenjäger am Werk, die dem einheimischen Wissenschaftsjargon ein deutsches Reinheitsgebot verordnen wollten. Bei dem Kolloquium aber, das die Tutzinger Akademie für Politische Bildung in Kooperation mit der Volkswagenstiftung veranstaltete, erhellte schon der Untertitel, dass Komplexeres zur Debatte stand, nämlich die "künftige Rolle des Deutschen in der Wissenschaft" und die "Chancen wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit".

Sowohl der Versammlungsort als auch die Besetzung der Podien mit Prominenz aus Politik und Wissenschaft signalisierten, dass es hier nicht um Interna des Elfenbeinturms, sondern um Fragen von gesellschaftlicher Bedeutung gehen sollte. Die ganze Tragweite des Problems zeigte sich jedoch erst in den Erfahrungsberichten aus der akademischen Praxis und, wenngleich auf andere Art, in den teils alarmierten, teils ratlosen Lageschilderungen der Politiker: Die sich beschleunigende Kapitulation der europäischen Sprachen, insbesondere des Deutschen, vor einem Global-Englisch im wesentlichen amerikanischer Provenienz vollzieht sich offenbar nirgends so ausgeprägt wie im Bereich von Forschung und Lehre. Und von dort aus könnte sie langfristig erhebliche Auswirkungen auf Kultur und Gesellschaft des Kontinents haben - eine Perspektive, für die jene Öffentlichkeit, die sich mit Bastian Sick und Konsorten um die Verrottung der deutschen Alltagssprache sorgt, noch nicht einmal ansatzweise sensibilisiert ist.

Natürlich hatten sich fast alle mit einschlägigen Zitaten über den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken, Sprache und Erkenntnis, Sprache und Welterfahrung bevorratet, von Goethe und Humboldt, Herder, Heine und Gadamer, Marie von Ebner-Eschenbach und sogar Reiner Kunze. Bundestagspräsident Norbert Lammert, sein Vize Wolfgang Thierse und beider Vorgängerin Antje Vollmer, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Monika Grütters vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien, Friedrich Rothenpieler vom Bayerischen Wissenschaftsministerium und Michael Kretschmer von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - alle stimmten sie darin überein, dass die deutsche Sprache irgendwie bedroht und in Schutz zu nehmen sei, waren sich indes uneinig, was die Einschätzung der Gefahrenlage und die Sinnhaftigkeit oder Durchsetzbarkeit politischer Maßnahmen betrifft.

Lesen Sie auf Seite 2: Die Sorgen der Linguisten und ihr Abgesang auf die deutsche Sprache.

Abschied vom Deutschen

Denn das ebenfalls gern zitierte Diktum der ehemaligen Goethe-Institutspräsidentin Jutta Limbach, Politik sei für Sprache zwar nicht zuständig, aber mitverantwortlich, lässt sich sehr weiträumig auslegen. Und dann ist da eben die EU, in der einzig die Franzosen noch hartnäckig um ihre linguistischen Belange kämpfen, während ansonsten, trotz 23 verschiedener Amtssprachen und drei offiziellen Arbeitssprachen, das Englische längst dominiert. Dem kuriosen Widerspruch, dass die Globalisierung mit einer sukzessiven Beschneidung der Sprachenvielfalt im öffentlichen Raum einhergeht, kann deshalb durch die Verankerung des Deutschen als Landessprache im Grundgesetz, für die Norbert Lammert eintritt, wohl kaum wirksam begegnet werden.

Vorauseilender Gehorsam

Näher an den Kern des Problems führt Lammerts Polemik gegen die sprachliche "Selbstentmündigung" deutscher Wissenschaftler in der internationalen Kommunikation: Sein Vorwurf des "vorauseilenden Gehorsams" wurde denn auch von den anwesenden Vertretern des Lehr- und Forschungsbetriebs, die sich mehrheitlich als Leidtragende jenes Trends zu erkennen gaben, mit Applaus quittiert.

Wer hier eigentlich wem gehorcht und warum, ist ein Geheimnis, das selbst noch zum Gegenstand der Forschung werden müsste. Die Bestandsaufnahmen der Referenten aus diversen Fachbereichen der Natur-, Technik-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften belegten jedenfalls, wenn auch bei den einzelnen Disziplinen in unterschiedlichem Ausmaß, was die Linguisten Konrad Ehlich und Hans Joachim Meyer zuvor thesenartig resümiert hatten: Die Mehrsprachigkeit, die aufgrund der spezifischen kognitiven Potentiale der einzelnen Sprachen, aber auch aufgrund der Diversität der damit verbundenen Forschungstraditionen die Wissenschaft belebt und bereichert, also eine maßgebliche Ressource ihrer Entwicklung darstellt, ist massiv bedroht durch den grassierenden, vielfach schon verordneten Gebrauch eines auf die Grundfunktionen reduzierten Englisch (das mit der gleichnamigen Kultursprache wenig zu tun hat), nicht nur bei der internationalen Verständigung, sondern auch innerhalb der forschenden und forschungsfördernden Institutionen, auf nationalen Konferenzen, bei Publikationen und im Lehrbetrieb.

Die Einführung eines angeblich existierenden anglo-amerikanischen Systems akademischer Grade unter Berufung auf die Bologna-Erklärung ist damit ebenso verquickt wie die Vorschriften der sogenannten Exzellenz-Initiative im Hinblick auf englischsprachige Anträge und Evaluationen. Insgesamt werde, so die Initiatoren des Kolloquiums, "durch Entscheidungen der Wissenschaftspolitik und der großen Wissenschaftsorganisationen der Abschied vom Deutschen maßgeblich befördert".

Vergleichbares gilt - mit Ausnahme vielleicht des Französischen - aber auch für die anderen europäischen Hauptsprachen, während kleinere Sprachräume wie in Skandinavien, vor allem aber in Osteuropa, mit der Gefahr einer "wissenschaftlichen Sprachlosigkeit" in ihrem eigenen Idiom konfrontiert sind. Die absehbare Folge ist, wie der Wissenschaftsrats-Vorsitzende Peter Strohschneider darlegte, nicht nur der "Untergang geistiger Welten", sondern auch das "Verschwinden intellektueller Standards", die in der Methodengeschichte der jeweiligen Sprachen aufgehoben sind.

Wissenschaftliche Sprachlosigkeit

Anschauungsmaterial für diesen kulturell fatalen Prozess gab es zuhauf, vor allem aus dem Lager der Geisteswissenschaftler, wo einerseits die Energie zum Widerstand ungebrochen scheint, andererseits ein apokalyptischer Pessimismus mit ironischer Komponente nicht verhohlen wird. Der Linguist Jürgen Trabant, der die Begeisterung für das "globalesische" Englisch religiös motiviert sieht (endlich ist Babel überwunden), räumte mit populären Illusionen über die "Lingua franca" auf, die in Wahrheit ein "Pidgin auf romanischer Basis in den Häfen des Mittelmeers" war.

Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp sieht in seinem Fach den Untergang europäischer Traditionen schon besiegelt. Und der britische Sprachwissenschaftler Robert Phillipson stützte mit brisanten Anmerkungen zum "linguistischen Kulturimperialismus" die Vermutung, dass die Globalisierung samt Anglophonie kein Naturereignis ist, sondern ein von ökonomischen Interessen geleitetes "Projekt". Die gute Nachricht: Chinesen lernen neuerdings Latein statt Englisch. Und am Ende wurden wieder Thesen formuliert - diesmal als konkrete Rettungsvorschläge. Davon wird man in Zukunft noch hören.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: