Deutsche Literatur:Pulle Cola, Liter Milch

Im vergangenen Jahr starb der Bochumer Schriftsteller Wolfgang Welt im Alter von 64 Jahren. Jetzt hat die Zeitschrift "Schreibheft" aus dem Nachlass das Romanfragment "Die Pannschüppe" und Briefe Welts publiziert.

Von Willi WInkler

"Es wird einmal so sein", weissagte der Prophet und er nannte es wirklich eine "Weissagung", "dass die Autoren, die kommen werden, nicht mehr damit groß tun, wie sehr es ihnen um die Sprache geht, sondern sie werden die Erfahrungen, die sie mit deren Möglichkeiten gemacht haben, verwerten, indem sie, ohne ihre Großtaten herauszuposaunen, einfach darangehen, mit dem Rüstzeug, das sie aus den Worten gelernt haben, ihre alten und neuen Geschichten zu erzählen." 21 Jahre war Peter Handke damals alt, ein ungeheuer selbstbewusster, aber noch unveröffentlichter Autor, der nicht ahnen konnte, wie vielen Lesern er einmal mit seinen Büchern zum Schreiben verhelfen würde.

Ein Meisterschüler war der im vergangenen Sommer im Alter von erst 64 Jahren verstorbene Wolfgang Welt. Mit Handke im Kopf geriet Welt als Oberschüler in Bochum, wo er 1952 geboren wurde, in die Sphäre der "Großen Wörter" (wie ein Lebensbuch des leider völlig vergessenen Franz Innerhofer heißt). Er studierte ein bisschen an der Ruhr-Universität, schrieb für Szeneblätter, die in den Achtzigern noch keine Programmzeitschriften mit "Gastro-Tipps" und ähnlich Widerwärtigem waren, arbeitete als Plattenverkäufer, fallierte gründlich und wurde damit zum Autor seines eigenen Lebens zwischen Büdchen, samstags Fußball und naturgemäß zu wenig Frauen.

Bücher, Literatur, gar Selberschreiben, das war für einen wie ihn nicht vorgesehen. Nach dem ersten Mal mit seiner Freundin erzählt er ihr, dass er Schriftsteller werden wolle. "Es schien sie nicht besonders zu beeindrucken." Es muss aber sein, notfalls mit Gewalt: "Ich stand gegen halb drei auf, ging von der Mansarde runter und holte mir aus dem Kühlschrank 'ne Pulle Cola und 'n Liter Milch. Dann schrieb ich. Um sechs war das Ding fertig." Dieses Ding ist die Selberlebensbeschreibung "Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe", ein Pott-Bildungsroman, wie ihn sonst keiner erlebt hatte und folglich auch keiner schreiben konnte, seine Geschichte und nicht seine allein: "Ich will einigen Leuten ein Denkmal setzen, die sonst nicht mal einen Grabstein kriegen würden."

"Weiß nich, ob Sie schon watt von mir gehört haben", schreibt er an Siegfried Unseld

Aus dem Nachlass, der im Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf aufbewahrt wird, ist jetzt in der Zeitschrift Schreibheft ein kostbares Welt-Fragment erschienen, "Die Pannschüppe", Anfang eines Romans, der wieder keiner sein konnte (Schreibheft. Zeitschrift für Literatur, Nr. 88, Essen 2017. 200 Seiten, 13 Euro). "Meine Romane habe ich ja erlebt", schreibt Wolfgang Welt im November 1981 vorsichtig defensiv an den verehrten Schriftsteller Hermann Lenz, mit dem er regelmäßig korrespondiert, und das Leben ist manchmal so einfach wie ein Roman, die richtige Sprache vorausgesetzt. "Ich ging ins Schwimmbad, zog mich um und schwamm hinaus zur Insel, die in der Mitte des Sees lag. Dort legte ich mich hin, ohne mich einzucremen. Die Sonne schien heiß. Nachts konnte ich nicht schlafen, weil ich verbrannt war. Ich habe heute noch Flecken davon."

In dieser Lakonie der scheinschlichten Sätze ist Wolfgang Welt unübertroffen. Frank Witzel, mit dem er sich in seinem letzten Jahr angefreundet hatte, meint, dass bei Welt "immer mehr ungesagt bleibt als gesagt", weshalb er seine Geschichte, seinen Roman, diese eine große Fluchtbewegung auf der Stelle, immer wieder neu schreiben musste.

"Weiß nich, ob Sie schon watt von mir gehört haben", prollt er sich 1981 mit "Herzlichst" an Siegfried Unseld heran, kann auf die Bekanntschaft mit Lenz und einen weiteren Suhrkamp-Autor verweisen, auf Paul Nizon, "dem ich in Ffm. an Ihrem Stand um den beschalten Hals fiel". 28 Jahre später ist dann tatsächlich ein Buch von Wolfgang Welt bei Suhrkamp erschienen, "Doris hilft", noch ein Bruchstück einer großen Konfession.

Die "Pannschüppe", erläutert der Autor, "ist ein Werkzeug unter Tage, mit dem die Bergleute Kohle schaufeln". Weil der Fußballplatz auf dem Gelände der Zeche liegt, heißt auch der Verein so und der geplante Roman. Wieder musste das Schreiben erzwungen werden. Welt setzte die Psychopharmaka ab, die ihm sonst die Arbeit als Nachtwächter im Bochumer Schauspielhaus ermöglichten, und redete von sich, von seinem Leben, von Willy Hagara also, von Frikadellen, von Sauerkraut mit Porree, vom frühen Fernsehen, als die Serie "So weit die Füße tragen" lief, vom Fußball bis fast zur Kreisklasse, wie er den Lehrer damit verblüffte, dass er ihm mit Handkes "Angst des Tormanns beim Elfmeter" kam, und von Buddy Holly natürlich. Es ist eine alte Geschichte, aber wieder neu erzählt, erzählt alles in diesem atemlos gebremsten Welt-Stil, den ihm so leicht keiner nachschreibt.

"Manchmal ist mir wirr im Schädel geworden bei all Ihren inneren Sprüngen, hin und zurück in Zeit und Raum", hat ihm Handke vor einem Jahr dazu gesagt und dazugesetzt: "Aber recht so, so eine Wirrheit tut gut." Der Brief ist zusammen mit dem Mail-Wechsel mit Witzel, den Briefen an Hermann Lenz und dem an Siegfried Unseld im dafür gar nicht genug und auch sonst nur zu preisenden Schreibheft erschienen. Ausnahmsweise sei der unvergessene Literaturkritiker Aurelius Augustinus bemüht: Nimm und lies!

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