Deutsche Literatur:Hic Hoppe, hic salta!

Felicitas Hoppe reist durch die USA - auf den Spuren der beiden russischen Autoren Ilf und Petrow, die achtzig Jahre zuvor im Auftrag der Zeitung "Prawda" den Kontinent bereisten.

Von Frauke Meyer-Gosau

Am 10. September 2015 besteigt Felicitas Hoppe, weit gereiste Autorin von Erzählungen und Romanen, in Boston einen rubinroten Ford Explorer, aus naheliegenden Gründen "Red Ruby" genannt. Ein "Explorer" muss es unbedingt sein, denn die Erzählerin hat vor, "auf den Spuren eines russischen Kleinplaneten" sowie auf der Suche nach "dem neuen Menschen von gestern" die USA zu durchqueren: "über zehntausend Meilen von Ost nach West und von Südwest nach Ost, und das alles in weniger als sechzig Tagen". Vernünftigerweise ist sie dabei nicht allein.

In einem kuriosen Auswahlverfahren hat Hoppe nämlich drei Reisegefährten ermittelt, und so werden sich nun "MsAnnAdams", aus Wien gebürtige Professorin am Dartmouth College in New Hampshire, und Foma, Sohn eines russischen Generals aus Kiew, Landschaftsgärtner, Künstler und "auf der Suche nach dem größten Kaktus der Welt", am Steuer von Red Ruby ablösen. Die vierte Mitreisende, Jerry Miller, stammt aus Halle und ist Tochter eines Hauptmanns, ihr Reisegrund: ein Foto-Projekt mit dem "Arbeitstitel: Bräute am Wegrand".

Illustrationen zur Literaturbeilage 13.3.2018
(Foto: Job Wouters)

Selbst wer noch nie etwas von Felicitas Hoppe gelesen haben sollte, wird allein aufgrund der Besetzung der Reisegruppe schon ahnen, dass er es in "Prawda" kaum mit einem schlichten touristischen Bericht zu tun bekommen wird - der erste Satz des Buches sagt es klipp und klar: "Wir sind doch hier nicht in Amerika!" Äußerlich sieht es zwar, betrachtet man die Reiseroute, zweifelsfrei so aus: Entlang an amerikanischen Sehenswürdigkeiten von Boston über die Niagarafälle, Detroit, Chicago und Santa Fe nach San Francisco und von dort via New Orleans, Atlanta und Washington D.C. wieder zurück nach New York führt der Weg durch den nordamerikanischen Kontinent. Doch kennt die innere Bewegung des Buches immer nur eine Richtung: strikt hinein in die Literatur, genauer, hinein in Hoppes Welt, ihren höchstpersönlichen fantastischen Kosmos.

Ihr bisheriges Werk hat Geschichte für Geschichte, Roman für Roman, zielgerichtet an diesem Privat-Universum gebaut - zuletzt führte die Groß-Erzählung "Hoppe" (2012) in einem über verschiedene Kontinente gespannten Bogen vor, was dem Leser geschieht, wenn er sich auf ein Genre-Versprechen dieser Autorin einlässt. Keineswegs war "Hoppe" eine Autobiografie, sondern die teils ins fabulöse Extrem getriebene literarische Möglichkeitsform der Lebensgeschichte einer Schriftstellerin namens Felicitas Hoppe.

Deutsche Literatur: Felicitas Hoppe: Prawda. Eine amerikanische Reise. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 317 Seiten, 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Felicitas Hoppe: Prawda. Eine amerikanische Reise. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 317 Seiten, 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Ebenso geht es nun auch mit der "amerikanischen Reise". Nach einem kleinen kanadischen Schlenker, der alsbald ins "Hoppe"-Land führt, an den Geburtsort des legendären Eishockeyspielers Wayne Gretzky, reist sie die Stationen ab, die achtzig Jahre zuvor das sowjetische Satiriker-Duo Ilja Ilf und Jewgenij Petrow im Auftrag der Zeitung Prawda absolvierte. Aber nur scheinbar bewegt sie sich in einer von anderen vorgezeichneten Welt. Sie füllt Ilfs und Petrows auf zeitgenössische Fakten wie eigene Bewertungen gestützte Berichte aus dem Reisebuch "Das eingeschossige Amerika" (deutsch 2011) mit ihrer eigenen Sicht der Dinge, Menschen und Landschaften auf, die ihr begegnen.

Dass diese Gegen-Welt durch und durch literarisch bestimmt ist, erweist sich dabei bis ins kleinste Detail - sogar die Suchmaschine, mit deren Hilfe der Kakteen-Liebhaber Foma den korrekten Kurs für Red Ruby zu finden versucht, trägt einen literarisch geprägten Namen: "Becky", wie Tom Sawyers Freundin Becky Thatcher. Und natürlich spielt dann auch Mark Twains Roman eine wichtige Rolle, wenn die Erzählerin in Toms Höhle eine magische Begegnung mit dem Maler "Brueghel dem Allerjüngsten" hat.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch "Eine amerikanische Reise" stellt der Verlag auf seiner Homepage zur Verfügung.

"Prawda", tatsachenbasierte "Wahrheit", ist von Felicitas Hoppe also auch in einem Buch dieses Titels nicht zu erwarten - gerade nicht! An die Stelle der greifbaren Wirklichkeit treten vielmehr von eigenen Fantasien und literarischen Assoziationen befeuerte Vorstellungen aus der Innenwelt der Autorin, die sich bei jedem Kontakt mit Menschen und Orten unverzüglich in Bewegung setzen; darin übrigens dem einstigen Zentralorgan der von Hoppe sogenannten sowjetischen "Bauernverbesserer" gar nicht so unähnlich, das ebenfalls gern Projektionen und überschießende Wünsche an die Stelle knochenharter Fakten setzte.

Diesen besonderen Gang der Dinge muss akzeptieren, wer sich mit Felicitas Hoppe auf die "amerikanische Reise" macht: Hic Hoppe, hic salta! Die reale Welt mit ihren Nöten, Beklemmungen, nicht selten schalen, dann aber plötzlich wieder berauschenden und beglückenden Freuden kann hier immer nur Anlass zum Erzählen sein, nie dessen Gegenstand.

Wer sich aber darauf einlässt, einfach einsteigt und mitfährt, wird reich belohnt. Das hat zum einen mit Hoppes häufig komödiantischer Sprache zu tun, in der "der dritte Schrauber von links" genauso sinnliche Gestalt annimmt wie die soundsovielte "Schlange des Volkes" vor jeder neuen touristischen Sehenswürdigkeit. Eine Sprache ist das, in der Hoppe'sche Sinnsprüche - "Das ganze Leben nichts als Wetter und Zufall. Das ist das wahre Amerika" - zur Strukturierung dieser Fahrt im eigenen Kopf ebenso beitragen wie wiederkehrende Slogans: "The fear starts here."

Gut möglich, dass mancher lesende Mitreisende "Prawda" leicht seekrank verlässt

Von bizarren Vorstellungen wie einem Rollstuhlwettrennen zwischen Henry Ford und Thomas Alva Edison oder einer Begegnung mit dem "Schatz" Quentin Tarantino am Mulholland Drive in Los Angeles führen die Phantasmen und Assoziationen der Icherzählerin allerdings auch immer wieder in die konkrete amerikanische Gesellschaft des Jahres 2015 zurück. Da besuchen "die Schrecklichen Vier" in New Orleans ein so skurriles wie beklemmendes Privat-Museum zum Gedenken an die Folgen des Wirbelsturms Katrina, da beobachtet "der müde Pharao" Barack Obama, wie der Wahlkampf um seine Nachfolge anläuft, während die "Dichterin" auf dem Rücksitz von Red Ruby den politischen Theoretiker Alexis de Tocqueville das Geschehen aus der Sicht des Jahres 1835 kommentieren lässt: "Es ist wirklich schwer einzusehen, wie Menschen, die der Gewohnheit, sich selbst zu regieren, vollständig entsagt haben, imstande sein könnten, diejenigen auszuwählen, die sie regieren sollen."

Die Wirklichkeit ist also durchaus nicht verschwunden aus Felicitas Hoppes "Prawda", sie wird nur gehörig verwirbelt, bis aus Eindrücken, Gelesenem, Beobachtetem und jäh einschießenden Einfällen ein kompaktes Stück Hoppe-Literatur geworden ist. Sich selbst lässt sie einmal mittels einer "Twister" genannten Windhose - ganz wie Dorothy im "Zauberer von Oz" - von einer Farm im Mittleren Westen direkt ins Tom Sawyer-Land wehen.

"Vermutlich bin ich selbst dieser Twister", sinniert die Erzählerin, "das alte Kinderspiel der Verrenkung und der Verwirrung, eine stürmische Bewegung nach vorn, die ihre Bewegung mit einem Ziel verwechselt, das sich niemals erreichen lässt." Gut möglich, dass mancher lesende Mitreisende "Prawda" leicht taumelnd, im Zustand kurzzeitiger Wahrnehmungs-Seekrankheit verlässt. Aber er hat eine Welt gesehen, wie sie seinen eigenen Augen niemals zugänglich wäre: Hoppes Welt.

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