Nach einer bekannten Anekdote lautete die Anweisung der Studiochefs an Hollywoods Drehbuchautoren in der großen, alten Zeit: mit einem Erdbeben beginnen und dann langsam steigern. An diese Regel hat sich Karl Wolfskehl in seinem Briefwechsel mit Stefan George gehalten. Gleich im ersten Brief, den der Gießener Germanistikstudent Wolfskehl, 23 Jahre alt, an den ein Jahr älteren, in einem kleinen Kreis bereits von einer geheimnisvollen Aura umwitterten Lyriker George richtet, heißt es: "Wenn es Einen Dichter giebt den ich mit Ihnen vergleichen möchte, so ist es Göthe in seiner vornehmsten ernstesten Schaffenszeit." Und George antwortet sogleich mit der ihm angemessenen Haltung, der junge Verehrer müsse sich für seine Begeisterung keineswegs genieren.
Deutsche Literatur:Der spröde Weihenstefan
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In der jetzt veröffentlichten Korrespondenz Stefan Georges mit Karl und Hanna Wolfskehl bleibt der Dichter blass - und seine Briefpartner glänzen.
Von Jens Malte Fischer