Deutsche Gegenwartsliteratur:Nö, da möchte man eher nicht mitmachen

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Du liest, wir erlassen dir dafür die Fahrtkosten, und zwar im gehobenen Segment (Zimmer mit Außenbalkon) - so lautet das Angebot. Nun überlegt Bodo Kirchhoff, ob er als Gastkünstler auf einer Kreuzfahrt mitreisen würde.

Von Gustav Seibt

Der Einfall ist hübsch. Bodo Kirchhoffs Text "Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt" ist das, was der Titel verspricht: eine sehr lange E-Mail. Ein Schriftsteller antwortet auf das Angebot, während einer Rundfahrt durch die Karibik zur Jahreswende - von Havanna nach Havanna führt die Route - als "Gastkünstler" auf einem Kreuzfahrtschiff dabei zu sein. Du liest, wir erlassen dir dafür die Fahrtkosten, und zwar im gehobenen Segment (Zimmer mit Außenbalkon), so lautet der Deal.

Kann man so ein Angebot ablehnen? Normale Passagiere zahlen viel Geld, um auf einer solchen schwimmenden Kleinstadt (5000 Gäste, 2000 Angestellte) dabei zu sein, gelegentlich an Land zu "schlurfen" (so der Ausdruck des Schriftstellers), es sich aber sonst unter tropischem Himmel bei üppiger Verpflegung, mit Wellness und Kulturprogramm exterritorial gutgehen zu lassen. Draußen der Meereshorizont, dann und wann ein Hafen. Drinnen Disco, Halligalli, aber auch Kultur. Diese auf allerlei Niveaustufen: Eine Marlen Dorée singt von "Wind im Haar, Wind im Herzen", ein Ötztal-Peter mutmaßlich vom Ötztal. Dazwischen der Autor "mit seinem leicht Bitteren im Gesicht, oft verwechselt mit Hochmut". Dann allerdings noch die schreibenden Kollegen, eine Krimiautorin mit Mord in ländlicher Umgebung und ein "Berufssympath", offenbar gut aussehend, der sich des "Alltags der Tätowierten und der träumenden Vorstadtschönheiten annimmt".

An Land schlurfende Tätowierte mit verträumten Schönen

Der Schreibende sieht sich in dieser kulturellen Hierarchie an der unkomfortablen Spitze, denn er erzählt "nur vom Leben in all seiner Unhaltbarkeit", nicht ohne an "tröstliche Anker" wie Ehe, Auto, Haustier zu denken, zweifelnd allerdings, denn "ich bin ja eigentlich im Abgrund zu Hause".

Ein solch bitter-verträumter Mensch soll nun also für mehrere Wochen unter karibischem Himmel (den er nicht durchweg tröstlich findet), Kulturlieferant, ja "Edutainer" spielen, nach seinen Veranstaltungen noch an der Bar für Gespräch und Kontakt bereitstehen, sich überhaupt immer wieder unters Konsumentenvolk mischen?

Man begreift nach drei Seiten, dass der Mann darauf keine Lust hat. Da die Mail aber noch 120 Seiten weitergeht - zu lange Mails sind heutzutage entschieden ein Schwächesignal, das zeigt, dass man beruflich nicht ganz ausgelastet ist, seelischen Druck abarbeiten muss, gar unter Einsamkeit leidet -, erweitert sie sich zu einer Suada, die rasch von der Selbstironie zur Kulturkritik überwechselt. Der Autor schreibt sich an einem langen Abend unter dem Einfluss sehr teurer Whiskys immer tiefer in Rage über die drohenden Zumutungen dieser nichtswürdigen Kreuzfahrt, er bemüht Kafka und Nietzsche ("Ich bin nicht der, der sein Gewässer trübt, damit es tiefer scheint"), fragt sich, ob Rilke, Camus oder die Duras die Einladung zu einer Kreuzfahrt angenommen hätten. Nö, bestimmt nicht. An Land schlurfende Tätowierte mit verträumten Schönen an ihrer Seite, also der konsumierende Durchschnittskleinbürger, waren nicht so ganz ihr Fall.

Alles gut und schön. Ein Text, der auf dem Grat zwischen Selbstpersiflage und immer wieder treffender Beobachtung herumspielt, der am Ende sogar auf eine allerdings nicht völlig überraschende Wendung hinsteuert, die mit der Adressatin, der einladenden Kulturmanagerin der Kreuzfahrtgesellschaft, zu tun hat, dem allerdings das Entscheidende fehlt: durchschlagender Witz. Kirchhoff versucht ihn, er spielt an auf Thomas-Mannsche Künstlerfremdheitsgefühle, er probiert wortspielende Suada ("Wahrheitsfinder sind nicht mehr gefragt, sie sind bloß noch gefragte Personen"), er hat konkrete Fantasie für Peinlichkeiten (zu dünne Wände zur Nebenkabine!), und doch bleibt der Text matt.

Wer eine Gegenprobe vergleichen mag, lese Walter Kempowskis Spätwerk "Letzte Grüße", das von der Lesereise eines deutschen Autors quer durch die USA handelt. Kempowskis letzte Größe bestand in der radikalen Demontage der Hauptfigur, das Selbstporträt eines Gealterten, Missgünstigen, rundum Peinlichen, in jedem Wortsinn Deplatzierten. Kirchhoffs bittersüße, nur halbironische Selbstgefälligkeit ist demgegenüber nur: ganz nett.

© SZ vom 29.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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