Deutsche Gegenwart:Grüße an Horst

"Eine Fiktion" nennt der Reporter Konstantin Richter sein Buch "Die Kanzlerin", aber ausgedacht hat er sich arg wenig.

Von Tobias Lehmkuhl

"Eine Fiktion" steht gleich unter dem Titel dieses Buches. Ausgedacht hat sich der 1971 geborene Reporter Konstantin Richter allerdings wenig. Die äußeren Umstände, in denen er seinen - nennen wir es Roman - angesiedelt hat, entsprechen denen des Jahres 2015: Die Kanzlerin besucht Bayreuth und hört "Tristan und Isolde", kurz darauf entscheidet sie, die Grenzen für die auf der Balkanroute herbeiströmenden Flüchtlinge zu öffnen. Schließlich beginnen Verhandlungen mit der Türkei, um eben diesen Strom einzudämmen.

Ja aber, könnte man einwenden, alles andere scheint doch der Fantasie des Autors entsprungen: Wie Angela Merkel einsam in der Skylobby des Kanzleramts sitzt und über das Glück sinniert. Wie sie von ihrem Mann Rat erhofft, Joachim Sauer aber lieber über seinen Kampf um Fördermittel monologisiert. Wie sie in der Uckermark Tulpenzwiebeln pflanzt und Christopher Clarke liest, aus der Historie aber ebenso wenig Aufschluss darüber erlangt, wie mit der schwierigen Situation umzugehen sei, wie von Martin Walser, den sie in einem Akt völliger Verzweiflung anruft, nur um ihn auf dem falschen Fuß zu erwischen.

All das ist freilich nicht passiert und also ausgedacht. Aber ist es eine Fiktion? Zumindest keine gute. Denn sie arbeitet einzig mit dem Naheliegenden. Sie bedient sich aller Merkel-Klischees, ohne daraus satirische Schärfe zu ziehen oder gar Einsichten in die Mechanismen der Politik zu gewinnen.

Anfangs erscheint die Kanzlerin in Konstantin Richters Vorstellung wie eine Autistin, die nur deshalb zur Opernpremiere auf den Grünen Hügel geht, weil in ihrer Biografie eben steht, sie liebe Opern. Immer wieder wird betont, wie gut sie darin ist, viele Informationen schnell aufzunehmen und zu verarbeiten - ein Aktenroboter.

Nur mit den Gefühlen hat es Angela Merkel, meint man gemeinhin, nicht so recht. Und so verpasst ihr Konstantin Richter für seine "Fiktion" gleich einen Überschuss davon. Von ihrer eigenen Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, völlig berauscht, wird sie zu einem von ihren Gefühlen hin- und hergerissenen Teenager, der an Horst Seehofer Kurznachrichten voller alberner Emoticons schickt. Ein flauer Witz, wie alle Witze in diesem Buch.

Manches stößt zudem recht unangenehm auf: Die Darstellung des Wissenschaftlers und Ehemannes Joachim Sauer scheint eher einem gewissen Ressentiment zu entspringen, wie auch der Angela Merkel unterstellte Gedanke, "manchmal wäre ich gerne tot" mehr mit Anmaßung als mit Erfindungsreichtum zu tun hat.

Nicht nur die Kanzlerin sollte ihre kostbare Zeit sinnvoller verbringen als mit der Lektüre von "Die Kanzlerin".

Konstantin Richter: Die Kanzlerin. Eine Fiktion. Kein und Aber Verlag, Zürich 2017. 176 Seiten, 18 Euro. E-Book 14,99 Euro.

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