Deutsche Gegenwart:Federkern, Ungeheuer

Deutsche Gegenwart: Tim Krohn: Aus dem Leben einer Matratze bester Machart. Galiani Berlin Verlag, Berlin 2014. 120 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.

Tim Krohn: Aus dem Leben einer Matratze bester Machart. Galiani Berlin Verlag, Berlin 2014. 120 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.

Tim Krohns makabrer Roman "Aus dem Leben einer Matratze bester Machart".

Von Hans-Peter Kunisch

Die Rhythmen der Literaturmoden werden schneller. Kaum reißt es ein, Gegenstände durch die Geschichte wandern zu lassen, Schreibtische, Autos oder Porzellanfiguren mit dem Pathos der Schicksale der Menschen aufzuladen, die sie berührt und benutzt haben, melden sich Spaßvögel, die den Trend ins Absurde führen, wie der Wahlzürcher Tim Krohn in seinem kleinen Buch "Aus dem Leben einer Matratze bester Machart", was platter klingt, als es ist.

Den besten Erfolg erzielt Krohn, wenn er anfangs das parodistische Element seines Erzählens zur Groteske steigert, der die Katastrophe als Vorlage dient: Er zeigt den jungen Berliner Juden Immanuel Wassermann als Leichtfuß, der 1935 nicht an das Unkengezeter der Zeit glauben will, seine Wasserfarbenfabrik weiterführt und mit seinem beigefarbenen Isotta-Fraschini nach Ascona und auf den Monte Verità braust, um vor Freigeistern von seiner neuen Farbe "Isabella" zu erzählen und sich am Abend in der Trattoria dell' Nonno in die junge Kellnerin Gioia zu verlieben, sie am nächsten Morgen zu heiraten und die Schamvolle schließlich im süddeutschen Leonhardshof, auf einer vom Gasthofbesitzer beim Fabrikanten-Bruder frisch besorgten Federkernmatratze zu entjungfern. Woraus ein Blutfleck resultiert, was zu Wassermanns Kauf der Matratze führt, mit der das Paar nach Berlin fährt.

Der zentrale Kunstgriff des Erzählers ist hier der Zeit- und Tatenraffer, der keine epische Breite zulässt, wie sonst oft bei "Gegenstands-Romanen", sondern die Geschichte der Matratze Immanuel Wassermanns derart verkürzt, dass sie locker voranhüpft, was, in Kombination mit den historischen Erwartbarkeiten, makabren Schauder erzeugt. In diese Richtung bewegt sich Krohn auch mit der nächsten Geschichte: Im schweizerischen Schaffhausen spielen die Kinder von Weishaupts 1944 Bombenangriff - der in der Regel die deutschen Nachbarn trifft. Die Matratze, die den Weishaupts, zusammen mit der Wohnung, von ihrer Vormieterin Gioia Wassermann übergeben wurde, liegt im Keller, die grausamen Kinder schlafen gut auf ihr. Sie verströmen eine noch etwas ruppigere Lustigkeit als Immanuel Wassermann, dessen Verbleib unaufgeklärt bleibt, aber am Ende ist ihre Mutter tot.

So gelangt die durch Gioias Blutfleck bleibend gezeichnete Matratze über den aufopferungswilligen Simon Pistorius - er macht sich in der Nachkriegszeit um die Restitution von Kunstgegenständen aus jüdischem Besitz verdient - und ein älteres Paar an einen 1971er-Hippie-Jüngling, der im Ferienchalet seines Onkels Studentinnen flachlegt.

Natürlich verliert die Matratze literarisch an Gewicht, je weniger tragisch das Schicksal der auf ihr schlafenden Menschen ist. Aber bei aller sich zeitgemäß steigernden Belanglosigkeit der knapp erzählten Lebensgeschichten wartet man auf eine Bemerkung zu Immanuel Wassermann. Was macht Krohn mit ihm? Zugegeben: Diese Baustelle erzählerisch auszuloten fällt schwer. Es geht ja Krohn nicht unbedingt um wahre Geschichten. Sie sind wirklichkeitsnah und verzerrt zugleich, und nicht unbedingt genauso geschehen. Es geht auch um Symbole und Symbolpolitik.

Insofern ist es durchaus erstaunlich, wenn Immanuel Wassermann am Ende wieder auftaucht - als einsamer alter Mann in Nizza. Soll das eine Art happy ending mit Qualitäts-Matratze werden, schließt sich der Kreis wohlgefällig? Nein, aber um der Gefahr der Harmlosigkeit zu entgehen, nimmt Tim Krohn seinen Wassermann, dessen Übermut schon durch die erste Berliner Verhaftung gebrochen wurde, nicht ganz geschickt in die Pflicht der political incorrectness: "Die Jahre der Gefangenschaft danach, der Folter, des Tötens (denn auch er hatte getötet) hatten alles andere verdrängt."

Wie? Bei aller Liebe zu Auslassungen: Hier wüsste man gern, was genau hat Wassermann getan, wen hat der Jude getötet? Warum? Keine Antwort. Nur zwei weitere Sätze: "Dass er überlebt hatte, erfüllte ihn, als ihn die Amerikaner zehn Jahre später befreiten, vor allem mit Scham. Keiner hatte die Lagerhaft überlebt, ohne sich an anderen zu vergehen, und auch er war kein guter Mensch geblieben." Dass es Lagerinsassen gab, die nicht schuldlos blieben, hat man gehört und gelesen. Aber gleich alle, die danach noch am Leben waren?

Statt einen Einzelfall sorgfältig auszumalen, hat sich der nachgeborene Erzähler und mutige Verletzer politischer Korrektheit in die Arme von schüchterner Distanz und Größenwahn zugleich begeben - und tappt mitten ins Näpfchen: Der grotesk-makabre Matratzenspaß endet in grausamem Harmoniekitsch: Wir sind doch alle irgendwie gleich - Täter wie Opfer, nicht?

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