Deutsch-österr. Beziehungen:Kommt ein Paradeiser nach Cordoba und überrollt einen Piefke ...

Schmäh und Schmähung: Das Bonner Haus der Geschichte dokumentiert mit der Ausstellung: "Verfreundete Nachbarn" die ewige Hassliebe von Deutschen und Österreichern.

ALEXANDER KISSLER

O Zündnadelgewehr, o Königgrätz, o Moltke! Hätten die preußischen Truppen gewusst, was sie damals, am 3. Juli 1866, dank neuer Technik und strategischen Geschicks anrichteten, sie wären umgekehrt und hätten dem österreichischen Kaiserreich eine bittere Schmach, sich selbst aber ein schlechtes Image für Jahrhunderte erspart. Auf dem nordböhmischen Schlachtfeld wurde das Bild vom pickelhaubigen, humorlosen, hässlichen Deutschen geboren - dem Piefke. Ein gewisser Gottfried Piefke komponierte den "Königgrätzer Marsch" in A-Dur und vorwärts treibendem 6/8-Takt, und alle späteren deutsch-österreichischen Kollisionen, ob der Grillparzer-Streit von 1955, der "Sissi"-Streit von 1957 oder der Mozart-Streit von 2003, folgten teils unterschwellig, teils offen dem Motto "Rache für Königgrätz". Österreicher sein hieß und heißt oft, das Gegenteil eines Piefkes zu sein.

Deutsch-österr. Beziehungen: 1957 war die deutsche Botschaft so kühn, "Sissi" in Beirut als einen deutschen Film zu präsentieren. Diplomatische Verwicklungen folgten; die Piefkes hatten wieder zugeschlagen.

1957 war die deutsche Botschaft so kühn, "Sissi" in Beirut als einen deutschen Film zu präsentieren. Diplomatische Verwicklungen folgten; die Piefkes hatten wieder zugeschlagen.

Kommt ein Paradeiser nach Cordoba und überrollt einen Piefke ...

Am prägnantesten formulierte die vermeintliche Polarität Hugo von Hofmannsthal in seinem berühmten Schema "Preuße und Österreicher" von 1917. Demnach verwandelt Ersterer alles in Funktion, während der eitle, selbstironische, scheinbar unmündige Österreicher "alles ins Soziale umbiegt". Dennoch stand das beginnende 20. Jahrhundert im Zeichen fortwährender Annäherung. Die Nachbarn wollten nach dem gemeinsam verlorenen, gemeinsam mit verschuldeten Ersten Weltkrieg ein Herz und eine Seele und ein Staat sein. Thomas Mann forderte 1920, Robert Musil schon ein Jahr zuvor den Zusammenschluss; er wäre, so Musil, "einer der entscheidenden Schritte auf dem Weg zum Menschenstaat". Es kam ganz anders.

Deutsch-österr. Beziehungen: Dazu muss man nichts sagen.

Dazu muss man nichts sagen.

(Foto: alle Fotos: Katalog)

Die Spannbreite zwischen humanistischer Utopie und analytischer Skepsis gibt den Rahmen der Bonner Ausstellung "Verfreundete Nachbarn" vor. Sie endet mit dem Schema als einem Fazit und nimmt mit der Sehnsucht nach Einheit ihren Anfang. Vor den Zitaten Musils und Manns, im ersten der vielen halbrunden, engen Kabinette, thront ein wenig verloren auf Kniehöhe eine Replik der Kaiserkrone. Der hier deplaciert wirkende Prunk birgt eine schlichte Botschaft: Die Habsburger stellten von 1452 bis 1806, von Friedrich III. bis Franz II., die meisten Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation. Österreicher waren die Herren deutschen Namens.

In der Moderne führten allzu pathetische Verbrüderungen geradewegs in die Katastrophe. "Blankoscheck" und "Nibelungentreue" beschleunigten 1914 den Ausbruch des Weltkriegs. Vielleicht war es kein Schaden, dass die Siegermächte sich über das Selbstbestimmungsrecht hinwegsetzten und 1919 den beiderseits gewünschten Zusammenschluss verhinderten. Kaum hatte Hitler 1938 am Heldenplatz "vor der deutschen Geschichte den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich" verkündet, entwickelte sich die "Ostmark" zum nationalsozialistischen Laboratorium. Sie wurde, so der Wiener Historiker Gerhard Botz im facettenreichen Katalog, "ein Erprobungsfeld für eine besonders effiziente und rasche ,Entjudung' der Wirtschaft und des Berufslebens, wobei sich österreichische Nationalsozialisten besonders hervortaten". Ein Opfer war der 1938 emigrierte Sigmund Freud. Die ockerfarbene Reisetasche mit den Initialen "S. F." zählt zu den beklemmendsten Exponaten.

Immer wieder bellt der "Führer" seine Tiraden von der Leinwand herab; die Massen johlen. Trotz aller Inszenierung waren die meisten Österreicher nicht traurig über den "Anschluss". Der Antisemitismus, wie ihn auch ein niederösterreichischer Bierkrug von 1910 mit knollennasigen Klischeejuden und hetzerischen Sinnsprüchen dokumentiert, hatte das Feld bereitet. Neben der Leinwand ist eine goldene Schatulle drapiert. "Heilige Erde der Ostmark" steht darauf. Sie enthält Krumen aus Eisenstadt, Untersberg, Völkermarkt, Braunau am Inn und war ein Geschenk an den Diktator. Vielleicht ist es ja gar nicht der "alte, nie unterbrochene Kulturzusammenhang", von dem Musil schwärmte, vielleicht ist es nicht der Wunsch nach Anerkennung, der Österreicher und Deutsche eint - vielleicht ist es die Liebe zum Kitsch.

Die hohe Zeit des Kitsches waren die fünfziger und sechziger Jahre, als Österreich sich selbst die "Kaiserfilme" schenkte mit einem gutmütig grantelnden Franz Joseph und die Welt sich an "Sissi" delektierte. 1957 war die deutsche Botschaft so kühn, "Sissi" in Beirut als einen deutschen Film zu präsentieren. Diplomatische Verwicklungen folgten; die Piefkes hatten wieder zugeschlagen. Ein ebenso großer Exportschlager war "Der Förster vom Silberwald", der in seiner Heimat unter dem Titel "Echo der Berge" reüssiert hatte. Ihn und manch anderes Kleinod aus der österreichischen Traumfabrik montierten die Ausstellungsmacher auf drei Leinwänden nebeneinander, bis zum ersten "Musikantenstadl" auf deutschem Boden 1987: ein Panoptikum der Daseinsflucht, kuschelwarm und eiseskalt.

Eine Entdeckung ist die 1952 im Auftrag der österreichischen Regierung produzierte Satire "Der 1. April 2000", kuriose Science-Fiction in der Regie Wolfgang Liebeneiners, mit Josef Meinrad als Bundeskanzler, der die Unabhängigkeit des noch immer besetzten Österreich mannhaft proklamiert. Die "Weltschutzpolizei" gibt schließlich klein bei - auch deshalb, weil Hans Moser und Paul Hörbiger trällern: "Die Sonne scheint auf alle gleich, warum nicht auch auf Österreich?" Drei Jahre später wurde die Unabhängigkeit wahr. Ein Geheimpapier belegt, dass die Österreicher in den Verhandlungen mit den Alliierten jeder "Schuld-Verbundenheit" mit Deutschland eine Absage erteilten. Der Opfermythos wurde zur Gründungslegende.

Im selben Jahr eröffnete das Burgtheater wieder, und zwar, nach langen Auseinandersetzungen, nicht mit Goethes, des Deutschen, "Egmont", sondern mit "König Ottokars Glück und Ende" von Grillparzer. Der Österreicher, heißt es, sei "froh und frank / trägt seinen Fehl, trägt offen seine Freuden, / beneidet nicht, lässt lieber sich beneiden." Die Heimat nennt der Theaterdichter einen "wangenroten Jüngling" neben dem "Kind Italien" und dem "Manne Deutschland". Hat hier ein Land die ewige Jugend gepachtet? Oder lebt es in einer nicht endenwollenden Pubertät, ist unaufhörlich in den Flegeljahren?

Unreif schimpften viele Deutsche die Ausblendung der gemeinsamen Vergangenheit. Der Stern lästerte nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags: "Ein Führer war das verhängnisvollste Geschenk Österreichs an Deutschland." Mit solchen Äußerungen machten sich die Nachbarn nicht beliebter. Wie nahe Schmäh und Schmähung liegen, zeigten 1986 die Waldheim-Affäre und 1988 die "Heldenplatz"-Affäre. Da auch der deutsche Historiker Manfred Messerschmidt der Kommission angehörte, die die NS-Vergangenheit des österreichischen Bundespräsidenten untersuchte, erklärte die "Aktion Vorbild Österreich", Messerschmidt möge bitte "nach Tunlichkeit" seine "unselige Tätigkeit" einstellen. Burgtheater-Intendant Claus Peymann erhielt 1988 nach der Uraufführung von "Heldenplatz", Thomas Bernhards Abrechnung mit einem "brutalen und dummen Volk", Hassbriefe, darunter ein Billett mit dem Credo: "Ihr Deutschen habt uns Österreichern immer nur Unglück gebracht. Gott strafe Euch."

Nach "Cordoba", dem 3:2-Sieg Österreichs 1978 über den amtierenden Fußball-Weltmeister, schrieb ein Karikaturist: "Rache für Königgrätz". Wenn heute der Wiener ATX dem Frankfurter DAX im Sauseschritt enteilt, wenn deutsche Ärzte ihre Zukunft in österreichischen Spitälern finden, ist der Triumph des "kleinen Nachbarn" der Normalfall. Du, glückliches Österreich, kannst heute lachen und scherzen, wenn Germania ihre Wunden leckt und ihre Makel liebkost. Die anregende Ausstellung lässt aber keinen Zweifel daran, dass jede Epochenur ein Moment ist. Offen bleibt die eine Frage: War Mozart nun ein Österreicher oder ein Deutscher?

"Verfreundete Nachbarn. Deutschland - Österreich." Bis 23. Oktober im Haus der Geschichte, Bonn, danach in Leipzig und in Wien. Info: Tel. 0228/9165-0.Der Katalog, erschienen im Kerber-Verlag, kostet 19,90 Euro.

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