Deutsch als Fremdsprache:Zuflucht bei Goethe

Wer lernt Deutsch? Offenbar vor allem jene, die sich Sorgen um die Zukunft machen. Steckt ein Land in der Krise, steigt dort die Anzahl der Teilnehmer an Deutschkursen. Einige Statistiken des Goethe-Instituts.

Von Thomas Urban

Es bedarf eines hohen Maßes an Überzeugungskunst, einem Spanier den Unterschied zwischen dem deutschen Dativ und Akkusativ zu erklären. Denn ob ich einer Person etwas gebe oder eine Person sehe - im Spanischen steht beide Male die Präposition a. Doch Zehntausende Spanier haben sich in den letzten Jahren von der gramática horrible des Deutschen nicht schrecken lassen und sich in die Sprachkurse für Erwachsene der Goethe-Institute in Madrid, Barcelona, Granada und einem halben Dutzend weiterer Städte eingeschrieben. Der vermutliche Grund: Deutsch mit seiner schrecklichen Grammatik ist auch bestens geeignet als Sprache für schreckliche Zeiten.

Ein Blick in die jüngste Vergangenheit bestätigt diese Einschätzung: Madrid schaffte es vor zwei Jahren mit 5475 Kursteilnehmern an die Spitze der Statistik aller 160 Goethe-Institute weltweit. Im Land herrschte Krisenstimmung zwischen Panik und Paralyse. Die Medien waren voller Horrorszenarien, dass die stolze Nation sich ebenfalls, wie das ungeliebte Portugal und das noch weniger geschätzte Griechenland, unter den europäischen Rettungsschirm flüchten und eine Troika der internationalen Kreditgeber als Befehlsgeber hinnehmen müsse.

Sobald es Spanien besser ging, sank die Zahl der Teilnehmer an den Deutschkursen

Jedenfalls explodierte damals die Anzahl der Spanier, die Zuflucht bei Goethe suchten. Deutsch als Sprache derjenigen, die ihre Chancen auf dem heimischen Arbeitsmarkt durch diese Zusatzqualifikation erhöhen oder sich gar für die Flucht vor künftigen Kalamitäten wappnen wollten. Denn das ferne Deutschland, ein Land mit langen kalten Regenzeiten und schrecklich langem Winter, verheißt Stabilität und Arbeit. Margareta Hauschild, Direktorin des Goethe-Instituts in Madrid, hat keine Zweifel: "Die Krise hat das Deutschlernen befördert."

Aus den jüngsten Zahlen geht hervor, dass dieser Zusammenhang stimmt: Spanien hat im vergangenen Jahr die Rezession überwunden, es hat nach zwei Jahren eines harten Sanierungsprogramms den Trend gewendet und ist unter den EU-Ländern zum Spitzenreiter beim Wirtschaftswachstum geworden. "Damit ist auch die Bereitschaft deutlich zurückgegangen, Deutsch zu lernen", so Margareta Hauschild. 2014 sank die Zahl der Kursteilnehmer gegenüber dem Vorjahr auf 4574, in diesem Jahr auf 4298, Tendenz fallend. Die spanische Hauptstadt ist nun auf Platz 6 in der Rangliste der größten Goethe-Institute abgerutscht.

Den Spitzenplatz nimmt wieder Bangkok ein, wie schon vor dem spanischen Deutsch-Boom, die Teilnehmerzahl dort ist stabil, kein krisenbedingtes Auf oder Ab. Offenkundig geht es auch nicht um Flucht aus dem Land, sondern um die Gäste, die als Touristen in das Land kommen. Dagegen hat eine europäische Metropole krisenbedingt den Sprung in die Spitzengruppe gemacht: Kiew liegt nun auf dem vierten Platz, seit der Krim-Krise und dem Krieg in der Ostukraine ist die Teilnehmerzahl um rund 15 Prozent gestiegen. Wie bei manchen jungen Spaniern in der Krise treibt viele der Teilnehmer die Hoffnung an, mit korrekten Deklinationen und Konjunktiven die Chancen auf einen Job im stabilen Deutschland zu erhöhen. Aber auch das Moskauer Goethe-Institut taugt als Krisenbarometer: In den letzten beiden Jahren stieg die Anzahl der Kursteilnehmer um rund fünf Prozent. Tendenz steigend.

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