"Detroit" im Kino:Im Flammenmeer

Detroit

Eine Stadt im Ausnahmezustand: Für ihre Rekonstruktion der Unruhen mischt die Regisseurin aufwendige Inszenierungen mit Nachrichtenbildern.

(Foto: Concorde)

Kathryn Bigelow erzählt in ihrem Spielfilm "Detroit" von den brutalen Rassenunruhen im Amerika des Jahres 1967 - und wie wenig das Land aus dieser Geschichte gelernt hat.

Von Tobias Kniebe

Da rücken sie also an, die Besatzungstruppen. Panzer und Jeeps rollen durch Wohnviertel. Soldaten sitzen hinter Maschinengewehren und Bordkanonen, ihre Blicke suchen Dächer und Fenster nach Heckenschützen ab. Die Menschen am Straßenrand starren zurück. Ihre Gesichter wirken wie Masken der Resignation, hinter denen alles Mögliche verborgen bleibt: Angst, wahrscheinlich Hass, vielleicht auch suizidale Bereitschaft zum Widerstand.

Kennt man das Werk der Regisseurin Kathryn Bigelow, die mit ihren letzten beiden Filmen "The Hurt Locker" und "Zero Dark Thirty" eine Chronistin der jüngsten amerikanischen Militäreinsätze war, würde man diese Szene sofort im Irak verorten. So vertraut wirken diese Kriegsfilmperspektiven, so fremd erscheinen wieder einmal jene, die hier stumm von der Macht überrollt werden.

Umso größer ist dann das Erstaunen, ja der Erkenntnisschock, wenn klar wird, dass diese Bilder aus dem Herzen des Imperiums selbst stammen, aus dem Homeland der United States of America. Sie zeigen die Rassenunruhen von Detroit im Jahr 1967, wo wirklich Panzer und Jeeps im Einsatz waren, Fallschirmjägertruppen und Nationalgarde, mitten in den brennenden Wohnghettos der afroamerikanischen Bevölkerung. Und in einer Art Kurzschluss der Synapsen blitzt eine empathische Eselsbrücke für den weißen westlichen Kinogänger auf: Wird die Bürde der "Blackness" in Amerika nicht gleich viel greifbarer, wenn man sich ein Volk unter einer Besatzungsmacht vorstellt?

Dies scheint jedenfalls die Idee zu sein, mit der Kathryn Bigelow und Mark Boal, ihr Storyentwickler, Faktenjäger, Drehbuchautor und Co-Produzent seit mehr als zehn Jahren, hier anrücken und den Ausbruch der Unruhen, der Brandschatzungen und Plünderungen skizzieren. Aufwendige Rekonstruktionen und echte News-Bilder werden wild gemischt, dazu bebt die Tonspur im Nachrichtensprecher-Tremolo der damaligen Zeit. Es fallen Worte wie "Kriegszustand", "Scharfschützen auf den Dächern" und "Niemandsland", und auch der Unglaube hallt nach: "Nicht zu fassen, dass dies in Amerika passiert. Aber wir sehen es hier in Detroit."

Aus der Totale des gesetzlosen Flammenmeers fokussiert sich der Blick dann schnell auf einzelne Protagonisten. Einer davon fährt mit dem Polizeiauto durch die rauchenden Trümmer und erzählt seinen Cop-Kollegen, das alles sei doch vermeidbar gewesen, der Staat hätte nur viel zu lange zugeschaut. Als er einen jungen Schwarzen mit schweren Tüten sieht, springt er aus dem Wagen, rennt ihm hinterher und schießt ihm zweimal in den Rücken. Der Angeschossene kann sich noch davonschleppen, wird aber sterben. "Wir sollen nicht auf die Plünderer schießen", mahnt ein Kollege zaghaft. "Wie sollen wir sie dann stoppen?", lautet die Antwort, vollkommen ungerührt.

Philip Krauss heißt dieser junge Cop, und diese Figur basiert auf einem realen Vorbild, einem 24-jährigen Polizisten, der nach den Riots von Detroit wegen Mordes angeklagt war. Der britische Schauspieler Will Poulter verwandelt sich dafür in einen Amerikaner und spielt das absolut furchtlos und selbstvergessen - aber nicht nur das. Er hat eine stark gewölbte Stirn, fleischige Lippen und einen offenbar angeborenen Ausdruck tiefer Arroganz im Gesicht. Allein schon sein Anblick löst spontane Aversionen aus, und Bigelow beutet diese Eigenschaft effektiv aus. Er ist die Schlüsselfigur der Nacht, die nun folgen wird, Emotionskino der wuchtigsten Art - und am Ende wird es wenige Figuren in der Filmgeschichte geben, auf die man als Zuschauer einen vergleichbaren Hass empfunden hätte.

Auch seine nächsten Opfer lernen wir nun besser kennen: Zwei junge schwarze Musiker, Larry Reed und Fred Temple, die der Popcombo "The Dramatics" angehören und in Detroit, der Motown-Stadt, auf einen Plattenvertrag hoffen, zur Unterhaltung eines vorwiegend weißen Publikums. Dann den jungen schwarzen Mitarbeiter eines Sicherheitsdiensts, Melvin Dismukes; und zwei junge weiße Mädchen, die nur als Julie Ann und Kaitlyn eingeführt werden, aus Ohio stammen und in Detroit gerade Urlaub von ihren erzkonservativen Eltern machen.

Auch diese Figuren haben reale Vorbilder, zum Teil tragen sie sogar deren reale Namen. Sie alle treffen sich, während draußen die Krawalle weitertoben, im "Algiers Motel" im Virginia-Park-Viertel von Detroit. Der Abend am Pool erscheint fast noch wie eine Utopie in einer verdüsterten Welt, weil sich Schwarze und Weiße ganz unbefangen begegnen, flirten. Später dann knallt einer in der Gruppe mit einer Schreckschusspistole, es ist ein Spiel - aber vielleicht war es dieser Schuss, der zu der Meldung führte, im Rückgebäude des Hotels habe sich ein Heckenschütze verschanzt. Jetzt jedenfalls rücken der schießwütige Philip Krauss und mehrere andere Cops einer Taskforce an - und es dauert keine Minute, bis das erste schwarze Opfer ermordet auf dem Boden liegt.

Von Todesangst und völliger Rechtlosigkeit einer Terrornacht

Weil so ein Toter selbst in einer Nacht der Krawalle nicht leicht zu erklären ist, schiebt Krauss ihm ein geöffnetes Taschenmesser unter - das soll eine Notwehr-Lüge vorbereiten. Die hektische Suche nach irgendeiner Schusswaffe endet ergebnislos. Dafür werden die restlichen Gäste des Rückgebäudes, insgesamt sieben schwarze Männer und zwei weiße Frauen, mit erhobenen Händen im Gang aufgestellt und beschimpft, geschlagen, misshandelt. Polizist Krauss gibt dabei den Ton an, er verwandelt sich in eine Art KZ-Kommandant, bei dem man bald nicht mehr weiß, ob er wirklich noch an die Existenz einer versteckten Waffe glaubt - oder am Spiel der Folter einfach Gefallen gefunden hat, etwa bei dem von ihm erfundenen "Death Game" mit Scheinexekutionen im Nebenzimmer. Bevor der Morgen graut, werden es richtige Exekutionen sein.

Bigelow war es vermutlich leid, immer nur Hollywoods Kriegsreporterin zu sein

Was wirklich damals im "Algiers Motel" geschah, konnten mehrere Gerichtsverfahren in den Jahren danach nicht abschließend klären. Mark Boal und Kathryn Bigelow aber haben, nach eigenen Recherchen und Gesprächen mit Überlebenden, ihre Antwort gefunden - eine rassistische Justiz habe die Wahrheit verschleiert und die Täter wieder einmal laufen lassen. Ihr Ziel als Erzähler ist es, die Todesangst und völlige Rechtlosigkeit einer Terrornacht physisch spürbar zu machen - und die Erkenntnis ans Ende zu stellen, dass dahinter auch ein Terrorsystem steht, in dem die Opfer niemals Gerechtigkeit finden werden. Da grüßt dann wieder der Irak.

In Zeiten der Krawalle von Ferguson, nach den Toden von Michael Brown, Trayvon Martin, Oscar Grant und vielen anderen, im täglichen Kampf der "Black Lives Matter"-Bewegung ist das eine glasklare Position, die glasklar effektives Filmemachen erlaubt - und das Aufpeitschen der Emotionen.

Kathryn Bigelow, immer noch die einzige Frau mit einem Regie-Oscar, den sie für "The Hurt Locker" gewonnen hat, will sich damit als unzweideutig linke und politische Filmemacherin zu erkennen geben. Vielleicht war sie es leid, immer nur als kühle Hollywood-Kriegsreporterin gesehen zu werden, die zwar für ihre visuelle und erzählerische Brillanz gefeiert wird - aber letztlich mit dem Verdacht leben muss, amoralisch zu sein.

Bei "Zero Dark Thirty", ihrem Film über die Tötung Osama bin Ladens, gab es zum Beispiel Vorwürfe - nach Ansicht dieses Kritikers zu Unrecht -, sie habe dessen Exekution glorifiziert und sich nicht von den Foltermethoden der CIA, die im Film drastisch gezeigt werden, distanziert. Die Autorin Naomi Wolf nannte sie dafür eine "Apologetin des Bösen" und verglich sie mit Leni Riefenstahl. Das geht bei "Detroit" jetzt schon mal nicht.

Bleibt das Problem ihrer Hautfarbe. Müssen es hier wieder Weiße sein, die schwarzes Leid inszenieren, Unrecht gegen Schwarze anprangern, gar versuchen, sich mit schwarzer Wut zu verbünden? "Ich war absolut nicht die Richtige, diesen Film zu machen", hat Kathryn Bigelow dazu dem Guardian gesagt. "Aber diese Geschichte war fünfzig Jahre lang vergessen, und deshalb fand ich es wichtiger, dass sie überhaupt erzählt wird." Sie sehe auch eine Pflicht als Weiße, Verantwortung für den Rassismus in Amerika zu übernehmen.

Die Wahrheit aber ist, und das zeigt "Detroit" am Ende wunderschön - das Erzählergespann Bigelow & Boal ist tatsächlich einfach unfähig, einer rein politischen Agenda zu folgen. Andere Filmemacher hätten den Sicherheitsmann Melvin Dismukes (gespielt von "Star Wars"-Rebell John Boyega, dem größten Star im Ensemble) zu einem verkannten Modell schwarzer Pflichterfüllung und Rechtschaffenheit gemacht - dieser Film aber lässt ihn angesichts des Horrors wie einen hilflosen Mitläufer aussehen, und zwar nach den Aussagen des realen Vorbilds selbst. Andere Filmemacher hätten die jungen weißen Frauen im "Algiers Motel" als antirassistische Lichtgestalten gezeigt - Bigelow & Boal feiern ihre Offenheit auch, rücken sie aber dennoch, mit einem der realen Opfer als Beraterin am Set, in die Nähe der Prostitution. Besonders schwarze Kritiker schließlich fanden es schrecklich, dass der weiße Haupttäter für seine Verbrechen nicht angemessen bestraft wird - und das Publikum offenbar auch. Der Film spielte in den USA kaum 17 Millionen Dollar ein, nur die Hälfe seines Budgets.

All diese Entscheidungen aber sind es, die Künstler von bloßen Propagandisten unterscheiden, und ein echtes Interesse an gesellschaftlicher Wirklichkeit von der Tendenz, die Dinge im Namen der Weltverbesserung doch lieber ein bisschen zu idealisieren. Genau deshalb ist "Detroit" am Ende ein kaum erträglicher Film geworden. Aber eben auch ein großer.

Detroit, USA 2017 - Regie: Kathryn Bigelow. Buch: Mark Boal. Kamera: Barry Ackroyd. Mit John Boyega, Will Poulter, Algee Smith, Jason Mitchell. Verleih: Concorde, 144 Minuten.

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