Der überraschende Angriff:Viel Feind, viel Geld

Wie der Hip-Hop-Superstar "50 Cent" einmal in San Francisco zur Audienz bat und gleich den JournalistInnenversteher mimte.

THERESA BÄUERLEIN

Was ist denn los mit dem Mann?

Der überraschende Angriff: Der nette junge Mann, der hier auf dem Sofa sitzt, sieht ja, wie gesagt, nicht so aus, als hätte er schon mal etwas Gefährlicheres als ein Waffeleisen in der Hand gehabt.

Der nette junge Mann, der hier auf dem Sofa sitzt, sieht ja, wie gesagt, nicht so aus, als hätte er schon mal etwas Gefährlicheres als ein Waffeleisen in der Hand gehabt.

Eben noch drang brüllendes Gelächter und das Geräusch von Händen, die auf Schultern klopfen, aus 50 Cents Hotelzimmer. Dann ging die Tür auf und der Redakteur eines großen HipHop-Magazins stolperte mit einem Ohr-zu-Ohr-Grinsen heraus.

Jetzt sitzt der derzeit angesagteste Gangsta-Rapper der Welt auf dem frischkäsefarbenen Sofa seiner Suite und macht ein Gesicht wie ein kleiner Junge, der seiner Kindergärtnerin die Sache mit dem kaputten Plastiktraktor beichten muss.

Man sieht ihm an, dass er am liebsten von seinem neuen Album "The Massacre" erzählen würde, und davon, dass er gerade drei Singles in den US-Top-Five hat. Das Problem ist, dass da neben ihm jemand sitzt, der andere Sachen wissen will.

Zum Beispiel, warum seine Texte so aggressiv sind und warum Frauen darin vor allem als Sättigungsbeilage fürs Bett auftauchen. Ein paar Herzschläge lang starrt 50 Cent vor sich hin. Dann hebt er den Kopf, setzt einen geraden Blick auf und sagt: "Also, ich übertreibe da manchmal. Wenn man in der Aufnahmekabine steht, sagt man eben, was sich gut anhört. Das passiert einfach."

Er könnte kaum größer sein, der Kontrast zwischen dem 50 Cent, der diese Sätze sagt, und dem Rapper, der mehrmals täglich mit dicker Hose Mord- und Totschlag verkündend durch MTV-Videos stapft.

Viel Feind, viel Geld

Irgendwie ist es genau das, was man von der Begegnung mit einem Rapper wie ihm erwartet: Man nimmt an, dass dieses aufgeblasene Böse-Buben-Image in sich zusammenfallen muss, sobald man dem Künstler auf Armeslänge nahe kommt. Bloß denkt man nicht, dass es so schnell geht.

Es fängt schon damit an, wie er aussieht. Vielleicht liegt es an dem Langarmshirt, das seine Muskeln verdeckt. Vor allem aber liegt es an seiner Haltung: Ein bisschen krumm, die Schultern leicht zusammengezogen, sitzt er auf dem Sofa. Ein Gangsta-Rapper, der Muttergefühle weckt.

Man fragt sich, was, bitteschön, so toll an 50 Cent ist, dass Millionen Menschen seine Platten kaufen und seine Konzerte stürmen - im Moment ist er Nummer Eins der Album-Charts in Deutschland und in den USA.

Was ist der Grund dafür, dass hier in San Francisco, 3000 Meilen entfernt von 50 Cents Heimatstadt New York, die Straßen voll sind mit Menschen, die Shirts mit dem 50-Cent-Schriftzug tragen?

Da ist - natürlich - die Musik. Die ist, zugegeben, ziemlich gut. Denn jedes Stück, das auf einem 50-Cent-Album landet, wird von den beiden Königen unter den Rap-Produzenten, Dr. Dre und Eminem, nachgeschliffen und mit einer chartstauglichen Hitglasur versehen.

Dann ist da noch 50 Cents unverwechselbare Nuschelstimme, die sich samtig über die harten Beats seiner Songs legt. Die Kombination hat beim letzten Album funktioniert, sie packt auch beim neuen kräftig zu. Wenn man sie hört und dabei aus dem Fenster guckt, bekommt man ziemlich gute Laune, einfach, weil das alles so gut zusammenpasst.

Wer Eminem zu hysterisch findet und Snoop Doggy Dog zu primitiv, für den ist 50 Cents Musik genau das Richtige. Die Musik ist aber nicht allein der Grund, warum sich 50 Cent-Alben besser verkaufen als alles andere, was es derzeit auf diesem Sektor gibt. Der wahre Grund ist seine Lebensgeschichte, eine Mischung aus Vorstrafenregister und Armer-Waisenknabe-Märchen.

Sie sorgt dafür, dass jeder Teenager, der vom Mathelehrer ungerecht behandelt wird, sich mit 50 Cent identifiziert. Da ist auch die Sorgfalt, mit der 50 Cent in kurzen Abständen öffentliche Kämpfe mit anderen Rappern inszeniert, zuletzt mit seinem eigenen Schützling The Game. Und nicht zuletzt ist da die Legende, die sich um jenen sonnigen Vormittag vor fünf Jahren rankt, an dem 50 Cent vor dem Haus seiner Großmutter in Queens über den Haufen geschossen wurde. Angeblich.

Der nette junge Mann, der hier auf dem Sofa sitzt, sieht ja, wie gesagt, nicht so aus, als hätte er schon mal etwas Gefährlicheres als ein Waffeleisen in der Hand gehabt. Ob man ihn das einfach mal so fragen kann? Man kann. Als Antwort beugt er sich vor, sperrt den Mund auf und deutet auf seinen Unterkiefer. Der sieht aus der Nähe nicht so aus, als hätte 50 Cent jemals eine Zahnspange getragen.

Viel verstörender als die schiefen Zähne ist aber die Stelle, auf die sein Finger zeigt: Da, wo eigentlich Zahnfleisch sein müsste, ist ein Loch. Nach einer Weile nimmt er den Finger aus dem Mund und erklärt: "Eine von den Kugeln ging durch die Backe; der Knochen hat sie gebremst."

Dann lehnt er sich zurück und lächelt. Schräg unterhalb des Lächelns ist noch ein vernarbtes Loch, in Kugelgröße.

Da nach dieser Vorführung zur Abwechslung mal sein Gegenüber betroffen schweigt, fängt 50 Cent an, die Geschichte dieser Löcher zu erzählen. Und weil man sich wegen seines Unglaubens in Bezug auf die Schießerei ein bisschen blöd vorkommt, guckt man ihm einfach mal beim Reden zu.

Er knetet seine Hände, runzelt die Stirn, macht immer wieder Pausen: Es ist ihm sichtlich wichtig, dass das, was er sagt, richtig ankommt. Aus dem Nebenzimmer krachen die Bässe des neuen Albums durch die Wand. 50 Cent erzählt und erzählt und plötzlich fallen einem ein paar Zeilen ein, die er auf "The Massacre" singt: "Da, wo ich herkomme, lernt man, sich anzupassen", und "Ich bin ein Schwamm, wenn es um Wissen geht. Ich lerne schnell. Ich bin der Einzige in meiner Klasse".

Und auf einmal machen all die Widersprüche Sinn, die 50 Cent umgeben: Die Tatsache, dass er sich als garstiger Ex-Krimineller verkauft und trotzdem in der Lage ist, sich normal zu unterhalten.

Seine kumpelhafte Jovialität mit dem HipHop-Magazin-Menschen am Anfang, seine anschließende Verlegenheit, seine überraschend ehrlich wirkenden Antworten. Es geht gar nicht darum, dass der Mann hundertmal besser rappt oder tausendmal besser eine Knarre halten kann als all die anderen Rapper da draußen. Es geht darum, dass 50 Cent es jedem recht macht: dem Highschool-Kid, das einen Helden will genauso wie der Journalistin, die unbedingt den Menschen hinter dem Star sehen möchte.

Das weiß er und damit spielt er professionell, weil er den Unterschied zwischen dem Leben auf der Bühne und dem wirklichen Leben versteht.

Vielleicht muss man genau so sein, wenn man heutzutage als Rapper den ganz großen Erfolg haben will - ein Chamäleon.

Als die Zeit abgelaufen ist, steht 50 Cent auf, streckt die Hand aus und lächelt. Es fehlt nur noch, dass er zum Handkuss ansetzt. Doch der nächste Besucher steht schon in der Tür - und wer weiß, was der für ein Bild von 50 Cent haben will.

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