"Der Tag wird kommen" im Kino:Die Revolution verkommt zum Witz

Benoît Poelvoorde als Not und Albert Dupontel als Dead in Der Tag wird kommen (Le Grand Soir) von Benoît Delépine und Gustave Kervern

Zeit, das Leben zu verändern: Benoît Poelvoorde als Not (links) und Albert Dupontel als Dead in "Der Tag wird kommen".

(Foto: dpa)

Ein Punk und ein überforderter Lohnarbeiter des Kapitalismus: In dem französischen Film "Der Tag wird kommen" proben zwei Brüder den Aufstand. Doch die Revolution besteht hier nur noch aus einer neuen Frisur und einem harmlosen Gag.

Von Philipp Stadelmaier

Ein Schädel geht um in den Straßen der belgischen Kleinstadt. Ein Wort ist auf ihm eintätowiert, der zackige Irokesenschnitt darüber wirkt wie ein Ausrufezeichen: "Not". Er gehört dem Punk Benoît, der mit seinem Hund in der Gegend um ein Einkaufszentrum auf der Straße lebt.

Not ist sein Nom de guerre. Not, das ist personifizierte Negation des Konsumterrors in dem Film "Der Tag wird kommen". Den Hipstern vor dem Supermarkt wünscht er den Krebs in die Gedärme, natürlich "Bio und Fair Trade". Jeder Werbetafel auf seinem Weg verabreicht er Fußtritte.

Nots Bruder Jean-Pierre ist ein braver und überforderter Lohnarbeiter des Kapitalismus in einem Matratzengeschäft des Einkaufszentrums. Am Anfang sitzen die beiden, gespielt von Benoît Poelvoorde und Albert Dupontel, am Tisch mit ihrem Vater. Sie reden gleichzeitig und ohne Pause auf ihn ein, als würde es den anderen gar nicht geben: Not doziert von Bierpreisen und Vögeln, die auf einem Bein stehen, Jean-Pierre schwärmt hysterisch von seinem superteuren Home Cinema.

Die "Krise" aber setzt Jean-Pierre dann einen solchen Verkaufsdruck, dass bei ihm die Sicherungen durchbrennen. Er springt zwischen den Betten herum wie in einer Gummizelle - und wird entlassen. Zeit, sein Leben zu ändern und sich vom Bruder ins Punkdasein initiieren zu lassen. Der graviert ihm nach einer Sauftour erst mal nach indianischem Ritual seinen neuen Namen auf die Stirn: Dead.

Im Originaltitel heißt Gustave de Kerverns und Benoît Delépines Film "Le grand soir", eine Wendung aus dem 19. Jahrhundert, die den Vorabend der Revolution ankündigt.

So schicken sich die beiden Brüder gegen Ende des Films an, im Einkaufszentrum eine soziale Revolte anzuzetteln. Schon "Louise Michel", der vorletzte Film der beiden Regisseure, führte den Namen einer berühmten französischen Anarchistin im Titel. Auch da hatte ein Opfer des ewig krisenhaften Kapitalismus den Aufstand geprobt, in dem sie mit Hilfe eines Profikillers den Patron ihrer Fabrik ausfindig machen und erledigen wollte. Die Odyssee auf der Suche nach dem "wahren Verantwortlichen" führte dann aber schnell in die Absurdität.

Eher hedonistisch als politisch

Auch zur großen sozialen Mobilmachung, zu der Not und Dead am Ende von "Der Tag wird kommen" aufrufen, wird schließlich kein Mensch auftauchen. Sofern es ihnen damit überhaupt ernst war. Denn nachdem sie schon spießige Vororthäuschen unsicher gemacht, eine Hochzeit aufgerieben und ein Punkkonzert besucht hatten, spielen sie da zur Abwechslung eben ein bisschen Revolution.

Ihr Herumstreunen auf der Suche nach dem nächsten Spaß beleuchtet weniger ihr politisches als ihr hedonistisches Wesen.

So kennt diese Politik des Gags keinen anderen Widerstand als einen komischen: Den Marginalisierten bleibt nur ihr Körper, den sie ins Zentrum des Bildes rücken, um sich nicht mehr aus ihm vertreiben zu lassen. Und um anderen wehzutun - in erster Linie dem Zwerchfell beim Lachen.

Nicht umsonst hält die Kamera der Belgier meist drauf, präsentiert die Szenen als ungeschnittene Einheiten. Da sieht man zwei Outlaw-Punks, die am Ende feststellen, dass sie weder Vergangenheit noch Zukunft haben - und folglich nur noch ihren Auftritt, der glänzen muss.

Not posiert im Supermarkt vor den Überwachungskameras mit Stinkefinger, der Chef von Jean-Pierre aka Dead filmt dessen cholerischen Psycho-Auftritt mit seinem Smartphone. Der Film erinnert an eine Freak- oder Stuntshow bei MTV.

Man kann also auch zu dem Schluss kommen, es handele sich hier um ein Stück Populismus, um eine Reklamation des Glücks für den vom System gebeutelten "kleinen Mann", der sich hier mit neuem Haarschnitt und dem Aufruf zur Rebellion tröstet - und davon dann ein paar Videos ins Netz stellt. Die Kritik wird zur Karikatur und zum Lifestyle, die Resistenz weniger wichtig als eine etwas lustigere Existenz - und damit natürlich neutralisiert.

Not und Dead weisen darauf hin, dass die Revolution heute kaum mehr von einem harmlosen Gag zu unterscheiden ist. Sie mag zwar kein eigenes Leben mehr haben - aber gleichzeitig ist sie auch nicht tot. Sondern eben: "not dead". Vielleicht muss das Gelächter vor diesem Film einfach nur groß genug werden, um aus ihm doch eine politische Geste zu entfalten.

Le grand soir, F 2012 - Regie: Benoît Delépine, Gustave de Kervern. Kamera: Hugues Poulain. Mit Benoît Poelvoorde, Albert Dupontel, Brigitte Fontaine. Verleih: Alamode, 96 Min.

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