Der schwarze Männerkörper in der Popkultur:Die Dandys des Ghettos

Die Inszenierung der Männer im Hip-Hop spiegelt eine Gegenwart ohne Utopien: Sie trainieren hart, tätowieren sich und ziehen sich genauso oft um wie die Frauen. Doch im Kern bleiben sie unverändert cool.

Markus Hablizel

Er solle seine Nase nicht zu hoch tragen und gefälligst die Finger von den weißen Frauen lassen, schließlich sei er nur Nachfahre von Sklaven. So wurde in Schmähartikeln großer amerikanischer Zeitungen über den ersten afro-amerikanischen Weltmeister im Schwergewichtsboxen geschrieben, über Jack Johnson, der am 26. Dezember 1908 den Titel gewann. Die exzentrische Ausstellung seines Erfolgs, sein andauernder Konfrontationskurs mit dem weißen Establishment, der Staatsmacht und überhaupt allen, die sich ihm in den Weg stellten, brachten ihm zeitlebens Ärger ein.

André Benjamin Outkast

Zentaur im Sternkreis der Groupies: André Benjamin von der Band Outkast.

(Foto: Foto: Sony/BMG)

Genau deshalb aber wurde Johnson zur Blaupause für nachfolgende Generationen schwarzer Inszenierungen von Männlichkeit, und sein Mythos reicht bis in die Gegenwart: "Wear them pretty clothes / Drive them pretty cars / You a super hero / You a super star / You a super man" rappt Mos Def auf "Blue Black Jack".

Lässt man zeitgenössische Bilder schwarzer Männlichkeit, wie sie in Filmen, Magazinen, Musikvideos, dem afro-amerikanischen Fernsehkanal BET oder Sportsendern wie ESPN gezeigt und entworfen werden, Revue passieren, so erscheinen viele dieser (Selbst-)Bildnisse direkt von Johnson übernommen.

Johnsons verbale Schlagfertigkeit, seine Vorliebe für auffällige Kleidung, Posen mit angespannten Muskeln, für Autos und Frauen hat eine Traditionslinie schwarzer Männlichkeitsinszenierungen begründet, die Rapper wie Tupac Shakur, 50 Cent oder The Game kaum verändert übernommen haben. Die neuen Leiber sind, das sind die Zeichen ihrer Zeit, nur außerdem übersät mit Tätowierungen und häufig gezeichnet durch Narben von Messerstichen und Schusswunden.

Es sind die biographischen Vorgeschichten dieser Männer, die sie auf der Haut in ihre Musikerkarrieren tragen. Der ewige Vorwurf, damit erst qualifizierten sie sich als Hip-Hop-Stars, weil sie den Nachweis eines "authentischen" kriminellen Vorlebens liefern, das im Rap umgemünzt werden kann, ignoriert etwas entscheidendes: Diesen Körpern ist tatsächlich ein wesentlicher Aspekt (afro-)amerikanischer Gegenwart eingeschrieben: die wechselseitige Durchdringung von Ghetto und Gefängnis.

Leichtfüßige Rollenspiele

Aus dem sozialen Ausschlusssystem des Ghettos nämlich wurde mit der Deindustrialisierung amerikanischer Großstädte ein System der Einschließung, die Lebensrealitäten innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern glichen sich zunehmend aneinander an. Die hinter Gittern geformten Körper und die der weißen Insassenkultur entliehene Selbststigmatisierung mittels Tätowierung sind auch außerhalb des Knasts nützlich: Härte und unbedingte Bereitschaft zur Gewalt, symbolisiert durch im Strafvollzug entworfene Körper, sind für den ins Ghetto entlassenen hustler, wenn er seine kleinkriminelle Karriere fortsetzt, die hard skills seines Arbeitsalltags.

Ein Rapper wie 50 Cent stellt schlicht das zur Schau, was Frank Rudy Cooper als "bad black man" bezeichnet. Dieser sei, so Rudy in seiner Theorie zur tragischen, schwarzen Männlichkeit, durch eine Tendenz zu kriminellen Handlungen und hypersexualisiertes Auftreten definiert. Die Entwicklung hin zum "good black man", der etwa seinem Sohn die bestmögliche Ausbildung angedeihen lassen will und sich so scheinbar von seiner blackness distanziert und weißen Mittelstandsnormen annähert, setzt jedoch voraus, dass er weiterhin den Gangster mimen muss, um Geld zu verdienen. Das ist seine persönliche Tragik - 50 Cent wird immer Gangster bleiben, er nimmt seinen Körper mit.

Verglichen damit wirken Rapper und Produzenten wie Mos Def, Pharrell Williams oder André 3000 fast schon leichtfüßig in ihrem Rollenspiel. Der Chef-Neptune Pharrell etwa beherrscht unzählige Praktiken der Selbststilisierung nahezu spielerisch. Mit Leichtigkeit surft der dem Mittelschichtsmilieu von Virginia Beach entstammende Megaproduzent durch aktuelle Stilangebote. Ganz im Gegensatz zu 50 Cent oder The Game, deren Männlichkeitsdarstellungen relativ geschlossen und dauerhaft sein müssen, stilisiert Pharrell sich selbst augenblicks- und bedürfnisorientiert.

Der Skater in abgeschnittenen Camouflageshorts, der schmale Designeranzug tragende Metrosexuelle, das nachlässige Producer-Nachtschattengewächs in ausgeleierten Levi's, der Rapper mit Baseballmütze und XXL-T-Shirt - höchst souverän übt sich Williams nicht in bloßer Mimesis, sondern scheint fast schon die Körper zu wechseln, seine Physiognomie der Situation anzupassen. Er wählt nicht nur aus, sondern eignet sich an, arrangiert sich aber jeweils um einen scheinbar unveränderlichen Kern cooler Persönlichkeit.

Utopie - ach, die ist weg

André 3000 alias André Benjamin hingegen, als MC, Sänger und Produzent Teil des Duos Outkast, verlässt diesen Rahmen. Ohne zum simplen Rollenspieler zu werden, haben Benjamins exzentrische Inszenierungen häufig einen theatralischen Effekt, er achtet weniger als Williams auf die Nachvollziehbarkeit seiner Selbstpräsentationen. Zwar zitiert er immer wieder historische Stile, Motive und Typisierungen, doch kaum mal adaptiert er sie so ungebrochen, dass sie einfach auf ihren Ursprung zurückgeführt werden können.

Ob Benjamin unterm Eiffelturm in dandyistisch-femininer Pose an einem Oldtimer lehnt, ein idyllisches Picknick nachstellt oder sich als im All schwebender, von drei nackten Damen umgebener Kentaur inszeniert: Niemals lässt sich die Darstellung vollständig dechiffrieren. Was er dadurch erreicht, ist die Behauptung totaler künstlerischer Individualität. Er entzieht sich den herkömmlichen Deutbarkeiten des Hip-Hop, macht sich aber angreifbar: Der Hip-Hop kennt eigentlich keine Geschlechtsuneindeutigkeiten, und so setzt sich Benjamin dem als Vorwurf gemeinten Verdacht aus, er sei womöglich homosexuell.

Während also die ehemalige Nischenkultur Hip-Hop es in den drei Jahrzehnten ihrer Existenz zwar geschafft hat, weiße Massenkultur immer weiter zu durchdringen, um schließlich selbst Mainstream zu werden, schöpft sie derzeit ihr emanzipatorisches Potential nicht aus, das einmal wenigstens ein Teil von Hip-Hop war.

Diesem ist auf seinem Weg durch den Mainstream schlicht die Utopie abhanden gekommen. Er verweilt einstweilen bei der ewigen Forderung "Keep it real", doch diese Wahrhaftigkeit erschöpft sich nicht nur in der Darstellung einer langen, tragischen Repressionsgeschichte der Schwarzen. Sie stützt heute vielmehr ungewollt den Status quo für große Teile der afro-amerikanischen Bevölkerung. Besserung ist nicht in Sicht.

Aktuelle Alben: Mos Def: "True Magic"; The Game: "Doctor's Advocate"; Pharrell: "In My Mind"; Outkast: "Idlewild";

Snoop Dogg: "Tha Blue Carpet Treatment"

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