Der Salon:Maßstab aller Kunst

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entschied die jährliche Ausstellung im Pariser Salon über den Auf- und Abstieg von Künstlern. Die Schau galt als wichtigstes Kunst-Event der Zeit. Eine konservative Jury wählte die Werke aus, die ausgestellt wurden.

Von Michael Rohlmann

Der Pariser Salon, für mehr als ein Jahrhundert war er Zentrum des Kunstlebens, ein regelmäßiges gesellschaftliches Großereignis, Leistungsschau, Bildermarkt und Spektakel, das den Stand der nationalen Kunstproduktion definierte und hierarchisierte, bei dem sich ein immer größeres Publikum zeigte, bildete und vergnügte, bei dem sich Ruhm, Karrieren und Existenz der immer zahlreicheren Maler und Bildhauer entschieden.

Die Anfänge reichen zurück in die Epoche Ludwigs XIV. Eine Künstlergruppe hatte sich 1648 in Paris nach italienischem Vorbild zu einer Bildungs- und Wissensinstitution zusammengeschlossen, eine Akademie gegründet, um so gegenüber den alten Handwerkerzünften intellektuellen Anspruch und künstlerische Freiheit zu beanspruchen. Nach wenigen Jahren ordnete der Sonnenkönig die private Institution in sein staatliches Kunstsystem ein. Die Mitglieder sollten dabei in einer regelmäßigen öffentlichen Ausstellung staatstragend ihre Werke präsentieren.

Was damals zögerlich begann, verstetigte sich erst im 18. Jahrhundert mit der Entstehung einer breiteren aristokratischen und dann auch bürgerlichen Pariser Käuferschicht, einer interessierten Öffentlichkeit jenseits der alten kirchlichen und höfischen Auftraggeber. Nach zehnjähriger Unterbrechung wurde die Schau 1737 durch die staatliche Kunstadministration wiederbelebt: Alle zwei Jahre sollte sie künftig bei den Räumen der Akademie in einem riesigen Saal des Louvre, dem Salon Carré, stattfinden. Die Raumbezeichnung übertrug sich auf das Ereignis. Jeweils für wenige Wochen konnte man die dort an den Wänden dicht in vier bis fünf Reihen übereinander präsentierten Bilder bei zunächst freiem Eintritt sehen. Einnahmen wurden durch den Verkauf von Katalogverzeichnissen der Werke erzielt. Seit Mitte des Jahrhunderts suchte eine Kommission die Werke politisch, religiös oder moralisch zu kontrollieren. Der Staat erwarb beim Salon gezeigte Bilder und gab für ihn Werke in Auftrag. Den ästhetischen Maßstab bildete das Regelsystem der Akademie, nur wem die Aufnahme in diese gelungen war, der durfte seine Werke zeigen.

In Konkurrenz zur offiziellen Kunstlehre entwickelte sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts eine unabhängige Kunstkritik. Berühmt sind noch heute Diderots Salonbesprechungen. Neue ästhetische Maßstäbe konnten so neben die etablierten Vorstellungen von Akademie und Tradition treten. Im Salon wurden Künstler bekannt und bekannt gemacht, hier wurden ihre Werke als ästhetischem und intellektuellem Genuss dienende Ware einer neuen Käuferschicht sichtbar.

Nach Abschaffung der Jury wurden einmal mehr als 5000 Werke gezeigt

Die Französische Revolution brachte dem Salon die Freiheit von der Akademie, 1791 wurde er für alle Künstler geöffnet, im "Salon de la liberté" konnten statt 220 Gemälden wie 1789 daher 615 Bilder präsentiert werden. Doch schon bald wurde zur Qualitätssicherung wieder eine Jury eingeführt, ihre Mitglieder entstammten in der Bourbonen-Restaurationszeit der 1816 wiedererstandenen Akademie. Ein einheitlicher Schulstil ließ sich in der auf 1000, ja 2000 ansteigenden Zahl der gezeigten Werke aber nicht durchsetzen. Neben den Neoklassizisten der Akademie präsentierten auch die jungen Romantiker wie Géricault oder Delacroix ihre großen Hauptwerke. Nach der Juli-Revolution von 1830 wurde unter dem Bürgerkönig der zweijährige Rhythmus in einen jährlichen verwandelt. 1848 beschloss die revolutionäre Regierung die Abschaffung der Jury, mehr als 5000 Werke wurden gezeigt. Solche Mengen konnten die Räume nicht mehr fassen: Der Salon musste den Salon Carré verlassen, fand nach mehreren Zwischenstationen schließlich seit 1857 in den für die Weltausstellung 1855 errichteten Messehallen des Palais de l'Industrie seinen neuen Ort. Hier flanierten und drängelten nun Hunderttausende Besucher jeweils drei Monate lang gegen Eintritt zwischen Tausenden Werken.

Trotz des neuen Orts war unter dem Druck einer ständig steigenden Kunstproduktion eine Auswahlkommission unvermeidlich, doch sollte sie nun in Teilen von den Künstlern selbst gewählt werden. Richtungskonflikte, ein fortdauernder Einfluss der Akademie und politische Wechsel führten zu ständigem Protest und häufigen Veränderungen. Als 1863 die Auswahl nur ein Drittel der einliefernden Künstler berücksichtigte, entschied Kaiser Napoleon III., die abgewiesenen Werke (darunter Manets "Frühstück im Freien") im "Salon des Refusés" zu präsentieren.

Doch das Raum- und Auswahlproblem war nicht lösbar. Künstler gründeten eigene Ausstellungsvereinigungen, berühmt die seit 1874 tätige der Impressionisten. Schließlich übertrug der Staat 1880 die Salonorganisation (7289 Werke) ganz den Künstlern selbst. Eine "Société des artistes français" gründete sich, gegen die sich schon 1884 der "Salon des Indépendents" stellte und von der sich 1890 die "Société nationale des beaux-arts" mit eigener Ausstellung abspaltete. Die Einheit des Salons und seine Fiktion, an einem Ort den Stand der zeitgenössischen Kunst zeigend zu fassen, waren zerbrochen. Ihre Bedeutung verloren die Nachfolger durch den sich im späten 19. Jahrhundert rasant entwickelnden Kunstmarkt mit Händlern, Kritikern und Galerie-Ausstellungen.

Das in einer ehemaligen Bahnhofshalle residierende Musée d'Orsay evoziert heute in Paris wieder die Atmosphäre des großen Salons des 19. Jahrhunderts. Die jetzt von dort nach München ausgeliehenen Werke zeigen die ästhetischen Folgen eines Ausstellungsphänomens, in dem die Künstler vor großem Publikum im Konkurrenzkampf mit- und gegeneinander antreten, im Meer der Werke um Aufmerksamkeit heischen. Sie suchen das große Format, zielen auf Unmittelbarkeit und Überwältigung, drängen mit nie gesehenen Effekten von Schrecken und Erotik hervor. Gemalte Zuschauer bieten den Salonbetrachtern Reflexionsfiguren: Wie Dante und Vergil auf ihrem Höllenweg dürfen wir uns vor dem Gesehenen erschrecken, wie ein Liebesschwarm die sich im Meer rekelnde nackte Göttin bejubeln. Wir sollen wie die staunende Nymphe den schönen, schlafenden Jüngling Narziss bekränzen.

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