Der Regisseur von "Big Fish":"Ich will das Auto im Baum sehen."

Tim Burton äußerst sich im Interview zu filmischer Erzählsucht, amerikanischen Vitelloni und den schlimmen Tod in einer Glaskugel.

Eine große amerikanische Tradition - von seiner Herkunft erzählen, seiner Familie, seinem Land. Tim Burton, den viele gern ins Reich des simplen Fantasy-Kinos verbannen, gehört in diese Tradition, und mit ¸¸Big Fish" hat er sich endgültig als amerikanischer Erzähler geoutet.

Der Regisseur von "Big Fish": "Man muss sich immer wieder fragen, woher man seine Wahrheit bezieht."

"Man muss sich immer wieder fragen, woher man seine Wahrheit bezieht."

(Foto: Foto: AP)

SZ: Sie haben einen Film gemacht über einen Vater-Sohn-Konflikt, in dem der Vater derjenige ist, den keiner versteht. Werden Sie langsam alt?

Tim Burton: Dieser Film wäre mir sicher nicht möglich gewesen, wenn nicht vorher mein eigener Vater gestorben wäre - da steigen all diese Gefühle hoch. Ich mache jede Geschichte so persönlich wie möglich, weil ich nur so arbeiten kann - bis zu einem gewissen Grad erzähle ich immer meine eigene Geschichte.

SZ: Spielt in ¸¸Big Fish" auch die Sorge eine Rolle, wie Ihr eigener, vor kurzem geborener Sohn mit seinem erzählsüchtigen Vater klarkommen wird?

Burton: Das war schon eine seltsame Koinzidenz, wie sich der Tod meines Vaters und die Geburt meines Sohnes in der Geschichte spiegeln. Die meisten Leute trennen Realität und Phantasie, ich habe das Leben immer als eine Kombination von beidem empfunden. Mir war es sehr wichtig, zu zeigen, dass die Geschichten im Kern wahr sind, egal wie außergewöhnlich sie auch erscheinen. Die übertriebenen Erzählungen der Volksmärchen, Mythen und Legenden, die es in jedem Land gibt, haben eine emotionale Wahrheit, die größer ist als jede Rede eines Politikers im Fernsehen. Man muss sich immer wieder fragen, woher man seine Wahrheit bezieht.

SZ: Wenn Edward Bloom in seinen Geschichten verschiedene Versionen seines Lebens erzählt - so machen Sie das ja auch mit Ihrem Leben in Ihren Filmen.

Burton: So funktioniert eben Erinnerung. An etwas, das mir gestern zugestoßen ist, erinnere ich mich auf eine andere Weise, als an etwas, das drei Jahre zurück liegt und nun großartiger, romantischer erscheint. Das hat nicht unbedingt etwas mit bewusstem Lügen zu tun.

SZ: War es schwer für Sie, den Lebensraum von Edward Bloom als Gegenwelt zu seiner überbordenden Phantasie so normal zu halten?

Burton: Ein bisschen schon, aber ich kenne sehr viele Leute, die so leben . . .

SZ: . . . aber die haben bisher nicht Ihre Filme bevölkert.

Burton: Das stimmt. In diesem Film habe ich versucht, ein wenig näher an der normalen Realität zu sein als bisher. Es war mir wichtig, zu zeigen, wie fließend Phantasie und Fakten ineinander übergehen, statt eine reine Phantasiewelt zu erschaffen.

SZ: Was bedeutet Ihnen als Filmregisseur Realität?

Burton: Die Realität besteht darin, den Film zu drehen. Das Verrückte ist, dass man die Arbeit ganz real tun muss, während man sich in dieser völlig surrealen Welt bewegt, sich mit banalen Dingen beschäftigt wie beispielsweise der Haarfarbe einer Figur. Das gibt einem Regisseur auch Bodenhaftung, denn zu verrückt darf man für diesen Job nicht sein.

SZ: Wenn Sie Ihren eigenen Tod inszenieren dürften, wie sähe der aus?

Burton: Ich persönlich hätte sicher nicht in das Auge der Hexe geschaut, in dem man seinen Tod sehen kann, ich würde mir lieber den Aspekt der Überraschung bewahren. Ich denke, den Tod kann ich mir noch eine Weile vom Leib halten kann - und dann werde ich eben irgendeine Show daraus machen.

SZ: Glauben Sie an Schicksal?

Burton: Ich glaube daran, dass nichts ohne Grund geschieht. Mein Vater stirbt und dann kommt dieses Script, das mir dabei hilft das zu verarbeiten, und am Ende der Dreharbeiten bekomme ich selbst ein Kind - das kann man Zufall nennen oder auch Schicksal.

SZ: Für ihre schillernden Künstlerexistenzen zahlen Ihre Helden den Preis der Einsamkeit und des Unverstandenseins. Wie empfinden Sie das selbst nach rund zwanzig Jahren in Hollywood?

Burton: Wenn man als junger Mensch so empfindet, dann bleibt das ein ganzes Leben lang so. Egal ob man erfolgreich ist oder anerkannt, ob man Liebe und Glück findet: Es bleibt immer ein Teil von mir, und ich gehe nicht davon aus, dass sich das jemals ändern wird.

SZ: Danny Elfman erschafft musikalische Räume für Ihre Charaktere: Wie geht da die gemeinsame Arbeit?

Burton: Wir waren in fast jedem meiner Filme zusammen - wir sind Freunde, haben zur selben Zeit gemeinsam angefangen, teilen einen ähnlichen Geschmack, es gibt da einfach eine Verbindung. Er ist fast wie ein Schauspieler, wie ein weiterer Charakter im Film. Meistens warte ich, bis ich ihm Muster zeigen kann, oder Sets, so dass er sich einen Eindruck von der Stimmung bekommt.

SZ: Die Zirkuselemente in ¸¸Big Fish" zeigen eine Affinität für Fellini.

Burton: Ich liebe seine Filme, weil sie Freude ausstrahlen - den Spaß am Filmemachen habe ich in seinen Filmen schon gespürt, bevor ich selbst Regisseur war.

SZ: Sind Sie immun gegen die Versuchungen der Computergrafik?

Burton: Das ist eines von vielen filmischen Instrumenten. Problematisch ist, dass sich viele Leute aus Faulheit zu sehr darauf verlassen. Bei ¸¸Big Fish" war der Druck Richtung Computer sehr groß. Doch ich wollte, dass Ewan McGregor tatsächlich in einem Blumenfeld steht, statt die Blumen später mit dem Computer einzufügen. Ich wollte das Auto wirklich im Baum hängen haben. Das Vergnügen am Filmemachen besteht für mich darin, mich mit den Schauspielern in einem Set zu bewegen - wirklich dort zu sein.

Interview: Anke Sterneborg

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