Der Pianist:Musikvertrauen

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Helmut Schmidt im Dezember 1981 im Londoner EMI-Studio. (Foto: dpa)

Helmut Schmidt spielte Klavier. Er liebte Bach und Mozart. Als er mit Christoph Eschenbach und Justus Frantz ins Studio ging, ließ er tief in sein Innerstes blicken.

Von Helmut Mauró

Am Ende konnte er Musik nicht mehr ertragen. Sie schmerzte ihn. Sie kam durch sein Hörgerät als Gekreisch, Gekrächz, Gepolter. Wie immer untertrieb er, wenn er in hanseatischer Nüchternheit sagte, dies sei die Tragödie seines Alters. Es war viel schlimmer. Es war ein Seelensterben, ein vorzeitiger Gemütstod. Denn das Außergewöhnliche an Helmut Schmidts musikalischem Leben ist nicht unbedingt die Tatsache, dass er Klavier spielte, gerne auch nach langen Nachtsitzungen. Das Besondere für einen in deutscher Kulturtradition sozialisierten Menschen ist die Tatsache, dass er in dem vielleicht größten Komponisten, Johann Sebastian Bach, nicht in erster Linie das konstruktive Genie, die mathematische Begabung, das konsequente Durchhaltevermögen gesehen hat, sondern die ungeheure seelenreinigende Kraft, die in dessen Musik liegt.

Bach und Mozart waren Schmidt besonders nahe, sicherlich nicht nur deshalb, weil beide beachtliche Werke mitunter auch für bescheidenere technische Ansprüche hinterlassen haben. Dazu gehört Mozarts charmantes F-Dur-Konzert für drei Klaviere und Orchester KV 242, komponiert für die Gräfin Lodron und deren Töchter Aloisia und Josepha. Helmut Schmidt hatte für die Studioaufnahme Justus Frantz und Christoph Eschenbach zur Seite. In Mozarts Klavierkonzert ging es auf einmal nicht mehr darum, "seine Pflichten zu erkennen und ihnen zu genügen", wie er seine Kantsche Grundeinstellung einmal formulierte. Stattdessen ging es um etwas kaum Greifbares, einen mystischen Zauber, wie er im Leben des Politikers Schmidt keinen Platz hatte. Und doch gibt es eine Verbindung zum politischen Alltag.

Bei den Konferenzen im Kanzleramt war er gefürchtet, weil er immer am besten vorbereitet war. Und in der Musik geht es in hohem Maße genau darum. Aber es gab tiefer gehende Gründe, warum Helmut Schmidt die Musik für sich nicht nur mal so als Hobby entdeckt, sondern ein Leben lang als kategorial empfunden oder erkannt hat. Er hat es mit Bachs Worten gesagt: Musik ist Rekreation fürs Gemüt. Wie sehr sie das sein kann, wie sie sogar Kriegstraumata mildern und über sie hinweghelfen kann, das ist allerdings eine solch intime Angelegenheit, dass Helmut Schmidt auch darüber schwieg.

Klar ist, dass man um der optimalen musikalischen Wirkung willen selber aktiv werden muss, dass man Fähigkeiten schon früh allein aus sich heraus mit Disziplin, Konzentration und schier grenzenloser Ausdauer entwickeln muss. Auch dies lag ihm: Dinge selber in die Hand nehmen, selber dafür aufstehen und am Ende dafür geradestehen. Vielleicht waren diese Augenblicke öffentlichen Klavierspiels die intimsten, die Helmut Schmidt jemals gezeigt hat. So sehr hat er der Musik vertraut, dass er in Zeiten hämischer politischer Auseinandersetzungen sich darin einmal ganz öffnen konnte. Ein Schelm, wer denkt, Schmidt habe gewusst, dass seine Gegner in diesem offenen Buch nicht lesen konnten.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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