Der neue "Harry Potter":Ohne Freud keine Freud´

Gibt es doch eine Rettung in der Psychologie? Auf jeden Fall gibt es Akne, Stürze vom Besen und die ganze Ungelenkigkeit von Pubertierenden in Großaufnahme. Alfonso Cuarón verfilmt "Harry Potter und der Gefangene von Askaban". Immer zwei Blenden zu dunkel.

TOBIAS KNIEBE

Im Raum steht, trotz allem und immer wieder, ein Versprechen. Schließlich lebt Harry Potter, wem sagen wir das, in einer Welt voller Hexen und Zauberer, einem Reich der Phantasie, in dem Schwerkraft, Wahrscheinlichkeit, logische Stringenz und andere lästige Dinge keine Geltung haben. Möglich wäre also: Alles. Nie gekannte Schrecken.

Der neue "Harry Potter": Seine angebliche Schüchternheit, seine bebrillte Konfusion - alles bloß Fassade.

Seine angebliche Schüchternheit, seine bebrillte Konfusion - alles bloß Fassade.

Unglaubliche Kreaturen. Unfassbare Tiefbohrungen im kindlichen und menschlichen Unbewussten, um Dinge ans Licht zu bringen, bei denen die Augen übergehen, die Herzen einen Sprung machen. Ausreden gelten dabei nicht: J.K.Rowling, die Schöpferin der Bücher, kann ihren Fans und Jüngern alles verkaufen, sie hat alle Möglichkeiten, sie ist heute reicher als die Queen. Warner Brothers, das Hollywood-Studio, hat bisher zwei Filme gemacht und mit jedem fast eine Milliarde Dollar eingenommen. So ist jeder neue Harry Potter, ganz gleich ob Roman oder Kinofilm, auch immer ein Test der gegenwärtigen Erzählkunst: Gelingt, unter diesen komfortablen Bedingungen, endlich einmal - Magie?

"Harry Potter und der Gefangene von Askaban", Teil drei in einem Projekt von sieben Folgen, schafft zunächst eine dringend nötige Kurskorrektur. Davor hatte Harry, wenn man es recht bedenkt, von allem ein Problem: Er hat immer gewonnen. Jedes Quidditch-Spiel auf dem fliegenden Besen, jedes Fleißbildchen für die Rettung der Welt, jeder Leistungspokal am Ende eines Internatsjahrs - Harry griff zu, staubte ab, grinste und siegte.

Seine angebliche Schüchternheit, seine bebrillte Konfusion - alles bloß Fassade. Unter der Maske des Schuljungen reifte ein ewiger Gewinner heran, der mit ermüdender Regelmäßigkeit die Oberhand behielt. Nur die sexuelle Komponente des Siegens war ihm noch fremd. In dem Moment, wo er die Welt der Frauen für sich entdecken würde, das ahnte man, konnte die Geschichte nur noch in ein anderes britisches Heldenepos münden: die James-Bond-Story. Auch der war mal jung und auf dem Internat, auch der hat sich früh ans Gewinnen gewöhnt, und ein Magier ist er, auf seine Art, sicherlich auch. Es kam aber, gottseidank, dann doch anders.

Diesmal nämlich brauen sich noch düsterere Wolken zusammen, als sie in den beiden Filmen zuvor zu sehen waren. Das Dunkel lagert über Englands Suburbia, wo Harry wieder die Sommerferien verbringen muss, um - oh wohliges Gesetz der Serie! - wieder einmal von Onkel und Tante gedemütigt zu werden. Sie hängen über dem unvermeidlichen Bahnsteig neundreiviertel in King's Cross, wo Nachwuchshexen und Jungzauberer zu einem weiteren Schuljahr aufbrechen, und auf der ebenfalls unvermeidlichen der Zugfahrt nach Hogwarts regnet es bereits in Strömen.

So zeigen sich der so genannte "neue Look" und der Einfluss des neuen Regisseurs: Der Mexikaner Alfonso Cuarón galt als überraschende, ja beinah gewagte Wahl für einen Posten, den Kulleraugen-Fetischist Chris Columbus nach zwei Folgen gnädig geräumt hat.

Der Neue müht sich nach Kräften, den Erwartung auch gerecht zu werden. Er belichtet sein Filmmaterial gleich einmal zwei Blenden zu niedrig, was in den Ecken prompt für Gruselstimmung sorgt.

Außerdem rückt er schon zu Beginn eine Akne ins Bild. Beim unvermeidlichen Quidditch-Spiel - auch hier wieder: Scheißwetter - fällt Harry dann tatsächlich vom Besen.

Nur ein kleiner Plumps für ihn, sein Fall wird von Professor Dumbledore aufgefangen. Und doch ein sehr großer Sprung für die Serie.

So sieht ein Teenager aus, jawohl, der auch mal verlieren kann. Ron und Hermine, seine treuen Gefährten, lassen ebenfalls erste Zeichen der Pubertät erkennen. Dies und vieles andere, was sonst an Entwicklung da ist - am Ende kein Riesenmonster mehr, wenig Geheimlabyrinthe, mehr Überraschungen, was die Verteilung von Gut und Böse angeht, ein größeres Gefühl für die Geheimnisse der Vergangenheit - das alles lässt sich direkt zu Rowlings Roman zurückverfolgen.

Die männlichen Regisseure und Drehbuchautoren, die sich in ihr Universum hineinwagen, haben dort ungefähr die Potenz von Arbeitsdrohnen.

Sie dienen einer Königin im Zentrum eines Milliardenreichs - einer Königin allerdings, der diese Position keinesfalls in die Wiege gelegt wurde: Teilzeit-Lehrerin, Single Mom, arbeitslose Träumerin Mitte der neunziger Jahre in Edinburgh, so lautet die Legende der J.K.Rowling. Tatsächlich hatte sie die Gesetzmäßigkeiten der mythischen Heldenreise, zu der sie aufgebrochen war, als sie mit "Harry Potter" loslegte, erkennbar nur halb begriffen.

Es fehlte ein Gefühl für das Leid, die Selbstzweifel, die Qualen, die gerade auch ein junger Erlöser in seinen Lehrjahren durchlaufen muss. Oder der Wunsch, sich die Welt ein wenig schöner zu schreiben, war in den ersten Büchern noch übermächtig. Mit dem dritten hat Rowling allerdings begonnen, dieses Problem zu überwinden - hier lauert ein Teil der Gefahren schon in der Psyche ihres Helden, und man ahnt bereits eine Verführbarkeit, die ein klassisch-mythisches Finale überhaupt erst denkbar macht.

Harry Potter muss sich der eigenen Psyche stellen, das ist schon mal gut. Damit kommt er aber auch nur dort an, wo Frodo aus "Herr der Ringe" und Luke Skywalker aus "Star Wars" bereits freundlich grüßen. Das ist, alles in allem, momentan das Problem der "Harry-Potter"-Saga: Ein Gefühl des ewigen Deja-vu, aus dem es auch filmisch kaum ein Entkommen gibt.

Jene finstere schwarze Gefängniswächter, die so genannten Dementoren, die ihren Opfern die Seele aus dem Leib saugen, erinnern an die Ringgeister von J.R.R.Tolkien. Und leider sehen sie, mit ihren leeren Kapuzen und flatternden schwarzen Gewändern, auch noch exakt so aus wie jene Visualisierungen, die Peter Jackson bereits für "Herr der Ringe" geschaffen hatte. Oder die Verwandlung eines Werwolfs in tiefer Mondnacht: Sie fügt Michael Jacksons "Thriller"-Video nichts Wesentliches hinzu, außer der Entscheidung, ein wenig am Fell zu sparen. Das bedauernswert räudige Vieh, das dabei herauskommt, erinnert jetzt stark ein anderes Monster aus den Nebeln britannischer Moore: den Hund von Baskerville.

Das Versprechen des Harry Potter, es bleibt darum trotz allem unerfüllt: Inmitten unauslotbarer Möglichkeiten, umgeben von magischen Chancen der Phantasie, stößt man doch immer nur auf alte Bekannte, vertraute Fratzen, die Greatest Hits des Mythos. Könnte das am Ende bedeuten, dass dessen Ressourcen endlich sind? Dass jetzt, nach einer Phase großer medialer Ausbeutung, die Ikonen des Phantastischen einmal durchgenudelt und damit ausgelaugt sind? Es ist wie verhext.

Nur einmal kann Cuarón aus dem Bann dieses Dilemmas ausbrechen: Da schaut Harry Potter aus dem Zugfenster in die Nacht hinaus, und von dort blickt, verschwommen und leicht verzerrt, sein Spiegelbild auf ihn zurück. Vielleicht ist es eher Zufall, vielleicht steckt dahinter ein subtiler Spezialeffekt, vielleicht ist es sogar ein versteckter Hinweis auf das mögliche Ende der ganzen Saga. Aber die Kreatur, die uns dort anblickt - sie ist das bisher bedrohlichste Wesen von allen.

HARRY POTTER AND THE PRISONER OF AZKABAN, USA 2004 - Regie: Alfonso Cuarón. Buch: Steve Kloves. Kamera: Michael Seresin. Schnitt: Steven Weisberg. Musik: John Williams. Darsteller: Daniel Radcliffe, Rupert Grint, Emma Watson, Robbie Coltrane, Gary Oldman, Emma Thompson. Warner, 136 Minuten.

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