Der neue Feminismus:Die Work-Wife-Balance

"Feuchtgebiete", Lady Bitch Ray und Alphamädchen als Nachkommen von Alice Schwarzer: Wie die Frauenbewegung zum Karrierecoaching verkommt.

Barbara Gärtner

Emanzen waren früher gegen Penetration und haben heute keine Kinder. Emanzen haben immer schlechte Laune und schieben das aufs Patriarchat. Emanzen sind dagegen, heißt es. Deshalb muss man auch gegen Emanzen sein - oder sich zumindest von ihnen distanzieren. Frauen tun das besonders oft, das ist das große Ärgernis. Solche Frauen betonen, dass sie schon im Kindergarten nur mit Jungs gespielt haben, dass Büros mit hohem Damenanteil großes Divendrama garantieren - und sie sagen Ja-aber-Halbsätze wie diesen: "Ich bin ja keine Feministin, aber...", um dann ihre persönliche Benachteiligungen aufzuzählen.

Emanzipation und Feminismus machen also unsexy. Immer noch. Da helfen auch die Bücher nicht, dank derer nun der Feminismus 2.0 ausgerufen wird. Die vermeiden nämlich jede politische Positionierung um stattdessen Affärenklein-klein zu beschreiben. Beleg dafür ist das peinliche Buch "Neue deutsche Mädchen" von Jana Hensel und Elisabeth Raether. Das liest sich so: "Die Sonne schien, und irgendwie hatte ich geahnt, dass David, wenn er sich meldete, es heute und an keinem anderen Tag tun würde." Oder die Autorinnen behandeln den Feminismus wie Club-Med-Animateurinnen eine öde Turnübung, die man mit Wort-Klimbim und Positive-Thinking aufspaßen muss.

"Warum Feminismus das Leben schöner macht" haben Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl im Untertitel ihr eigentlich fundiertes Buch über die neuen "Alphamädchen" genannt; die Kapitelüberschriften posaunen: "Feministinnen haben mehr Spass", "Feminismus macht sexy", "Knaller-Sex für alle".

Unwahrscheinlich, dass aus diesem florierenden Mädchenfeminismus eine ausgewachsene Frauenbewegung wird. Denn diese Zeitgeistmädchen wollen vor allem eins: sexy bleiben. Deshalb sind sie frech aber nicht fordernd, stets dabei statt dagegen, und der Feminismus, den sie sich zurechtzimmern wie eine schicke Yogavariante macht gelenkig und leistungsfähig. Wenn schon Feminismus, dann bitte ohne den angeschimmelten "ismus". So geht das nicht; eine Frauenbewegung braucht Mut, Moral und Mitgefühl. Und sie braucht den ismus.

Mut hat Charlotte Roche. Durch "Feuchtgebiete" wird ein Tabu-Thema Pop. Ausgerechnet. Denn in der Populärkultur waren bisher Tränen (rotzfrei) die einzig geduldete weibliche Körperflüssigkeit. Der Frauenkörper hat im Pop einem überirdischen Ideal zu folgen. Er ist die Rohmasse, die optimiert, trainiert, operiert wird. Der Körper muss blitzen wie die Karosserie eines Statusschlittens, er darf nicht lecken oder riechen; bloß nicht Natur sein.

Die Verwandlung von Natur in Populärkörperkultur zeigt sich bei der Begutachtungsschau "Germany's Next Topmodel", noch aufschlussreicher war aber die Sendung "The Swan", in der jungen Müttern die ersten Spuren der Reproduktionsarbeit wieder wegretuschiert wurden: Brust hoch, Speck weg, die Nase stupsiger, dazu ein wenig QiGong gegen die weibliche Heul-Hysterie, schon ist die Gebrauchtfrau wieder fast wie neu.

Oh, Porno, super, kein Problem!

Hegels Kapitel über Herrschaft und Knechtschaft aus der "Phänomenologie des Geistes" ist eine der Lieblingslektüren feministischer Theoretikerinnen. Da macht der Knecht den Dreck weg und wird so zum Mensch, während der Herr nur dumpf vor sich hinkommandiert. Leider sehen sich in Ehen mit Ehegattensplitting viele Männer nach Jahren des knechtschen Reinemachens nach einer neuen Untergebenen um, an der die Schwerkraft noch nicht so stark gezogen hat. Und leider bleibt auch nach dem neuen Unterhaltsrecht und der Besserstellung der Kinder der Erstfrau oft nur Hartz IV.

Roches Buch kann man also, auch wenn es einem ästhetisch missfällt, aus ideologischen Gründen gut finden. Sie kann nichts dafür, dass Medien ihr Buch als Alibi missbrauchen, um sich genüsslich mit dem "Sex junger Mädchen" zu beschäftigen. Roche ist auch nicht die erste, die künstlerisch die Beine spreizt. Lange vor ihr sind Künstlerinnen wie Valie Export oder Hannah Wilke recht unzimperlich in die Geschlechtsteiloffensive gegangen. Aber an Porno scheidet sich ohnehin der Geist der angeblich so schlechtgelaunten Frauenbewegung von ihrer gegenwärtigen Schmusevariante. Andauernd versichern die Damen aus der Feministin-und-trotzdem-geil-Fraktion, dass Pornos prima seien; nur die Dialoge, die seien halt so naja.

Auf der nächsten Seite: Warum die neuen Frauenbewegungen das Wort "Feminismus" vermeiden.

Die Work-Wife-Balance

Als Indiz für ihre souveräne Unverkrampftheit führen sie gerne die Rapperin Lady "Bitch" Ray an, die bald zur neuen Alice Schwarzer ausgerufen werden dürfte. Das ist insofern rätselhaft, als sie Sex mit Feminismus verwechselt. Ihr nächstes Album soll "Aufklärung" heißen und zur Vermarktung ihrer "vaginalen Selbstbestimmung" spannt sie sogar den armen Kant vor ihren Medienkarren.

Sie hat türkische Wurzeln und ein Promotionsstipendium, das wird einem immer wieder, wie ein Garantiezertifikat für die Metaebene, von denen zugeraunt, die in ihre Pornohuberei einen emanzipatorischen Auftrag hineingeheimnissen. Wo wäre der denn zu finden? Auch wenn die schockierte Sprachlosigkeit von Oliver Pocher neulich, als Lady "Bitch" Ray bei "Schmidt und Pocher" ein Döschen mit vermeintlichem Scheidensekret überreichte, ein beglückender Fernsehmoment war: Ein Rap wie "Deutsche Schwänze" bleibt rassistisch, und schlechtes Benehmen führt nicht zwingend zu einer toleranten Gesellschaft.

Unter meinen Freundinnen wird zur Zeit mit vielen Distanzierungsformeln ein Buch weitergegeben: Schlimmer Titel, schlimmes Cover, schlecht redigiert, aber hey, mir hat das echt was gebracht! Es heißt "Raus aus der Mädchenfalle", und es versucht sich gar nicht erst an Systemumbau oder Patriarchatskritik. Es geht darin ums Karrieremachen. Die Autorin Annette C. Anton fordert, dass wir jungen, gut ausgebildeten Frauen aufhören sollten, uns die Augen zu reiben, wenn die Männer ihre Arbeit delegieren, selbst über Visionen dozieren und dafür Gehaltserhöhung kassieren. Wer nur feige alles richtig machen will, bleibt immer neben dem Fahrstuhl sitzen, Macht bekommen einzig die, die mitspielen bei den Eierschaukeleien, so einfach ist das.

Der zentrale Verrat

Wir Frauen verdienen weniger, wir müssen uns Egoismus vorwerfen lassen, wenn wir in den Urlaub statt zur Entbindung fahren - das ist schlimm und bekannt. Die "Alphamädchen" wollen auch "raus aus der Mädchenfalle", doch so unterschiedlich die Bücher und Ansätze sind, sie deuten den Feminismus nur zu einer zweckorientierten Lebenspraxis um, sie verraten die Frauenbewegung an die Work-Wife-Balance.

Denn war da nicht mal mehr im Spiel als Geld und Kinderfragen, damals, als Feminismus nicht nur eine andere Form des Karrierecoachings und Kinderwunscherfüllens war? Als es ums Leben (Olymp de Gouges) und Lernen (Mary Wollstonecraft) ging, und der Feminismus sich noch als Emanzipationsbewegung verstand, die nicht nur die Lebensqualitätssteigerung der eigenen Klientel als Programm hatte, sondern eine Vision von Gerechtigkeit. Das kann Feminismus nämlich auch sein: Ein Werkzeug, um Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen. Die zwischen Mann und Frau sowieso. Aber er kann auch sensibilisieren für kulturelle, religiöse, ethnische Unterschiede.

Deshalb können wir Feminismus, seinem Minimalanspruch nach, wie einen Lügendetektor benutzen. Der prüft: Wie geht eine Gesellschaft, die Gleichheit und Gerechtigkeit postuliert, mit denen um, die von der Norm abweichen? Die Norm, an der sich alles ausrichtet, ist immer noch männlich, hat einen Job und jemand, der ihm das Reinemachen vom Hals hält. In der Maximalforderung ist Feminismus aber Teil eines unvollendeten humanistischen Projekts.

Mut, Moral und Mitgefühl

Ach, es hätte eine feine Debatte werden können, aber bisher ist es leider nur fades Beleidigtsein. Alice Schwarzer bezeichnete die Autorinnen von "Neue deutsche Mädchen" und "Wir Alphamädchen" in ihrer Ludwig-Börne-Preis-Rede als "Wellness-Feministinnen". Darauf warfen Jana Hensel und Elisabeth Raether ihr auf sueddeutsche.de "Buchhalter-Feminismus" vor und die "Alphamädchen" klagen, dass so ein wenig Spaß haben, so als Entlohnung, doch echt mal drin sein muss, ohne gleich Wellness zu sein (SZ, 7.5.2008). Es geht zu viel um die Frage: Wer darf sprechen. Nicht darum: Wie wollen wir leben?

Eine Frauenbewegung braucht neben Mut und Moral auch Mitgefühl. Vielleicht ist das der schwierigste Punkt: Eine Gruppe, die so heterogen ist wie die der Frauen, kann kaum solidarisch handeln. Deshalb war die Frauenbewegung nie eine Massenangelegenheit, die Hartz-IV-Migrantin und die Arztgattin haben zu wenig miteinander zu tun. Selbst Jana Hensel sagt, sie kann mit dem Wort Feminismus wenig anfangen: "Ich mag es nicht besonders. Es klingt nach Bewegung, Kampf, und Besserwisserei. Ich vermeide es, so oft es geht."

Die Wir-Mädchen-um-die-Dreißig-Bücher schaffen vielleicht eine lipglossschnutige Betroffenen-Peer-Group, die Interessenpolitik betreibt. Sowas macht auch der Bauernverband. Das ist okay, aber die Emanzipation kommt so keinen Schritt voran.

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