Der Mord wegen Küblböck:Superstar im Supermarkt

Hier droht Aura-Verlust: So super sind selbst Superstars nicht mehr, dass man sich nicht mit ihnen identifizieren kann. Jeder von ihnen ist einer von uns.

Tobias Kniebe

(SZ v. 01.08.2003) Wie immer in diesem Land, wenn junge Menschen schreckliche Dinge tun, lastet die Schuldfrage schwer auf dem Gemüt der Nation. In Lindau ist eine 15-jährige Schülerin von ihrem 20-jährigen Exfreund erschossen worden – und zwar, wie die Bild-Zeitung reichlich spekulativ feststellte, „weil sie Superstar Daniel so sehr liebte“. Superstar Daniel, das sollte man für weltabgewandte Leser dazusagen, ist ein 17-jähriger Teilnehmer des Singwettbewerbs „Deutschland sucht den Superstar“. Einer, der nicht gewonnen, aber trotzdem schon Hunderttausende von Platten verkauft hat – und zwar, weil er einerseits „schräg“, andererseits „sensibel“ ist, wie man in jedem Bericht über ihn zu lesen kann. Das ist eine explosive Mischung. „You Drive Me Crazy“ heißt sein aktueller Hit, und genau das soll er am Bodensee erst mit dem Opfer gemacht haben, das angeblich vom ihm besessen war, und anschließend mit dem Täter, der möglicherweise aus Eifersucht gehandelt hat.

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„Viele Intellektuelle machen die Sehnsucht der Kinder nach Daniel Küblböck nieder“ – das wiederum wusste Kolumnist Franz Josef Wagner gleich nach der Tat. Damit würden sie die Nöte der Jugend missachten und seien deshalb die wahrhaft Schuldigen, erklärte Wagner. Welche Bürde! Ausgerechnet für jene, die sich angesichts von Pop-Exzessen gewöhnlich für unzuständig erklären.

Versucht man aber, sich dieser Verantwortung zu stellen, dann ist die Frage natürlich die: Was haben wir falsch gemacht? Längst ist bekannt, dass totale Identifizierung mit einem Star zwar einerseits der entscheidende Wirtschafsfaktor der Popindustrie ist, andererseits aber gefährlich außer Kontrolle geraten kann. In einer Ausprägung richtet sich die Obsession gegen das verehrte Idol selbst, das als Teil der eigenen Identität empfunden wird, weshalb ein Akt der Gewalt fast schon ein Akt der Selbstverstümmelung ist: So soll es im Jahr 1980 gewesen sein, als John Lennon in New York erschossen wurde. Auch der Tod der Latino-Queen Selena, die 1995 der Präsidentin ihres eigenen Fanclubs zum Opfer fiel, gehört in diese Kategorie. Man muss nicht einmal wirklich berühmt sein, um diese Art von tödlicher Verehrung auf sich zu ziehen: Dies erfuhr die nicht gerade berühmte Schauspielerin Rebecca Schaeffer, die 1989 von einem besessenen Fan erschossen wurde – möglicherweise ihrem einzigen. In einer zweiten Variante richtet sich ein mörderischer Impuls gegen eine bekannte Persönlichkeit, um dem virtuell verehrten Star zu imponieren – wobei dann gleich zwei Prominente zu Opfern werden: So geschehen bei dem Attentat auf Ronald Reagan im Jahr 1981, mit dem ein gewisser John Hinckley die Schauspielerin Jody Foster auf sich aufmerksam machen wollte. „Ich kann nicht länger warten, dich zu beeindrucken“, schrieb er in einem Brief an die Schauspielerin, bevor er aufbrach, um dem Präsidenten vor dem Hilton-Hotel in Washington aufzulauern.

Reagan überlebte, Hinckley wurde später für unzurechnungsfähig erklärt. Auch die Verrückte, die 1993 auf die Tennisspielerin Monica Seles einstach, um die Chancen ihres Idols Steffi Graf zu erhöhen, hoffte in ähnlicher Weise auf Aufmerksamkeit. Um diese Formen tödlicher Verwirrung, auch um derart klare Verantwortungszuweisung durch den Täter, geht es im Fall Küblböck jedoch nicht. Hier lässt sich eine dritte Form der Identifikation vermuten, die von den Infizierten als völlig normal empfunden wird, dafür aber in deren Umfeld möglicherweise zu mörderischen Gedanken führen kann. So ein Fall ereignete sich letztes Jahr in Los Angeles. Die 21jährige Anna White wartete vor der Radiostation „Kiss FM“ auf den Sänger Justin Timberlake, ihr hochverehrtes Idol. Dabei geriet sie mit einem 23-jährigen Bekannten aneinander, der sie von dieser Idee abbringen wollte. Der Streit eskalierte, der Täter stieg in ein Auto und überfuhr das Mädchen im Rückwärtsgang. Die Anklage lautete auf Mord, Justin Timberlake sprach sein „Entsetzen“ aus, genau wie heute Daniel Küblböck – der sich jedoch noch gar nicht sicher sein kann, ob er mit dem Mord in Lindau tatsächlich etwas zu tun hat.

Ein Fall in Berlin, der die Bild-Zeitung ebenfalls über mehrere Folgen in Atem hielt, suggeriert allerdings, dass der Deutsche ein besonderes Händchen dafür hat, Frauen um die Verstand zu bringen. Eine Altenpflegerin namens Chantal, 29, in deren Zimmer angeblich 200 Küblböck-Poster hängen, wurde von ihrem Mann vor die Wahl gestellt: entweder ich oder er. Chantal entschied sich für Küblböck und wollte sich scheiden lassen. Bild sorgte dafür, dass sie ihr Idol sogar treffen konnte.

Hätte man also wissen können, dass Herr Küblböck ein besonders gefährlicher Superstar ist? Noch sind die Motive der Tat in Lindau reine Spekulation – aber aus der Erfahrung früherer Fälle wirkt das Muster durchaus plausibel. Es könnte sogar sein, dass der neue Typus des Stars, den Küblböck verkörpert, ein besonderes Potenzial für Realitätsverlust in sich trägt. Ein Typus ist das, der aus der Anonymität einer normalen Teenagerexistenz gerissen wird und plötzlich einem wahren Overkill an Medienaufmerksamkeit gegenübersteht, obwohl dies erkennbar weder durch Talent noch durch Können plausibel gemacht werden muss. Die klassische Star-Identifikation lief über entrückte, quasi gottähnliche Figuren, die noch dem größten Spinner als unerreichbares Spiegelbild der eigenen Sehnsüchte erscheinen mussten. Der neue deutsche „Superstar“ hat nichts mehr von dieser Aura, und der ewig wiederholte Traum, er könne „einer von uns“ sein, fällt hier mit der Realität in eins. Damit aber rückt die symbolische Identifikation so nah an den Alltag heran, dass die Grenzen verschwimmen können. Und ein eigentlich abstraktes Gefühl der Eifersucht kann dann auf einmal sehr real werden – so real wie eine Kugel im Kopf.

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