Der Kanzler und die Kunst - eine Bilanz:Ein Mann allein

Gerhard Schröder ist verschrien als Vernissagen-Kanzler, hat stets ein Ohr für Künstler und bleibt doch der hemdsärmlige Politiker, der er ist.

Holger Liebs

Das war, neulich beim "G 8"-Gipfel im schottischen Gleneagles, wieder so eine Gelegenheit, die der Bundeskanzler sich nicht nehmen ließ: Da wandelten sie also vor den Kameras einträchtig nebeneinander her, Schröder und Blair sowie die Pop-Legenden und Gutmenschen Bono und Bob Geldof, innig ins Gespräch vertieft, wie es schien - und Schröder hörte aufmerksam zu, wie immer, wenn Kulturschaffende in der Nähe sind.

Der Kanzler und die Kunst - eine Bilanz: Brandt, bei dem Grass und Böll ein- und ausgingen, war Fan von Mandolinen- und Marschmusik. (Mit Gerhard Schröder und Günter Grass im Niedersachsen-Wahlkampf 1985)

Brandt, bei dem Grass und Böll ein- und ausgingen, war Fan von Mandolinen- und Marschmusik. (Mit Gerhard Schröder und Günter Grass im Niedersachsen-Wahlkampf 1985)

(Foto: Foto: dpa)

Wieder so ein Meisterstück medialer Inszenierung: Vor dem Gipfel hatten Bono mit seiner Band U2 und Geldof im Rahmen der weltweiten "Live 8"-Konzertserie die Staatschefs erzürnt gemahnt, doch endlich mal dem darbenden Afrika mehr Aufmerksamkeit zu schenken und den ärmsten Ländern der Welt ihre Schulden zu erlassen.

Und nun durften die Musiker nochmal persönlich bei Bush, Blair und Schröder vorsprechen, mit anschließendem Blitzlichtgewitter - und waren so beeindruckt von dieser Ehre, dass selbst "Live 8"-Initiator Geldof nachher voll des Lobes war für den Kanzler. Das mit der Dritten Welt, naja, das sei natürlich schon schwierig, meinte der Sänger, Schröder sei ja im Wahlkampf, da könne er nicht so viel versprechen.

Schröder aber hatte wieder seine Fernsehbilder, in denen er immer ganz Ohr ist für die Probleme der engagierten Kulturmenschen, und wahrscheinlich ist er das ja wirklich. Aber er versteht sich eben auch immer wieder hervorragend aufs embedding, also auf die Fähigkeit, als feinsinniger, aufmerksamer Kulturmensch kritische Geister einzubinden und trotzdem immer diesen hemdsärmelig-aufgeräumten Eindruck zu vermitteln, dass das Regieren nie aufhört, selbst wenn die Schönen Künste mal auf dem Abendprogramm stehen.

In zehn Tagen ist wieder Sommerfest im Kanzleramt, wahrscheinlich das letzte unter Schröder. Und auch da wird er wohl wieder sehr symphatisch rüberkommen, so, wie es fast jeder berichtet, der mal die Skylobby des Glasbetonwürfels erblicken durfte: Schröder wirkt bei solchen Anlässen nie wie ein reiner Funktionsträger, der schon durch sein Amt verpflichtet ist, auch den Künstlern dann und wann ein Ohr zu leihen.

Er komme als "Gleicher unter Gleichen", schreibt stattdessen schon mal ein Hofskribent, setze sich sogar auf untere Treppenstufen, sei also einer wie du und ich, und stelldirmalvor, dem Günter Grass soll er mal ein Glas Wein hinterhergetragen haben!

Nun sagen diese halböffentlichen Runden recht wenig über das Verhältnis von Macht und Geist in der Berliner Repubik aus. Sie sind vor allem Mediendekoration und als solche symbolpolitisch zu begreifen: Dass der Kanzler hier gerne als Zuhörer auftritt, als bekennender, bodenständiger Laie, der der Ästhetikfraktion mit glaubhafter Neugier lauscht, heißt nicht, dass die Kulturschaffenden des Landes wirklich Gehör fänden und Einfluss nehmen könnten auf die Regierungspolitik. Sie dürfen allenfalls teilhaben am populistischen Schauspiel des "offenen Geistes", von dem der Kanzler immer spricht.

Des Kanzlers enge Bindungen zu Duzfreunden wie den Altrockern Klaus Meine (Scorpions), Marius Müller-Westernhagen und Udo Lindenberg sowie zu den Altmalern Markus Lüpertz und Jörg Immendorff sind denn auch eher privater Natur; sie lassen sich nicht hochrechnen zu einer neuen Sinnstiftung politischer Kultur, wie es die Legende beim Stelldichein der Künstler bei Willy Brandt selig bemerkt haben will.

Brandt, bei dem ja immerhin Grass und Böll ein- und ausgingen, war übrigens Fan von Mandolinen- und Marschmusik. Und war nicht die erinnerungsträchtigste Kulturäußerung eines Politikers in der sozialliberalen Ära Walter Scheels fröhliche Intonation des Volksliedes "Hoch auf dem gelben Wagen"?

Der Unterschied zur "Willy, Willy"- Aufbruchperiode, die es ja tatsächlich gegeben hat, Mandoline hin, Scheel her, besteht vielleicht am ehesten darin, dass auch die Künstler heute nur noch wenig Illusionen über die vermeintliche Nähe von Geist und Macht hegen. Es mag einer zukünftigen Kanzlerin Merkel gelingen, eine junge, kulturkonservative Elite auf ihre Seite zu ziehen, doch auch sie muss, wie Schröder jetzt, die Reformrepublik in einer bleiernen Zeit regieren, in der wenig Luft bleibt für kulturellen Wandel.

Dazu kommt, dass die SPD nie die kunstsinnigste aller Parteien war. Vor diesem Hintergrund aber hat der Kanzler dennoch erstaunlichen Kunstsinn bewiesen. Er, der immerhin noch vor der Regierungsübernahme Jürgen Habermas abkanzelte, ihn an die "Mühen der Ebene" erinnerte - der Philosoph hatte zuvor von der Politik neue Visionen eingefordert --, er hat sich schon bald als "Aficionado der modernen Kunst" geoutet.

Vor allem wird Schröder zwar als der Kanzler in Erinnerung bleiben, der das Kulturstaatsministerium erfand - und als der Kanzler, während dessen Regierungszeit das Holocaust-Mahnmal eingeweiht wurde. Doch Schröder hat außerdem ein ganz eigenes Verständnis für zeitgenössische Kunst entwickelt.

Nach Bayreuth können andere pilgern, er, Schröder, bleibt im Lande und nährt sich von der Aura der Malerei und Skulptur. Sein Kanzleramt ist ein sprechender Beleg für diese Haltung. Nur murrend zog er zunächst in den von Axel Schultes noch unter Kohl geplanten Regierungspalast ein: Er wolle hier "regieren, nicht herrschen", ließ er verlauten.

Was dann geschah, kann nur als Akt der Subversion gegenüber der bombastischen Architektur begriffen werden. Lüpertz' starkfarbige Bemalungen der Schultes'schen Rundwände am Eingang ließen diese einfach verschwinden, allüberall tauchten plötzlich Leinwand-Großformate an Stellen auf, die dafür schlechthin ungeeignet waren. Die knollige "Philosophin", ebenfalls von Lüpertz, zieht jetzt statt der betonkühlen Architektur im Foyer die Blicke auf sich, Ernst Wilhelm Nays berühmte Augenbilder dominieren sinnig den Pressesaal.

Lüpertz' Skulptur der entblößt Sinnenden ist auch ein Beleg für Schröders "Basta!"- Mentalität: Er entschied per Dekret, die "Philosophin" ins Kanzleramt zu holen, nachdem ihre Aufstellung am Arbeitsministerium an bürokratischen Hürden gescheitert war.

Nur von wenigen lässt sich Schröder übrigens beraten, darunter Peter-Klaus Schuster, der Berliner Museumsgeneral, und Christoph Stölzl - der Kunstbeirat der Bundesregierung, eigentlich für die Kunst im Kanzleramt zuständig, wird längst nicht mehr konsultiert. Vom Beirat stammt aber immerhin noch der Vorschlag für die rostigen Tentakel vor dem Kanzleramt, Eduardo Chillidas Skulptur "Berlin".

Ansonsten dürfen sogar jüngere Zeitgenossen den Bau bespielen: Franz Ackermann, Corinne Wasmuth, Neo Rauch, Jeff Wall. Ein neues Buch über die "Kunst im Bundeskanzleramt" (erschienen bei DuMont) dokumentiert auch ihre Auftritte. Und auch die Sammler moderner Kunst dürfen Schröders Haus als Schaufenster ihrer Kollektionen nutzen. Schröder begriff schnell, dass man in Zeiten kultureller Sparprogramme Privatsammler hofieren muss. Aber musste er, der als "Vernissagenkanzler" verschrien ist, wirklich einen Staatsakt aus der Eröffnung der Flick-Collection im Hamburger Bahnhof machen?

Kunst sei "kein Mahnmal", so Schröder zur belasteten Familienvergangenheit des Kunstsammlers Friedrich Christian Flicks. Doch Kunst lässt sich auch instrumentalisieren, als Staatskunst beispielsweise -- auch und gerade, wenn sie so roh und männlich-kraftvoll daherkommt wie Lüpertz' "Philosophin" oder wie der umgedrehte Adler von Georg Baselitz, der hinter Schröders Schreibtisch hängt.

Im Kanzleramt verwandeln sich diese als zweckfrei gedachten, neoexpressiven Kunstwerke in Allegorien auf die gute Regierung, vermitteln Allgemeingültiges: Wirkt nicht auch der Kanzler beim Zuhören sinnend wie die "Philosophin", ist sein Regierungsstil nicht so robust wie Baselitz' fallender Adler, der, dreht man ihn in die Ursprungslage zurück, in Wahrheit aufsteigt?

Am Ende bleibt inmitten all der Kunstsinnigkeit immer nur Gerhard Schröder selbst übrig, der volkstümliche Kanzler, der ja schließlich auch die halbseidenen Akte und Trenchcoat-Figuren des Kaufhausgrafikers Bruno Bruni schätzt. Was vom Kanzler Schröder bleibt, stiftet auch der zukünftige Kanzlerporträtist, der sich in der Galerie aller Kanzler am ehesten wird messen müssen mit Bernhard Heisigs außerordentlichem Bildnis Helmut Schmidts.

Wer wird wohl Schröder malen? Immendorff scheidet wohl aus nach seiner Kokain-Affäre. Und Neo Rauch? Der Maler hemdsärmeliger Arbeiter, die schuften, ohne ans Ziel zu kommen, wäre ein angemessener Kandidat. Aber Porträts sind Rauchs Sache nicht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: