"Der japanische Liebhaber" von Isabel Allende:Das ist Trivialliteratur

Isabel Allende

Die "Königin der Gefühle" hat wieder zugeschlagen. (Im Bild: Isabel Allende auf der Frankfurter Buchmesse)

(Foto: AFP)

Unser Autor hat bei der Lektüre des neuen Allende-Romans ein ums andere Mal "oje" an den Rand geschrieben.

Von Ralph Hammerthaler

Als Isabel Allende 1982 ein Exemplar ihres ersten gedruckten Romans in Händen hielt, "La casa de los espíritus", da fühlte sie so etwas wie Berufung: "Das ist es, was ich für den Rest meines Lebens machen will." Auf Deutsch erschien "Das Geisterhaus" im Jahr 1984. Wer sich hin und wieder durchringt, einen weiteren Allende-Roman zu lesen, weiß, dass sie damals, 1982, eine folgenschwere Entscheidung getroffen hat, nicht nur für sich, sondern auch für ihre Leserinnen und Leser. Denn "Die Königin der Gefühle", zu der sie El Mundo einst erkoren hat, ist in Wahrheit "Die Königin des Kitsches".

Mit den Jahren hat sie ihre sprachliche Soap-Technik vervollkommnet. Doch noch nie war Allende so vollkommen wie heute, in ihrem Roman "Der japanische Liebhaber". In "Mayas Tagebuch" noch, vor ein paar Jahren, konnte man sich wenigstens da und dort festhalten, weil Allende streckenweise das Genre des härteren US-Krimis ausprobierte. Davon ist nichts mehr übrig geblieben. Der neue Roman ist Trivialliteratur, und das Beste, was man darüber sagen kann, ist, dass sie ihn gnadenlos heruntererzählt.

Leseprobe

"Ich glaube, dass auch mein neues Buch", schreibt Allende in einer Art Beipackzettel, "so etwas wie einen epischen Atem hat." Schön gesagt. Aber ich glaube das nicht. Dazu nämlich fehlt es an allem, an Verdichtung, an Witz, an Erregung, an Wagemut. Stattdessen ruft sie ein Thema nach dem anderen auf, da sie ja einen sehr zeitgenössischen Roman schreiben will. Mithilfe von Rückblenden rafft sie einiges zusammen: Juden, Holocaust, Rassismus, Pearl Harbor, Internierungslager für Japaner, Inzest, Demenz, die Schwulen von San Francisco, Aids, Sterbehilfe, Kindesmissbrauch und Kinderpornografie im Internet.

In einer Residenz für Senioren lernt die junge Pflegerin Irina die gut 80-jährige Alma kennen, sie gewinnt ihr Vertrauen, und nach und nach erfährt man so Almas Geschichte. Als Kind vor den Nazis aus Polen geflohen, wächst sie in einem großbürgerlichen Anwesen bei Verwandten auf, mit Blick auf die San Francisco Bay. Früh verliebt sie sich in den Sohn des Gärtners, der später zu ihrem japanischen Liebhaber wird und es zeitlebens bleibt.

Mit Allende gesagt: "Es liegt an uns, ob die Liebe ewig währt." In dem Kapitel, das "Die Liebe" heißt, müsste "Die Königin der Gefühle" in ihrem Element sein, aber sie lässt es kitschig missraten, dass man den Glauben an die Liebe ganz zu verlieren droht. Sex wirkt hier wie ein Opfer endloser Diskurse, die das Männliche und das Weibliche ins Neutrale verwischt haben. Der Rest ist Behauptung.

Sind Klischees in der Literatur entschuldbar, wenn die Wirklichkeit sie liefert?

In einem Interview mit der kolumbianischen Zeitung El Tiempo gibt Isabel Allende vor, sie habe die verschwiegene Geschichte der Konzentrationslager für Japaner in den Vereinigten Staaten aufgedeckt. Zum Spaß könnte man die Worte "concentration camps japanese USA" in die Suchmaschine eingeben. Worauf man 2 440 000 Verweise erhielte. Verschwiegene Geschichte schaut anders aus.

Trotzdem, in den Abschnitten, da Allende den Alltag der Camps beschreibt, weckt sie etwas Aufmerksamkeit, was ihr sonst, was immer sie vorbringt, nur schwer gelingt. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor 1941, der 2500 Menschenleben forderte, erklärte Präsident Roosevelt Japan den Krieg.

Um den potenziellen Feind im Landesinneren unschädlich zu machen, internierten die Vereinigten Staaten alle japanischstämmigen Menschen in Lagern, gesichert durch Stacheldraht, Wachtürme und bewaffnete Soldaten. Mit der herrschenden Politik im Rücken gedieh die übliche Hetze: "Eine Viper bleibt eine Viper, egal, wo sie ihre Eier ablegt." Selbst ein Japaner mit US-Pass galt damals als Viper. "Die Königin der Gefühle" aber bringt es fertig, dass eine süße Japanerin einem ritterlichen Wachmann verfällt.

Allende erzählt ihre Mexiko-Klischees herunter, inklusive Tequila

Ungewollt wird Alma von ihrem japanischen Liebhaber schwanger. Da sie das Kind nicht haben will, fährt sie mit einem Bündel Banknoten nach Tijuana. "Mexiko wartete mit allen Klischees auf." Was, bitte, soll das heißen? Ist es eine Entschuldigung, eine Welt voller Klischees nur mit literarischen Klischees beantworten zu können? Es sieht ganz danach aus, denn kurz darauf erzählt Allende ihre Mexiko-Klischees herunter; sie lässt nicht mal die Flasche Tequila aus, die der Arzt der schwangerschaftsabbruchwilligen Alma zur Betäubung hinhält.

Als Klischee-Spürhund kommt man bei Allende nicht zur Ruhe. Da ist zum Beispiel Irina, die Altenpflegerin. Sie ist, ihrer Mutter folgend, als Kind aus Moldawien eingereist. Was erscheint beim Stichwort Moldawien im Horizont der Isabel Allende? Genau. Sex, Sex, Sex, und zwar Sexsklavinnen-Sex. Die Mutter ist im Bordell zur Hure gemacht worden, die Tochter wird vom Stiefvater missbraucht, vor der Videokamera, damit die Lüstlinge im Internet ihr Vergnügen haben an einem scheuen, kleinen, flachbrüstigen Mädchen.

Mein Exemplar von "Der japanische Liebhaber" ist mit Gekritzel versehen. Ein ums andere Mal hab ich "oje" an den Rand geschrieben. Kurzzeitig spielte ich mit dem Gedanken, diese Besprechung mit Oje-Zitaten zu bestreiten, mit nichts als Allende im Original: "Sie spürte, wie etwas in ihrem Inneren zersprang, es hörte sich an wie ein Tonkrug, der in Scherben geht, und ihr dankbares Herz wurde größer, weitete sich, öffnete sich wie eine Seeanemone im Meer." Oder: "Manchmal schaute der Mond kurz bei ihr vorbei, ehe er seinen Weg fortsetzte, aber heute war keine dieser gesegneten Nächte." Oder auch: "In Topaz hatte sie bei etlichen Geburten geholfen und bei jedem Neugeborenen die gleiche überbordende Freude empfunden, die einer göttlichen Offenbarung so nah kam, wie sie glaubte, ihr kommen zu können."

Alles muss leicht verdaulich sein

"Sie ist der chilenische Paulo Coelho", kommentiert ein Leser das El-Tiempo-Interview im Internet. "Hier geht es nicht um Literatur, sondern um Kommerz." Es fällt schwer, ihm zu widersprechen. Zwar will Allende die großen Themen haben, aber gleichzeitig dann doch nicht allzu sehr. Insgeheim will sie gar nicht so genau wissen, in welche Nöte ihre Themen den Einzelnen stürzen können. Alles muss leicht verdaulich sein. Nie gräbt sie tiefer als unbedingt nötig. Und darum berührt einen das alles nicht. Irgendwann ist die alte Katze der alten Alma tot. Es heißt, sie liege steif gefroren im Eisschrank. Überlegt wird, die Katze zum Präparator zu bringen, dann könnte sie Alma ins Regal stellen.

Unternommen wird nichts, weil zu abwegig offenbar und zu pervers. Wer einmal mit einem Tierpräparator gesprochen hat, weiß, dass er in einer Stunde packendere Geschichten erzählen kann als Allende auf 336 Seiten - von dem Paar zum Beispiel, das jahrelang mit einer Python in der Wohnung lebte und, als die Schlange tot war, die Schlangenhaut, weich gegerbt, als Reizwäsche begehrte.

Der Zeitung El Tiempo sagte Isabel Allende, sie sei offen für alles Mögliche, auch für alles Verrückte und Magische. Wäre das wirklich der Fall, sie schriebe andere Bücher. Doch weil ihr Heruntererzählen keine Verstörung duldet, steht sie, wenn auch erfolgreich, immer nur auf der Schwelle zur Literatur. Schon jetzt ist "Der japanische Liebhaber" wieder ein Bestseller, auch in Deutschland, während die fabelhafte jüngere lateinamerikanische Literatur, von Lucía Puenzo, Daniel Alarcón oder César Aira, weithin unbeachtet bleibt.

Nie wieder werde ich einen Roman von Isabel Allende lesen, es sei denn, sie holt ihre Katze aus dem Eisschrank.

Isabel Allende: Der japanische Liebhaber

Isabel Allende: Der japanische Liebhaber, 336 Seiten, 21,95 Euro, Suhrkamp.

(Foto: dpa)
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