Der Film: "Get Rich or Die Tryin'":Warum lebt dieser Mann eigentlich noch?

In seinem Film "Get Rich or Die Tryin'" beschwört 50 Cent die einzig wahre Gangsta-Romantik - und bewahrt inmitten von explodierenden Egos und Patronenhülsen die Ruhe.

TOBIAS KNIEBE

Es muss einen Grund geben, warum der Mann noch am Leben ist. So lässt sich, in einem Satz, die Geschichte des Rappers Curtis "50 Cent" Jackson zusammenfassen: Eine Geschichte des Erwähltseins, die in vieler Hinsicht an einen anderen Erwählten aus moderner Mythenbeschwörung erinnert, nämlich an Harry Potter. Wie Harry Potter hat er eine Attacke auf sein Leben überstanden, die eigentlich kein Mensch überleben dürfte: Neun Kugeln trafen ihn bei einem Gangster-Shootout in Queens im Jahr 2000 - und doch wurde er, genau wie Potter, "der Junge der davonkam". Seither trägt er, ebenfalls wie Potter, eine Narbe im Gesicht, die jederzeit an diese Episode erinnert. Und hier wie dort ist es diese Unverwundbarkeit, die einen Status zementiert, mehr als ein normaler Sterblicher zu sein. Man kann lange darüber spekulieren, was die Menschen gerade daran so fasziniert - Tatsache aber ist, dass Potter und Jackson derzeit mehr Bücher (beziehungsweise Platten) verkaufen als all ihre Konkurrenten.

Der Film: "Get Rich or Die Tryin'": undefined

Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied: Jackson ist keine Phantasiegestalt - und er hat stets darauf verzichtet, übernatürliche Kräfte in seinem Leben zu beschwören. Auch die halbfiktionalisierte Überhöhung des eigenen Aufstiegs, die er jetzt in dem Film "Get Rich or Die Tryin'" präsentiert, ist eher eine Ode an sehr einfache und höchst irdische Qualitäten: Zähigkeit, Starrköpfigkeit und ein unzerstörbares Phlegma, das es dem Helden erlaubt, auch inmitten der explodierenden Egos und Patronenhülsen der Gangsta-Welt die Ruhe zu bewahren und stur an den eigenen Zielen festzuhalten. Im Grunde hat er nichts anderes zu erzählen als all die Hip-Hopper vor ihm, die den umstrittenen Welterfolg des Genres Gangsta-Rap begründet haben: Kaputte Familienverhältnisse, Ghettoleben, frühe Erfahrungen mit Mord und Totschlag, Drogendeals, Gang-Mitgliedschaft, Gefängnis - und irgendwann die Einsicht, statt Kugeln künftig lieber knallharte Reime sprechen zu lassen, danach Erfolg und bald auch exzessiv zur Schau gestellter, märchenhafter Reichtum.

Das Besondere an Jackson, den seine Fans nur "Fifty" nennen, liegt jedoch im Exzess dieses Prinzips: Er wirkt physisch noch etwas bedrohlicher als alle anderen, hat noch mehr Muskeln, blickt noch grimmiger in die Kamera, spricht in seinen Texten noch direkter und ungehemmter von Sex, Crime & Money - und im ewigen Wettbewerb um die Frage, wer vor dem Aufstieg zum Ruhm der härteste Bursche war, hat er mehr Schusswunden zu bieten als alle Konkurrenten, die in dieser Kategorie überhaupt noch mithalten können. In der Kultur des Hip-Hop, der aus einer durchaus ironischen, nie ganz ernst gemeinten Tradition urbaner schwarzer Großmäuligkeit geboren wurde, hatte das den Effekt einer Reduktion: Auf einmal sollte nur noch zählen, was eins zu eins mit der eigenen Geschichte und dem eigenen Körper zu beglaubigen war, den Texten wurde alles Spielerische und Doppeldeutige ausgetrieben, und nicht zuletzt blieb auch der Humor auf der Strecke.

Aus diesem Grund ist Curtis Jackson in der Hip-Hop-Welt umstritten. Seine hausbackenen Überzeugungen und Erfolgsrezepte, das Credo einer simplen Authentizität, die sein einziges künstlerisches Leitmotiv zu sein scheint, machen nun auch seinen Film zu einem leichten Angriffsziel - sein Versuch, mit einer kaum verschleierten Version seiner selbst als Schauspieler zu reüssieren, hat ihm in den USA viel Hohn und böse Verrisse eingetragen. Seine ständig wiederholte Beteuerung, in all seinen Ausdrucksformen stets er selbst zu sein, schlägt hier wie ein Bumerang zurück - der ungeschlachte, einfältige Hüne, der seine Emotionen hinter einem teilnahmslosen, halb verschleierten Blick begräbt, seine schwer dahinrumpelnde, nuschelnde Sprache - das muss ja wohl er selbst sein, gnadenlos entblößt in der Begrenztheit seiner schauspielerischen Mittel. So gerät völlig aus dem Blick, dass diese Figur im Film eben doch nur eine Performance ist, eine ziemlich clevere noch dazu - und dass der Film, einmal von der Persona seines Stars getrennt, eindringliche und bewegende Momente zu bieten hat.

Erst wenn man "Get Rich or Die Tryin'" wirklich als Fiktion begreift, wird die Kraft und Entschiedenheit erkennbar, die in dieser Underdog-Geschichte steckt. Sie begnügt sich damit, einen sehr genauen Blick auf eine eng begrenzte Welt zu werfen, und sie will in keinem Moment mehr sein als sie wirklich ist. Die Figur des Gangsters und Drogendealers Marcus, der von einer Existenz als Rapper träumt, erinnert in ihrem sturen Willen, ihren Nehmerqualitäten, ihrer Loyalität und Zärtlichkeit am ehesten noch an "Rocky" - auch so einer, der gegen alle Wahrscheinlichkeiten an einem Traum festhält, der seine Motive und Überzeugungen nur schwer artikulieren kann, der von den Menschen seiner Umgebung nur als harter Hund wahrgenommen wird, obwohl er in Wahrheit ein großer Romantiker ist. Einmal, als er seinen von Kugeln zerstörten Körper kaum noch bewegen kann, als er kein Gangster mehr sein will und keine Ahnung hat, wie er für seine Frau und seinen kleinen Sohn sorgen soll, rinnt eine Träne über Marcus' Gesicht. Diese Szene ist viel verspottet worden, sie hat wohl auch die Mehrheit der "Fifty"-Fans verstört - aber sie ist richtig und notwendig und macht das Bild dieser Figur erst komplett.

Die größte Überraschung von "Get Rich or Die Tryin'" ist der Regisseur Jim Sheridan, den man bisher als Erzähler irischer Geschichten kennt, von "Im Namen des Vaters" über "The Boxer" bis zu "In America". Sein auf den ersten Blick überraschendes Engagement adelt diesen Stoff und hebt ihn über den zweifelhaften Platz hinaus, den er im Rahmen einer "50 Cent"-Produktkampagne einnehmen könnte, zu der inzwischen auch Turnschuhe und ein Modelabel gehören. Jim Sheridan führt alle Schauspieler, einschließlich Jackson, zu überzeugenden Leistungen, aber nicht nur das: Man hat immer das Gefühl, dass hier einer selbst noch voller Neugier die Welt entdeckt, die er gerade auf der Leinwand zeigt. Er findet vieles, was ihm vertraut vorkommt - eine Gier nach materiellen Dingen, die das universale Zeichen der Armut ist, und eine verhängnisvolle Logik von Gewalt und Gegengewalt, die man schon aus seinen IRA-Geschichten kennt. Andererseits aber entdeckt er Details, die so eben nur das Auge eines Außenseiters wahrnehmen kann: Zum Beispiel die Art, wie sich die Welt in Vibrationen auflöst, wenn man sie durch den Rückspiegel eines Autos betrachtet, in dem gerade fette Hip-Hop-Bässe dröhnen. Dieser neue und fast unschuldige Blick, den er auf eine längst bekannte amerikanische Geschichte wirft - darin liegt der eigentümliche Zauber dieses Films.

GET RICH OR DIE TRYIN', USA 2005 - Regie: Jim Sheridan. Buch: Terence Winter. Kamera: Declan Quinn. Schnitt: Conrad Buff, Roger Barton. Musik: Quincy Jones, Gavin Friday, Maurice Seezer. Mit: Curtis "50 Cent" Jackson, Terrence Howard, Joy Bryant, Bill Duke, Adewale Akinnuoye-Agbaje, Omar Benson Miller, Tory Kittles, Ashley Walters, Marc John Jefferies, Viola Davis, Sullivan Walker, Serena Reeder. UIP, 134 Minuten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: