Der Fall Böhmermann:Böhmermanns juristische Denksportaufgabe

Jan Böhmermann

Im Fall Böhmermann herrscht das Bauchgefühl.

(Foto: dpa)

Die Nation rätselt: Satire oder Schmähkritik? Doch ein verfassungsrechtlicher Test hält eine ziemlich rationale Lösung bereit.

Von Wolfgang Janisch

Potter Stewart, Richter am US Supreme Court, hat es sich 1964 leicht gemacht. Eine rechtliche Definition verbotener Pornografie konnte er nicht liefern - "but I know it when I see it", fügte er hinzu. Jan Böhmermanns Beitrag über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dessen prekäres Verhältnis zur Meinungsfreiheit ist in dieser Hinsicht das genaue Gegenteil von Pornografie: Man schaut sich die Neo Magazin Royale-Sendung vom 31. März an und weiß erst einmal gar nichts. Ist das jetzt erlaubte Satire? Oder verbotene Schmähkritik? Kunstfreiheit? Beleidigung?

Böhmermann hat der Nation eine juristische Denksportaufgabe präsentiert, die derzeit eher nach Gefühl gelöst wird: Böhmermann ist sympathisch, Erdoğan nicht, also wird es schon erlaubt sein. Das Bundesverfassungsgericht dagegen hält für solche Rätsel - was sonst - einen ziemlich rationalen Lösungsweg bereit.

Der verfassungsrechtliche Satire-Test beginnt mit der Erkenntnis, dass man Böhmermanns Gedicht nicht isoliert betrachten darf. Sonst wäre es, daran herrscht kein Zweifel, "Schmähkritik", also genau das, was in der Überschrift steht. Denn vom übelsten Türkenklischee bis zu sexueller Herabwürdigung lässt Böhmermann nichts aus, was beleidigungstauglich ist. Die Frage ist also, ob der Kontext das Schmähgedicht in höhere Sphären hebt.

Böhmermanns Gedicht als Lehrbeispiel

Dazu muss, so will es das Verfassungsgericht, das Werk erst einmal seziert werden: Es gilt, den "Aussagekern" herauszufiletieren und ihn erst einmal getrennt von der satirischen "Einkleidung" zu betrachten. Schaut man sich Böhmermanns Beitrag in seiner Gänze an, dann wird schnell sichtbar, worum es ihm ging. Er bezieht sich auf die Satire in der Sendung Extra 3 - und auf die harsche Reaktion Erdoğans, der deshalb den deutschen Botschafter einbestellt hat. "Vielleicht muss man da ganz kurz was erklären", sagt Böhmermann dann. "Was die Kollegen von Extra 3 da gemacht haben, also inhaltlich humorvoll mit dem umgegangen sind, was Sie da quasi politisch unten tun, Herr Erdoğan - das ist in Deutschland, in Europa gedeckt von der Kunstfreiheit, von der Pressefreiheit, von der Meinungsfreiheit."

Das ist die Basis, von der aus Böhmermann nun zu dem vorstößt, was in Deutschland verboten ist - Schmähkritik. Und als "praktisches Beispiel" folgt nun das Gedicht, dessen beleidigenden Inhalt gleichsam der didaktische Zweck der Vorführung ist: "Wenn das öffentlich aufgeführt wird, das würde in Deutschland verboten", erläutert Böhmermann ganz fürsorglich.

Das Ganze ist also ein Lehrbeispiel, mit dem Böhmermann das Gedicht in einen "quasi-edukatorischen Gesamtkontext" einbettet, wie der Jurist Alexander Thiele auf verfassungsblog.de schreibt. Böhmermann mache Erdoğan wie auch der Öffentlichkeit plastisch deutlich, dass der Extra-3-Beitrag sehr weit von einer unzulässigen Schmähkritik entfernt sei. Das drastische Anti-Erdoğan-Gedicht markiert für jeden sichtbar die verbotene Zone jenseits der Meinungs- und Kunstfreiheit. Der "Aussagekern", wie das Verfassungsgericht sagen würde, zielt damit also auf ein echtes Problem aus der aktuellen Debatte um Erdoğan.

Darf Böhmermann den türkischen Präsidenten instrumentalisieren?

Damit ist die Arbeit der Juristen freilich noch nicht zu Ende. Denn die wirklich heikle Frage ist: Darf Böhmermann den türkischen Staatspräsidenten für seinen Nachhilfeunterricht in Sachen Meinungsfreiheit instrumentalisieren? Darf er sein "Lehrbeispiel" mit einer Kaskade gröbster Beleidigungen spicken? "Am liebsten mag er Ziegen ficken" ... "Fellatio mit hundert Schafen" ... "pervers, verlaust und zoophil, Recep Fritzl Přiklopil": Darf Böhmermann all das sagen, nur um festzustellen, dass man das nicht sagen darf?

Kommt drauf an, schreibt Thiele: "Ohne jeden Zusammenhang dürfte eine solche Instrumentalisierung dabei in der Tat schwer zu rechtfertigen sein." Würde jemand seine Verbalinjurien einfach nur durch einen plumpen Disclaimer (Das darf man nicht!) absichern wollen, um vor dem Staatsanwalt sicher zu sein, würde das den beleidigenden Charakter nicht beseitigen. Bei Böhmermann indes besteht durchaus ein Zusammenhang zwischen dem Kern der Aussage und dem satirisch überzeichneten Gedicht: Er wirft ein Schlaglicht auf Erdoğans trübes Verhältnis zur Meinungsfreiheit, indem er ihn für einen Moment in die No-go-Area der Meinungsfreiheit mitnimmt - dorthin, wo Injurien der übelsten Sorte wachsen. Es ist also die drastische Replik des Satirikers auf Erdoğans umstrittenen Angriff auf die Meinungsfreiheit.

Aber was ist mit der Menschenwürde? 1987 entschied das Bundesverfassungsgericht über eine Karikatur aus der Zeitschrift Konkret. Sie zeigte den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß als Schwein, das mit einem Schwein in richterlicher Amtstracht kopulierte. Das Gericht wertete dies als Beleidigung, denn "beabsichtigt war offenkundig ein Angriff auf die personale Würde des Karikierten. (...) Gerade die Darstellung sexuellen Verhaltens, das beim Menschen auch heute noch zum schutzwürdigen Kern seines Intimlebens gehört, sollte den Betroffenen als Person entwerten, ihn seiner Würde als Mensch entkleiden." Was unterscheidet das kopulierende Schwein vom Ziegenficker?

Zwei Gründe sprechen für Böhmermanns Gedicht als erlaubte Satire

Sollte der Fall vor Gericht gelangen, dürfte das in der Tat der heikelste Punkt sein. Der Rechtsanwalt und Blogger Thomas Stadler hält auf internet-law.de das Gedicht für persönlichkeitsverletzend, trotz der satirischen Einkleidung: Die Schilderung schwerwiegender Sexualstraftaten und die Gleichsetzung Erdoğans mit den beiden perversen Sexualstraftätern Josef Fritzl und Wolfgang Přiklopil "berührt den Kern dessen, was wir als die Würde des Menschen betrachten".

Trotzdem könnte die Sache am Ende doch als erlaubte Satire eingestuft werden - aus zwei Gründen. Erstens: Die sexuellen Unterstellungen in Böhmermanns Gedicht sind derart krass überzeichnet, dass sie zumindest in diesem ganz konkreten und sehr genau abgezirkelten Kontext womöglich hinter den polit-kritischen Kern der Aussage zurücktreten. "Eine herabsetzende Äußerung nimmt erst dann den Charakter einer Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht", formulierte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1990. Tatsächlich dürfte es Böhmermann nicht um Diffamierung gegangen sein, sondern um Kritik. Und natürlich darum, mit den krassen Formulierungen den Aufmerksamkeitspegel anzuheben.

Und zweitens: Ein hochrangiger Politiker muss auch drastische Kritik aushalten können - schon gar, wenn er, wie Erdoğan, selbst ein "grober Klotz" ist. Ob das Verfassungsgericht in Sachen Strauß-Karikatur heute zur selben Entscheidung käme, ist nicht sicher; man könnte sie, wie es bereits damals hieß, auch so lesen, dass Strauß sich "die Justiz in willfähriger Weise zunutze" mache. Was dann eben eine politische Kritik und keine Diffamierung wäre.

Wie gesagt: Richter Stewarts Einsichten in Sachen Pornografie sind auf Satire eben nicht übertragbar. Was auf den ersten Blick obszön aussieht, kann verfassungsrechtlich trotzdem erlaubt sein. Auch wenn es die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet.

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