Der Fado lebt:Ungestillte Sehnsucht

Portugals Nationalgesang Fado entsteht in der Seele - das ist seine Magie. Die derzeit erfolgreichste Fado-Interpretin Mariza macht den bittersüßen Sehnsuchtskantus nun auch bei der Jugend populär.

Antje Lutz

Es ist nicht möglich, nach Lissabon oder Coimbra zu reisen, ohne dem Fado zu begegnen. Dieser bittersüße Sehnsuchtsgesang tönt aus Autoradios, schaut von Plakatwänden und klingt nachts aus den Fadohäusern der Lissaboner Stadtviertel Bairro Alto, Mouraria und Alfama.

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Kurzes platinblondes Haar zu dunklerem Teint: Mariza macht auch durch ihre Erscheinung auf sich aufmerksam.

(Foto: REUTERS)

Am häufigsten aber sieht man Fado direkt in den Augen der Portugiesen: als eine Melancholie, amalgamiert aus der ungestillten Sehnsucht nach Glück und Größe. Denn in Portugal ist Leidensfähigkeit ein Wert an sich, und so erzählen Fado-Lieder am liebsten die traurigen Geschichten des Lebens.

Ein Fado wird nicht getanzt. Man setzt sich in ein Fadohaus und hört ihn an. Er beginnt mit dem ruhigen Vierviertel-Rhythmus der Viola baixa, der Bassgitarre, dann begleitet die stahlbesaitete guitarra portuguesa wie in einem Duett den Gesang. Der erzählt im spontanen Fado Vadio Alltagsgeschichten und im konzertanten Fado Professional trägt er sogar Gedichte von Camões oder Pessoa vor.

Gute Fadista begeben sich ganz hinein ins Gefühl der Geschichte, verbrennen darin und stehen aus der Asche neugeboren wieder auf. Fado bringt die dunkle Seite des Lebens, vor der man gerne die Augen verschließt, ans nächtliche Licht. Fado, das ist wie Fäden ziehen - Schmerz und Wohltat zugleich.

Eigener Stil

Wer vom Fado spricht, denkt zuerst an Amália Rodrigues, die Diva do Fado, die Göttin des Fado. Sie hat 60 Jahre lang die portugiesische Kultur geprägt. Seit Amálias Tod 1999 sind die heutigen Vertreterinnen und Vertreter dieses Genres ihre Waisen, und nun erweitern Cristina Branco, Mísia, Ana Moura, Madredeus, Camané, António Pinto Basto und Mariza das ehedem feste Repertoire von etwa 300 Fadostücken.

Jeder dieser Fadista hat einen eigenen Stil. Cristina Branco gilt als sanfte Reformerin, die bekanntere Mísia setzt für ihren modern arrangierten Fado ungewöhnliche Instrumente wie etwa Trompeten ein und der sonor auftrumpfende Camané ist nach dem alternden Carlos do Carmo der wohl beste männliche Fadosänger.

Diese teils krassen Unterschiede mag es auch deshalb geben, weil es keine Schulen für Fado gibt. "Wir lernen Fado auf den Straßen oder in den Tavernen, aber wir fragen nicht, 'Wie singt man das?', sondern hören zu und machen es einfach". Sagt Mariza. Die 34-Jährige ist derzeit in Portugal neben Dulce Pontes eine der beliebtesten Fadosängerinnen. Sie verkauft sechsmal mehr Alben als andere Künstler dieses Genres, und geht oft auch außerhalb Portugals auf Tournee - ab Anfang Januar ist sie wieder einmal in Deutschland unterwegs.

Vielleicht ist wehmütige Erinnerung verbunden mit hoffnungsvoller Zukunftserwartung das Lebensprinzip Portugals. Nur, dass es das Schicksal heute mit den Portugiesen besser meint und sie auch ihren Fado folglich nicht mehr ganz so pessimistisch und melancholisch brauchen wie früher. Was Marizas Erfolg erklären hilft.

Grenzverschiebung

Aber Mariza hat nicht nur durch ihre markante Altstimme auf sich aufmerksam gemacht, sondern auch durch ihre Erscheinung, mit dem die in Moçambique geborene und in Lissabon aufgewachsene Sängerin die Grenzen der Fado-Traditionen verschiebt.

Mariza trägt kurzes platinblondes Haar zu ihrem dunkleren Teint, sie gestattet ihrem Fado ein Orchester und wagt es, zu ihrer Musik zu tanzen.

Auf ihrer aktuellen CD "Terra" (Emi) ergänzt sie ihren Fado mit Jazz, Bossa Nova und Flamenco. Obwohl oder gerade weil das für Mariza "kein Jazz, kein Bossa Nova, kein Flamenco", sondern "einfach Musik" ist, bringt sie die Kritiker damit in Schwierigkeiten.

Die begrüßen zwar das Aufbrechen von Klischees, sind aber andererseits über die Abwendung von der Tradition entsetzt. "Ich versuche nicht, irgendetwas zu ändern. Ich zeige nur meinen eigenen Blickwinkel, was ich denke, was Fado sein kann."

Und entzückt damit die junge Generation, der der Nationalgesang bislang als zu antiquiert galt. "Ich lebe in einem neuen Portugal, in einem neuen Jahrhundert, mit einer neuen Generation und ich möchte ihnen zeigen, dass Fado keine alte Sache ist, sondern dass es eine sehr reiche Musik ist, die die Macht hat, Grenzen zu überwinden."

Denn der Fado "ensteht in der Seele. Er entsteht durch Leiden. Er entsteht durch Liebe. Das ist seine Magie. Fado basiert auf den Narben, die man in der Seele hat. Und wenn ich singe, dann reiße ich diese Narben auf, das tut weh und gut zugleich. Auf der Bühne öffne ich meine Büchse der Pandora und zeige, was ich durchgemacht habe. Manchmal weine ich dabei. Und wenn das Publikum weint, dann weil wir Menschen sind, die etwas fühlen."

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