Der Country-Sänger Johnny Cash ist tot:Der Mann in Schwarz

Er tug Schwarz, so sang er, für die Armen und die Verlierer, für die im Gefängnis und alle Vergessenen und natürlich für jene, die Gottes Wort nicht kannten und auch nicht hören wollten. Johnny Cash ist im Alter von 71 Jahren gestorben.

WILLI WINKLER

Im Frühjahr vor fünfzig Jahren hockte ein amerikanischer Nachrichtenoffizier auf dem Lechfeld unter seinen Kopfhörern und entzifferte gleichmütig die Nachricht, die aus dem Osten herübergeweht kam: der große Alliierte und noch größere Menschenschlächter, der Genosse Stalin war gestorben. Der Soldat John R. Cash, gerade 21 Jahre alt, war der Legende nach der erste Mensch im Westen, der die Todesnachricht vernahm. Es wird ihn nicht groß gekümmert haben, ein Commie, nicht weiter der Rede wert, jedenfalls weniger als die Gitarre, auf der der amerikanische Soldat in Landsberg am Lech zu spielen begann.

Der Country-Sänger Johnny Cash ist tot: June Carter Cash mit Ehemann Johny Cash im Jahr 1988. Beide verstarben im Jahr 2003

June Carter Cash mit Ehemann Johny Cash im Jahr 1988. Beide verstarben im Jahr 2003

(Foto: Foto: AP)

Nach seiner Entlassung aus der Army ging er nach Memphis und nahm dort wie Carl Perkins und Elvis Presley bei Sam Phillips seine ersten Platten auf. Seine Herkunft bewahrte ihn vor dem sündigen Rock'n'Roll, lieber predigte er Gottlosen und Sündern. Seine Songs handelten davon, wie einem alles Vertrauen in die Welt abhanden kommt. Wenn er sich hinterher doch noch zu einem Gott bekannte, so war das bestenfalls ein weiterer Verzweiflungsschrei. Der Mann litt vor aller Augen, und nichts und niemand konnte ihm helfen.

So wurde er der legitime Nachfahr von Hank Williams, wurde tablettensüchtig wie er, hurte, soff und nahm eifrig alle Drogen, die jeweils im Umlauf waren, aber er kam immer wieder davon. Vor allem fand er die Frau fürs Leben, die ihn vor dem klassischen Selbstmord auf der Bühne bewahrte. Häufig traten sie gemeinsam auf, sangen (wie in "Jackson", dem Lied aller Ehekrisengeschüttelten) manchmal bezaubernde Duette, aber vor allem schenkte sie ihm das Leben immer wieder, das er so oft aufgab.

Sein Großvater war noch ein Wanderprediger wie der dämonische Robert Mitchum, der in dem Film "Die Nacht des Jägers" über die Dörfer ganz in Schwarz zieht und Liebe und Hass verkündet. Vor allem Hass. Und Zorn. Von Gott und aus der Bibel kam die Kraft, mit der versehen der Enkel später in die Welt hinauszog. Er sah noch mit eigenen Augen die fast bibelferne Zeit, als die Südstaaten von der Baumwolle lebten und sich die Schwarzen wie Tiere hielten. Hinten in Arkansas sammelte er genug Zorn auf die Welt, die auf ihn nicht gewartet hatte. Dennoch wollte er in ihr herumziehen, ihr die böse Botschaft vom Unheil bringen und predigen.

Ich trage Schwarz, sang er, für die Armen und die Verlierer, die auf der hoffnungslosen, der armen Seite der Stadt, für die im Gefängnis und alle Vergessenen und natürlich, denn das vergaß er nie, "für jene, die Gottes Wort nicht kannten und auch nicht hören wollten". Er predigte trotzdem für sie. Gegen Ende seiner Wanderzeit legte der Mann in Schwarz sogar ein bescheidenes Testament nieder, schrieb ein Buch über den Völkerapostel und Urprediger Paulus, betitelt, natürlich: "Der Mann in Weiß".

Schwarz musste er schon wegen seiner so wenig erbaulichen Botschaft tragen, aber dieses mönchische Gewand bezeichnete den Unterschied: "In Nashville trugen sie alle falsche Perlen, Strass, flimmernde Hosen und blinkende Cowboystiefel, das ganze Zeug." Er war anders, er meinte seine Lieder ernst und musste es zeigen. Nur wenn einer über das Gemüt eines Metzgerhundes verfügt, wird ihm nicht das Herz brechen, wenn Tammy Wynette "Stand By Your Man" singt. Johnny Cash hat im gleichen Melos seine Lieder von der Nachtseite Amerikas gesungen.

Als sich Bob Dylan auf seinem ersten Weg nach Innen nach Nashville begab, suchte er nicht den reaktionären Dreck, den man in Robert Altmans Film "Nashville" bestaunen kann, sondern er fand Johnny Cash. Zwar verbreitete sich schnell die Legende, dass Cash Jahre im Knast verbracht hätte, aber hinter Gitter kam er sein Leben lang nur, wenn er für die Gefangenen in St. Quentin spielte. Es waren seine Leute, denen er versicherte, dass wenigstens er sie nicht vergessen hatte. Deshalb brauchte er nicht wie Woody Guthrie den Staub der Landstraße oder das Elend der landvertriebenen Okies, man glaubte ihm auch ohne Botschaft, dass er im Besitz der Wahrheit war und sie auch aussprechen konnte. Im Gefängnis grüßte er gleichermaßen Beschädigte, wenn er den Verurteilten von Mord und Totschlag vorsang und den klassischen Satz formulierte: "In Reno hab' ich einen umgebracht, bloß weil ich sehen wollte, wie er stirbt."

Ein einziges Mal, vor zehn Jahren, habe ich ihn auf der Bühne gesehen und gehört. Es war weit hinten in Amerika, dort, wo die Bundesstaaten Arkansas, Oklahoma und Missouri aufeinanderstoßen, in einem Dorf namens Branson. Dort ist ein Disneyland der Countrymusik entstanden, zahnlos, kraftlos, harmlos, wie es das Genre seit je vorschreibt. Um ihn herum wurde gejodelt und mit angestrengtem Industriefleiß geschrammelt, aber mit ihm hatte es doch nichts zu tun. Er kam vom Land, er kam von hier, aber er hatte mehr erlebt, um sich mit den vertrauten Kitschformeln für violetthaarige, mitklatschsüchtige Weiber zu begnügen. Johnny Cash trat auf die Bühne, und das Klatschen hörte auf. Er kam nicht allein. Seine Frau June Carter Cash (im Mai ist sie gestorben) war bei ihm, ein paar Kinder, Cousins, und am Bühnenrand ein Geistlicher, an den man sich, Johnny Cash wusste doch Bescheid, "bei Alkohol- und anderen Problemen" gern wenden könne.

Schwarz war er, schwarz bis in die gefärbten Haare, und steif stand er da, eine einzige Bühnenkatastrophe. Und dann sang er völlig unbewegt dieses Lied, dieses eine Lied, das seine Frau für ihn und seine Stimme geschrieben hatte: "Ring of Fire". Die mexikanischen Trompeten fallen mit folkloristischem Feuer ein, als wär's die Calypso-Platte, die Robert Mitchum aufgenommen hat, der Bass hampelt sich voran wie eine elektrische Kuh, wieder die Trompeten, und Johnny Cash mit seiner finsteren Stimme, die kaum mehr als einen Ton umfasst, geht immer tiefer, tiefer, tiefer. Es war ein religiöser Augenblick, wie ihn nur die Musik noch erlaubt. Gestern wurde der singende Wanderprediger Johnny Cash mit 71 in Nashville von seinem lebenslangen Leiden an der Welt erlöst.

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