Der Countdown (XII):Geschrumpftes Logo

Der Countdown (XII): Komisch: Großbritannien hat sich für den Brexit entschieden, doch die Europaflagge gewinnt im Königreich an Sichtbarkeit.

Komisch: Großbritannien hat sich für den Brexit entschieden, doch die Europaflagge gewinnt im Königreich an Sichtbarkeit.

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Die Brexiteers haben die Bedeutung des Union Jack als globalisiertes Markenzeichen schon jetzt beschädigt. Doch wie wird die Flagge des Vereinigten Königreichs wohl erst aussehen, wenn Schottland es einmal verlassen hat?

Brexit-Kolumne von Alexander Menden, London

Bald will die britische Regierung die Ausstiegsverhandlungen mit der EU eröffnen. Unser Londoner Kolumnist beschreibt, wie der bevorstehende Brexit jetzt schon den Alltag verändert.

Die Last Night of the Proms, Abschluss der Promenadenkonzerte in der Royal Albert Hall, war die vielleicht letzte allgemein akzeptierte Bastion ungebrochenen britischen Nationalstolzes. "Rule Britannia", "Land of Hope and Glory", und natürlich "God Save the Queen", alles verpackt in eine nostalgische, vaterlandsliebende, dabei aber irgendwie auch ironische und unbedrohliche Feier kurzzeitig aufpolierter imperialer Größe, voll von Partyknallern, Massengesängen und vor allem Fahnen.

Die dominanten Farben, die da geschwungen wurden, waren die der rot-weiß-blauen Union Flag, vulgo Union Jack, obwohl sich immer mehr andere hinzugesellt hatten, darunter nicht wenige schwarz-rot-goldene (Stichwort: Ersatzpatriotismus).

Vergangenen August war die Stimmung anders, die Beflaggung auch. Die Europa-Fahne rang mit dem Union Jack um die Vorherrschaft in der Albert Hall. Es war eine Manifestation der Spaltung, die das Referendum hervorgerufen hat:

Auf der einen Seite die ihre vermeintliche Freiheit feiernden Briten (Arron Banks, Geldgeber der Leave-Kampagne, hatte auf eigene Kosten 10 000 Union Jacks verteilen lassen). Auf der anderen diejenigen, die Theresa May kurz darauf später citizens of nowhere nennen würde.

Bedeutungsverschiebung des Union Jack

Durch den Brexit hat auch der Union Jack eine Bedeutungsverschiebung erfahren. Als eines der erfolgreichsten Markenzeichen der Welt galt er spätestens seit den Swinging Sixties als cool, und garantierte als integraler Bestandteil des britischen Brandings den Verkauf von Kaffeetassen, Geschirrtüchern und Millionen anderer Souvenirs.

Ganz anders das Sankt Georgskreuz, die englische Fahne. Das rote Kreuz auf weißem Grund - einer der drei Bestandteile der Unionsflagge neben dem schottischen Andreas- und dem irischen Patricks-Kreuz - spielte bis in die Achtzigerjahre überhaupt keine Rolle im öffentlichen Leben, bis Skinheads und Hooligans sie als ihr Banner entdeckten.

Das Georgskreuz ist seitdem Symbol der kleingeistigen "Little-Englanders". Der Union Jack dagegen hatte die britischen Inseln hinter sich gelassen, und war, wie die Stars and Stripes, ein globalisiertes Logo geworden.

Früher Touristenkitsch, jetzt der Geist des Brexit

Wie sehr sich das geändert hat, wie gut es den Brexiteers gelungen ist, dieses Symbol mit ihren eigenen Zielen zu besetzen und so wieder auf etwas Engeres zu reduzieren, wurde einem beim letzten Besuch im Peak District klar.

Im Herzen dieses Nationalparks liegt Bakewell, ein malerisches Örtchen, nach dem ein Marzipangebäck benannt ist, und das so ziemlich jedes englische Kleinstadtklischee erfüllt. Eine mittelalterliche Brücke führt über den Fluss Wye, auf dem sich Schwäne tummeln, in der Mitte des hübsch bepflanzten Verkehrskreisels steht ein Weltkriegsdenkmal.

Im Sommer nach dem Referendum waren alle Straßen mit Union Jacks beflaggt, die zudem auf jedem zweiten Ladenschild prangten. Was bis vor kurzem schlimmstenfalls wie Touristenkitsch gewirkt hätte, bekam nun einen unangenehm dumpfen Beigeschmack. Bakewells provinzielle Fish-and-Chips-Selbstzufriedenheit erschien einem plötzlich wie der in ein Bakewell-Törtchen eingebackene Geist des Brexit.

Die Zukunft der Union Flag ist keinesfalls die drängendste Frage, die sich nach dem Brexit stellt. Sie wird auch weiterhin Kaffeetassen und Geschirrtüchern schmücken, wenn auch der Absatz vielleicht etwas sinkt. Es wäre aber schon interessant, zu sehen, was aus ihr würde, wenn Schottland tatsächlich doch noch aus dem Vereinigten Königreich ausstiege. Dann müsste das schottische Andreaskreuz wohl aus dem Union Jack gelöscht werden. Dem Georgskreuz wäre das sicher recht. Es hätte dann mehr Platz.

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