Denkmäler:Zurückhaltung statt Kunst

Eine Gedenkstätte, die ein schwedischer Künstler entwarf, sollte an das Massaker von Utøya erinnern und die Diskussion über das nationale Trauma Norwegens anregen. Doch Anwohner und Regierung haben den Plan gekippt.

Von Silke Bigalke

Es sollte ein Ort werden, der spürbar macht, was nicht in Worte zu fassen ist: den Verlust von 69 Menschen, überwiegend Teenagern, erschossen von dem rechtsradikalen Massenmörder Anders Behring Breivik am 22. Juli 2011. Entsprechend dramatisch hatte der schwedische Künstler Jonas Dahlberg die Gedenkstätte entworfen. Am Ufer gegenüber der norwegischen Insel Utøya wollte er eine Landzunge vom Festland abtrennen und einen dreieinhalb Meter breiten Graben durch den Felsen bis unter die Wasseroberfläche ziehen. Jenseits des Grabens hätten die Namen der Opfer gestanden, unerreichbar für Besucher. Dauerhafter Verlust, ein tiefer Einschnitt, die Unfassbarkeit der Tat, das hätte die Gedenkstätte vermitteln sollen. Sie wird aber wohl nie gebaut werden.

Nach langem Streit um die "Wunde der Erinnerung" möchte die norwegische Regierung nun ein leises Denkmal. Sie hat Dahlbergs Vertrag beendet und so eine neue Diskussion ausgelöst: darüber, welche Rolle Kunst dabei spielen kann, ein nationales Trauma zu überwinden.

"Kunst kann in besonderer Weise dazu beitragen, das Gespräch über traumatische Ereignisse am Leben zu halten", schrieb Jonas Dahlberg in einem Statement nach der Entscheidung in Oslo. Er hatte den Wettbewerb für beide Gedenkstätten gewonnen, an der Insel und im Osloer Regierungsviertel. Dort hatte Breivik, der inzwischen seinen Namen geändert hat, eine Autobombe gezündet und acht Menschen getötet. In Oslo wollte Dahlberg Steine verwenden, die er am Seeufer ausgegraben hätte, und so beide Anschlagsorte miteinander verbinden. Auch daraus soll nun nichts werden, auch einen neuen Künstlerwettbewerb wird es nicht geben. Kritiker monieren, dass die Regierung der Kunst nicht zutraue, der Trauer und Reflexion eine Form zu geben. Bereits im Herbst hatten sich Künstler und Kuratoren aus vielen Ländern in einem offenen Brief für Dahlbergs Entwurf eingesetzt.

Norwegens nationales Trauma sollte dramatisch sichtbar werden - daraus wird nun nichts

Angefangen hatten die Probleme mit der Klage einiger Nachbarn, die die "Wunde der Erinnerung" jeden Tag von ihren Häusern aus gesehen hätten. Unter ihnen waren auch Helfer von damals, die Kinder aus dem Wasser retteten, während Breivik im Utøya-Sommerlager der sozialdemokratischen Parteijugend AUF um sich schoss. Daran wollten die Anwohner nicht täglich durch eine spektakuläre Gedenkstätte erinnert werden, das womöglich auch noch Touristen anzieht. Vergangenen Sommer haben 22 von ihnen geklagt, ein Gerichtsverfahren drohte. Im Februar schlug die Parteijugend AUF vor, die Gedenkstätte an den Kai zu verlegen, an dem die Fähre nach Utøya ablegt. Dort soll nun neu geplant werden - aber von der staatlichen Baubehörde, nicht von der norwegischen Behörde für Kunst im öffentlichen Raum, die die bisherige Planung betrieb.

Klar ist nur, dass das Gedenken "zurückhaltend" sein soll , so steht es in der Mitteilung des zuständigen Ministers. Das Gegenteil also von dem, was Jonas Dahlberg vorgeschlagen hatte. "Was heißt das?", fragt nun der Künstler: "Ich glaube, der Zweck eines nationalen Denkmals ist es, diejenigen, die ihr Leben verloren haben, zu ehren, indem man auf einen fortfahrenden gemeinsamen Dialog über das Geschehene besteht."

Das Gedenken ist in diesem Fall auch deswegen so schwierig, weil der Täter weiterhin präsent ist, seine Tat bisher nicht bereut und aus dem Gefängnis heraus immer wieder mit teils absurden Klagen gegen den Staat auf sich aufmerksam macht. Für Opfer und Hinterbliebene ist das schwer zu ertragen. An sie dachte wohl auch nun die Regierung, als sie den Nachbarstreit beenden wollte.

Jonas Dahlberg hatte mit seinem Entwurf für Oslo die Last der Bewältigung des Verbrechens breiter verteilen wollen. Auf Steinplatten wollte er die Namen aller Menschen gravieren, die am 22. Juli 2011 in Norwegen registriert waren und so deren Gemeinschaft betonen, als einen Ausdruck all dessen, was Breivik angegriffen hatte. Ob dessen Name auch dort hätte stehen sollen, wäre offen gewesen für eine Diskussion. Zu dieser kommt es nun aber nicht mehr.

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