Debütroman von Taiye Selasi:Arrangierte Schicksale

In ihrem Debütroman "Diese Dinge geschehen nicht einfach so" erzählt Taiye Selasi die Geschichte einer Familie aus Ghana. Deren Unglück darzustellen, gelingt der Autorin nur teilweise. Sie erfindet es, kunstvoll, aber eben künstlich. Und konzipiert mal eben den Begriff der "Afropolitans".

Von Tim Neshitov

Die englischsprachige Autorin Taiye Selasi gehört zu den rising stars im internationalen Literaturbetrieb. Salman Rushdie schätzt sie, Toni Morrison erwartet viel von ihr, der Superagent Andrew Wylie hat sie in sein Universum aufgenommen. Sonst vertritt Wylie Autoren wie Philip Roth und Wladimir Nabokov.

Selasi wurde vor 32 Jahren in London geboren. Ihre Mutter, eine Ärztin, stammt aus Nigeria und Schottland, ihr Vater war ein Chirurg aus Ghana. Studiert hat Selasi in Yale und Oxford. In einem Essay für das amerikanische LiP magazine erfand sie vor sieben Jahren den Begriff "Afropolitan", um Lebensläufe wie den eigenen zu beschreiben: Weltbürger mit afrikanischen Wurzeln, die sich in den Metropolen dieser Welt zu Hause fühlen.

Mehr als dieses Essay hatte Taiye Selasi auch nicht veröffentlicht, als Penguin Press, der zweitgrößte Verlag der Welt, vor drei Jahren die Rechte an ihrem unvollendeten Debütroman "Ghana must go" erwarb. Es war ein in der Branche seltener Vertrauensvorschuss. Nun hat Taiye Selasi geliefert. In diesem Jahr erscheint ihr Roman in 15 Ländern, auf Deutsch hat ihn der S. Fischer Verlag unter dem Titel "Diese Dinge geschehen nicht einfach so" herausgebracht.

Es ist ein souveräner Auftritt, der von dieser Autorin in Zukunft viel erwarten lässt. Taiye Selasi schildert das Unglück einer globalisierten, durch Schicksal und eigene Fehler zerrissenen afrikanischen Familie. Ihre Sprache ist klar, melodisch und aufgeladen wie eine knisternde Stromleitung. Gedanken eines Chirurgen: "Wie Dinge von Klippen stürzen. Wie Adair, sein erster Herzstillstand, der erste Patient, den er verlor, bei Sonnenuntergang lachend eingeliefert, tot vor der Morgendämmerung. Das irrsinnige Tempo des Todes. (Oder war es umgekehrt? Das irrsinnige Tempo des Lebens?)"

Selasis Helden sind Afropolitans, weltgewandt und hochbegabt. Wie dieser brillante Chirurg, Kwaku Sai, der Vater der Familie. Kwaku war der Beste seines Jahrgangs an der Johns Hopkins Universität in Baltimore, der renommiertesten Medizinhochschule der Welt, seine Kinder sind: Olu, der Älteste, ebenfalls ein Star-Chirurg, Kehinde, ein international gefeierter Künstler, seine Zwillingsschwester Taiwo, die immer die Beste in der Klasse gewesen war und wunderbar Klavier spielt, und Sadie, die Jüngste, das Baby der Familie, Studentin in Yale. Es wäre aber falsch, diesen Roman als eine literarische Ausführung des Begriffs "Afropolitan" zu lesen. Selasi will mehr. Sie will das ort- und zeitlose Unglück jeder zerrissenen Familie schildern, die Hassliebe, die Verzweiflung, die Versöhnung, den Tod.

Von Weltschmerz erfüllt

Das gelingt ihr jedoch nur zum Teil. Sie beherrscht zwar die Kunst der Spannung und des parallelen Erzählens mehrerer Schicksale, auch ihre Rückblenden sitzen meistens. Aber das Unglück ihrer Helden schält sie nicht aus deren Alltag heraus, wie dies etwa Tolstoj tut in "Anna Karenina". Selasi erfindet und arrangiert das Unglück, künstlich und kunstvoll, als würde sie ein schönes dunkles Ikebana basteln. Vater, Mutter, vier Kinder, alle von anmutigem Weltschmerz erfüllt, alle von der Sehnsucht angetrieben, jemand anders zu sein als sie selbst. Auf vierhundert Seiten schiebt Selasi diese Familie vorsichtig zu ihrem Glück.

Kwaku, der Vater, stirbt gleich am Anfang des Buchs am Herzstillstand, er liegt im Garten eines ungemütlichen Hauses in Ghana. Kwaku ist in diesem westafrikanischen Land geboren, und er ist hierher zurückgekehrt, nachdem seine Karriere in den USA und seine Ehe gescheitert sind. Kwaku musste eines Tages eine 77-jährige Dame mit Blinddarmdurchbruch operieren. Die Frau starb, ihre Familie hatte zu spät den Notarzt gerufen, aber Kwaku wurde trotzdem entlassen.

Die Familie der Verstorbenen spendete regelmäßig Geld an das Krankenhaus, sie forderte Konsequenzen. Jeden Morgen zog Kwaku dann seinen Arztkittel an und tat so, als würde er zur Arbeit fahren, bis sein 14-jähriger Sohn dahinter kam. In einer apokalyptischen Anwandlung verließ Kwaku seine Familie, und als er zurück wollte zu seiner geliebten, stolzen Frau Fola, war es zu spät. Fola war mit den Kindern umgezogen.

Am Ende des Romans, als die Kinder bereits erwachsen und teilweise zerstritten sind, kommt die Familie auf Kwakus Beerdigung zusammen. Sein Tod kittet jene Lebensfetzen, die sein Verschwinden einst hinterlassen hat. Das ist der Plot, die Oberfläche, unter der es brodelt. Einiges an diesem Brodeln ist autobiografisch. Auch Selasis Vater, ein begabter Chirurg aus Ghana, verlies seine Frau, als Selasi und ihre Zwillingsschwester acht waren.

Afrika-Klischees, auch das des willenlosen Mannes, legt Selasi in diesem Roman einem alten Chinesen in den Mund. Dieser Chinese ist der Schwiegervater des jungen Arztes Olu. Olu hat in seinem Leben mit keiner anderen Frau geschlafen außer seiner eigenen. "Warum ist dieser Kontinent immer noch so rückständig, frage ich?", sagt der Chinese. "Es gibt keinen Respekt vor der Familie. Die Väter ehren ihre Kinder und Frauen nicht. (. . . ) Deshalb habt ihr Kindersoldaten und Vergewaltigungen. Wie könnt ihr die Tochter oder den Sohn eines anderen Mannes achten, wenn ihr nicht einmal eure eigenen Kinder achtet."

Olu sagt dem Chinesen, er sei stolz auf seinen Vater Kwaku, den besten Chirurgen auf seinem Gebiet. Aber derselbe Olu - und um diese Verwirrung der Gefühle geht es Taiye Selasi - sagt später, er hasse seinen Vater. "Ich hasse ihn, weil er meiner Mutter wehgetan hat, weil er weggegangen ist, weil er gestorben ist. Ich hasse ihn, weil er allein gestorben ist."

Wie um seine Untröstlichkeit zu unterstreichen, führt die Autorin aus, dass Olu Angst habe, irgendjemanden zu lieben, sogar seine Frau - weil jede Liebe irgendwann ein Ende nehme. Diese etwas scholastische Seelenbremse baut ihm Taiye Selasi zwar filigran ein, aber künstlich wirkt sie trotzdem.

Helden finden Ruhe

Das Unglück der Zwillinge trägt Selasi noch dicker auf. Kehinde und Taiwo verbringen als Teenager einige Monate im Haus ihres nigerianischen Onkels. Vater Kwaku ist gerade gegangen, der reiche Onkel hat der Mutter vorgeschlagen, die Zwillinge könnten in Lagos auf eine tolle Schule gehen, er würde alles bezahlen. Er missbraucht die Kinder, lässt Kehinde die eigene Schwester Taiwo mit dem Finger vergewaltigen. Die Zwillinge finden jahrelang nicht mehr zueinander. Noch schlimmer: Taiwo, eine umworbene Schönheit, ist eifersüchtig auf die eher unscheinbare Sadie, das ewige Baby der Familie. "Und was geschieht mit Töchtern, die von ihren Müttern verraten werden? Sie werden nicht so knuddelig wie Sadie, denkt Taiwo. (. . .) Sie bekommen einen Panzer. Werden hart."

Sadie ihrerseits, die Jüngste, leidet an Bulimie und an sich selbst. Sie versteckt sich auf Toiletten. "Ein perfekter Ort, wirklich, ein Kokon, weit weg von allem. Das spezielle Inseldasein einer Toilette, ein Trost. Die Gleichheit aller Badezimmer, blasse Gelbtöne, blasse Blautöne."

Selasi gelingt das Kunststück, den Leser mit dieser Familie mitleiden zu lassen, auch wenn man nicht immer versteht, warum die Helden gerade leiden. Manchmal sagen sie sich böse Sachen, die sie aber nicht so meinen. Sadie etwa sagt zu ihrer Mutter, sie seien gar keine richtige Familie; Kehinde sagt zu seiner Zwillingsschwester, die sich eine Affäre mit einem Professor gegönnt hat, sie habe sich wie eine Hure verhalten. Man weiß, dass sie sich wieder versöhnen werden, darauf läuft alles hinaus. Und als sie sich versammeln, um Vater Kwaku zu begraben, hat man ein Gefühl, dem man kaum trauen mag: Selasis Helden haben endlich Ruhe gefunden.

Auch Kwaku Sai findet Ruhe, im Gras. Selasi beschreibt seine ärmliche Kindheit, seinen Kampf: "sich zu lösen und zu fliehen, auf dem winzigen Boot, der S.S. Sai, vor sich als Ziel die enorme Weite - und die Kleinheit - eines Lebens ohne Not. Die minimalen Triumphe und Niederlagen des Ichs (Beruf, Familie) und nicht des Staates (zermürbende Arbeit, Bürgerkrieg) - ja, das hätte vollkommen genügt, denkt Kwaku. Geboren im Staub, tot im Gras. Fortschritt. Ferne Ufer erreicht."

Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so. Aus dem Englischen von Adelheid Zöfel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 398 Seiten, 21,99 Euro. An diesem Samstag beginnt Taiye Selasis Lesereise durch Deutschland und die Schweiz.

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