Debütalbum von Lana Del Rey:Femme fatale auf Valium

Lana Del Rey gilt zur Zeit als das größte Versprechen der Popmusik. Nun erscheint ihr Debütalbum. Es ist Musik, die vollständig auf der Höhe der Zeit ist. Doch es ist auch eine erzkonservative Männerphantasie, der ziemlich schnell die Luft ausgeht. Wir hören: die Banalität des Dösens.

Jens-Christian Rabe

Die sechziger Jahre sind eine der großen Wanderdünen des Pop. Sie hat mit Amy Winehouse, Duffy und Adele in den vergangenen Jahren einige Sängerinnen weit gebracht. Das nächste große Ding aus den Sechzigern ist seit einem guten halben Jahr die amerikanische Sängerin und Songwriterin Elizabeth Grant, die am 29. Juni 2011 auf Youtube als "Lana Del Rey" wiedergeboren wurde.

Debütalbum von Lana Del Rey: Feier eines Glamours, den man sofort wehmütig verloren glaubt, selbst wenn man gar nicht weiß, ob es ihn so je gegeben hat: Lana del Rey.

Feier eines Glamours, den man sofort wehmütig verloren glaubt, selbst wenn man gar nicht weiß, ob es ihn so je gegeben hat: Lana del Rey. 

(Foto: Nicole Nodland / oh)

An diesem Tag wurde der Clip zu ihrem Song "Video Games" hochgeladen. Danach ging alles so schnell, wie es inzwischen eben gehen kann. In kurzer Zeit Millionen Aufrufe des Videos und Hymnen einschlägiger Sound-Scouts, offizielle Veröffentlichung des Songs als Single im Oktober, Chartplatzierungen in Europa, Amerika und Australien, in Deutschland sogar der erste Platz der Single-Charts.

Derzeit steht der Song auf dem zweiten. In den USA durfte Lana Del Rey am 15. Januar sogar in der sagenhaften Comedy-Show "Saturday Night Live" auftreten. Die in Lake Placid aufgewachsene 25-Jährige ist damit endgültig das derzeit aufsehenerregendste Versprechen der Popmusik.

Sie trägt monströse glossierte Lippen, auftoupierte Haare, Schlafzimmerblick, falsche Wimpern, French Nails und großen, glitzernden Modeschmuck - bisschen Tussi, bisschen Retro-Diva. Der angeblich selbst zusammengeschnittene Clip zur elegischen Ballade feiert in grobkörnigen neuen und alten Videoschnipseln einen Hollywood- und Jugend-Glamour, den man sofort wehmütig für immer verloren glaubt, selbst wenn man bis dahin gar nicht wirklich sicher war, ob es ihn so je gegeben hat. Perfekt.

Deswegen ist es auch so unwichtig, was an dieser Frau und diesem Projekt eigentlich echt ist - und was womöglich ausgedacht von abgezockten Marktstrategen der Musikindustrie. Schreibt sie ihre Songs wirklich selbst? Sind die cleveren Retro-Clips von ihr? Hat sie von Natur aus Schlauchbootlippen? Ist ihr Vater Millionär? Hat sie in einem Trailerpark gelebt? Und haben nicht die Starproduzenten Guy Chambers (Robbie Williams) und Eg White (Adele) eine entscheidende Rolle gespielt? Und wenn?

Weniger Klavier und mehr Streicher

Viel interessanter ist die Frage, was da noch kommen soll? Auf jeden Fall natürlich erstmal ein ganzes Album: "Born To Die" (Universal). Es erscheint an diesem Freitag. Aber was genau ist darauf eigentlich zu hören?

Los geht es gleich mit der zweiten, Ende Dezember veröffentlichten Single "Born To Die". Es gibt also gegenüber dem Debüt-Hit "Video Games" erst mal nicht viel Neues, nur weniger Klavier und mehr Streicher, Pop als Breitwand-Minimalismus. Letztlich sind beide Songs eng verwandt. Der typische tiefe, verschlafene Gesang Del Reys ist auf "Born To Die" aber vielleicht doch eine Spur zu lahm.

Neu ist der Beat, der "Video Games" ja ganz fehlt. Hier klatscht eine Basstrommel tief und dumpf von unten an das Arrangement. Deutlicher ist die ebenso sparsam eingesetzte, extrem metallisch modulierte Snare-Drum, die während der Verse klingt wie ein Vorschlaghammer, der auf einen Amboss fällt und im Crescendo des Chorus dann wie ein Peitschenknall mit viel Hall.

Angenehm aufgeweckter Sprechgesang

Bei aller Retro-Seligkeit, die auch "Born To Die" überreichlich beschwört, ist es damit doch Musik, die ohne die Bass- und Soundlektionen, die zuerst der Trip-Hop und vor allem der Dub-Step den Pop gelehrt hat, nicht denkbar wäre. Wir hören: informierten Mainstream-Pop, Musik vollständig auf der Höhe der Zeit.

Das gilt noch mehr für "Off The Races", den dritten Song des Albums. Dessen Beat klopft und patscht gleich überraschend heftig los - und das auch noch grandios wacklig, als hätte der Drum-Computer eine Gleichgewichtsstörung gehabt. Lana Del Rey dämmert glücklicherweise nicht mehr so wachkomatös vor sich hin, sondern verlegt sich auf einen angenehm aufgeweckten Sprechgesang. Der Song-Himmel hängt freilich weiter voller breiter Geigen.

Vielleicht einfach mal keine Geigen drüberkleben?

Die Femme fatale auf Valium ist auf dem vierten Stück "Blue Jeans" dann leider wieder zurück. Man kann sich aber gut vorstellen, dass der Song live, weniger schlafmützig aufgeführt, gut funktioniert - vorausgesetzt die Sängerin hat ihr Lampenfieber dann besser im Griff als bei ihrem völlig missglückten "Saturday-Night-Live"-Auftritt. Vielleicht beim nächsten Mal vorher einfach eine halbe Valium-Tablette weniger. Oder lieber mal gar keine Beruhigungsmittel?

Lana del Rey in concert

Lana del Rey bei einem Konzert in Amsterdam.

(Foto: picture alliance / dpa)

Es folgt der Überhit "Video Games", bei dem jetzt noch einmal besonders auffällt, wie geschickt der Gesang sich hier souverän gelangweilt dahinschleppt und eben gerade noch nicht ungelenk lahmt. Das Gewicht der feinen Unterschiede, auf die es gerade im Mainstream-Pop trotz allen Lärms doch fast immer ankommt, fällt hier besonders auf. Das vergleichsweise schnelle Stück "Diet Mountain Dew" erscheint danach eher konventionell, rumpelt aber gut. Ein etwas frischeres Arrangement hätte dem Song sicher nicht geschadet. Vielleicht hätte man auch einfach mal keine Geigen drüberkleben müssen.

"National Anthem" beantwortet dann endlich die Frage, die sich ja bestimmt jeder schon mal gestellt hat: Wie rappt eigentlich eine Femme fatale auf Valium, und muss man das gehört haben? Die Antwort ist einfach: Von Lana Del Rey nicht, Princess Superstar hätte den Song vermutlich gerettet - vorher aber noch Verse wie "Money ist the reason we exist / everybody knows it it's a fact kiss, kiss" gestrichen. Der Rap ist eine ungnädige Kunst. Als Anfänger kann man eigentlich nur verlieren.

Danach geht dem Album ziemlich die Luft aus. Die Atmosphäre ist weiter stimmig, aber der Sound klingt immer mehr nach Synthie-Konserve. Als hätte jetzt jemand schnell fertig werden müssen. "Dark Paradise" könnte fast ein Hit der deutschen Konservenschlager-Königin Helene Fischer sein. Dunkles Paradies. Streicherleim.

"Radio" unterscheidet sich kaum von "Dark Paradise", die markante Stimme ist nur noch ein austauschbares Chart-Hauchen. Jetzt müssen die Streicher die Sache fatalerweise ganz allein zusammenhalten. Auch "Carmen" ist B-Material. Man verpasst nichts, wenn man nebenher lokale Geigenbauer googelt.

Natürlich gibt es schon Deutungen für den Wahnsinn

Auf "Millionen Dollar Man", einem zweitklassigen Bond-Song, hat immerhin die Valium-Queen Lana Del Rey noch einen Auftritt. Oder das, was der Hallvon ihr übrig lässt. Überdeutlich ist jedoch spätestens jetzt, was für eine erzkonservative Männerphantasie hier entworfen wurde. Wir sehen: ein Exemplar aus dem Menschenzoo. Wir hören: eine starke Frau, die so weit sediert wurde, dass sie ihrem Mann nicht mehr gefährlich werden kann. Er kann sich furchtlos mit ihrer Aura schmücken. Schon ein Auto dürfte man in diesem Zustand weder fahren noch verlassen wollen. Geschweige denn: Geige spielen. Zum Schluss: "Summertime Sadness". Dem Titel ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Na ja, ein paar Streicherflächen vielleicht.

Die fleißigen Geschichtsphilosophen des Pop haben natürlich eine schöne Deutung für den Wahnsinn parat: "In den düster und schwül aufgeladenen Szenarios", schreibt der deutsche Rolling Stone in seiner neuen Ausgabe, "bündelt sich das Lebensgefühl einer von Abstiegsängsten und Selbstmitleid gequälten urbanen Mittelschicht".

Sogar Udo Dahmen, der "künstlerische Direktor" der Popakademie Baden-Württemberg, weiß im Focus schon Bescheid: "Del Reys morbider Charme und ihre rückwärtsgewandten Zitate entsprechen dem Lebensgefühl der aktuellen Hipster-Generation." Das klingt sehr gut. Was aber, wenn das nur die schmeichelhaften Erklärungen sind? Was, wenn Lana Del Rey so etwas wie die Pop-Weltformel entdeckt hat? Wenn der Pop also endlich verstanden hat, wie er die allgemeine Nostalgiesucht restlos befriedigen kann?

Dann werden wir feststellen, dass man Geigen nicht essen kann.

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