Debatte um Streitschrift "Der Kulturinfarkt":Lieber ein Streit, der sich lohnt

84 Opern an 81 Orten: Es erscheint wie eine absurde Verschwendung, dass in Deutschland in jedem mittelgroßen Städtchen ein Opernensemble finanziert wird. Wäre es da nicht geboten, einmal so richtig aufzuräumen mit den Subventionen für Deutschlands Museen, Opern und Theater? Vier Herren, seit Jahren in der Kulturpolitik, halten den kulturellen Reichtum für einen Aberwitz und liebäugeln mit dem freien Spiel der Marktkräfte. Doch platte Reformpläne sind keine Lösung.

Jens Bisky

Man könnte auf die Hälfte der Theater verzichten, achtzig, neunzig Museen schließen und die Kulturausgaben halbieren. Die Frage ist nur, ob man das will und was damit gewonnen wäre. Bekommt der Reichtum des insgesamt prosperierenden Landes nicht durch die Fülle der kleinen und mittleren Kultureinrichtungen ein freundliches, sympathisches Gesicht? Der Journalist Ralph Bollmann hat es im vergangenen Jahr erkundet, die Provinz bereist, in der die Mehrheit der Deutschen wohnt: 84 Opern an 81 Orten. Das ist eine so aberwitzige Verschwendung, dass man spontan entzückt ist. Deutsch sein - das heißt, in jedem mittelgroßen Städtchen ein Opernensemble finanzieren. Wie es dabei zugeht, lässt sich in Bollmanns Buch nachlesen.

Semperoper am Abend

Kultursubventionen sind Umverteilungsmaßnahmen zugunsten der akademischen Mittelschicht. Sie profitiert am meisten davon. Aber ist das nicht gut so? Im Bild die Semperoper in Dresden.

(Foto: dpa)

In diesen Tagen erscheint eine Streitschrift, die am kulturellen Reichtum vor allem den Aberwitz sieht und das Kulturleben vor den Gerichtshof des rechnenden Verstandes fordert. Vier Herren, die seit Jahren auf herausgehobenen Posten Kulturpolitik treiben und Politiker beraten, haben ihren Unmut und einige Reformvorschläge zusammengetragen: "Der Kulturinfarkt. Von allem zu wenig und überall das Gleiche" heißt ihre "Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubventionen" (Knaus, München 2012, 287 Seiten, 19,99 Euro).

Die vier Herren sind: der Soziologe Dieter Haselbach, der Direktor der Schweizer Kulturstiftung "Pro Helvetia", Pius Knüsel, der Professor für Kulturwissenschaft und Kulturmanagement, Armin Klein, sowie Stephan Opitz, der in Kiel das Referat für kulturelle Grundsatzfragen im Ministerium für Bildung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein leitet.

Seit im Spiegel ein Vorabdruck aus dem Buch erschien, haben die vier viel Prügel bezogen und Verteidiger des Kulturstaates gegen sich aufgebracht. Die nassforsche Frage, ob die Hälfte des Vorhandenen nicht immer noch viel und möglicherweise ausreichend wäre, nährt den Verdacht, es könnte sich um ein populistisches Manifest handeln. Aber weit gefehlt.

Tischvorlage zur Erarbeitung eines Referentenentwurfs

Kein Feind des notorisch unzuverlässigen Künstlervolks wird aus dem Buch rechten Gewinn schlagen können, da es im Grunde unlesbar ist: schwammig in der Zustandsbeschreibung, unklar in der Polemik, wirr in den historischen Bemerkungen. Der Reformteil taugt bestenfalls als Tischvorlage zur Erarbeitung eines Referentenentwurfs zwecks Einsetzung einer Kommission. Die Autoren liebäugeln mit dem freien Spiel der Marktkräfte. Zum Glück müssen sie nicht vom Schreiben leben, sie könnten dabei leicht verhungern.

Der Kulturbetrieb in Deutschland, so die Behauptung der vier, stehe vor dem Infarkt. Unter dem Schlagwort "Kultur für alle" sei eine gewaltige kulturelle Aufrüstung erfolgt, ohne dass die Verheißungen, die damit verbundenen Hoffnungen Erfüllung gefunden hätten. Die Hochkultur mit ihren teuren Schlachtschiffen - Theater, Oper, Museum - sei vielen trotz aller Öffnungsversuche und Pädagogik immer noch Terra incognita. Während etwa die Zahl der Spielstätten zwischen 1991 und 2007 um 78 Prozent wuchs, die Zahl der Veranstaltungen um elf Prozent, sank die Zahl der Zuschauer pro Theaterveranstaltung um fünf Prozent. Jeder einzelne Besuch sei also teurer geworden, womit ein "Paradox des subventionierten Kulturbetriebs" aufscheint: "Selbst dort, wo er im Blick auf die Nachfrage erfolgreich operiert, wird er immer defizitärer."

Streit darüber und Wirtschaftlichkeitsrechnungen würden von den Kulturschützern, den Hütern der reinen Lehre vom Kulturstaat, verhindert. Selbstverständlich findet sich auch das logisch klingende, aber selten der Überprüfung standhaltende Argument, dass durch Subventionen die Künstler und Kreativen angehalten würden, am Publikum vorbei zu schaffen, an der Nachfrage vorbei zu produzieren.

Bringt wenig, schadet viel, ist banausisch

Dagegen helfen würden, so schreiben die Autoren, unter anderem Verknappung, die Vielfalt schaffe, unterschiedliche Finanzierungsmodelle und eine ordnungspolitisch klare Kulturförderung. Eine neue Kulturpolitik müsse von Mündigkeit, Rationalität, Gleichberechtigung und Widerspruch ausgehen - so weit, so allgemein. Über die sehr unterschiedlichen Erfahrungen beim Umbau der Kultureinrichtungen in Ostdeutschland schweigen die Autoren, obwohl dies das größte kulturpolitische Reformprojekt der vergangenen zwanzig Jahre war.

Buch löst Empörung aus

Schlittert das Land nicht deswegen so erfolgreich durch die Krise, weil seine Institutionen so stabil, zäh und alles in allem produktiv sind?

(Foto: dpa)

Das Buch verschenkt die Gelegenheit, einen Streit anzuzetteln, der sich lohnt. Die Ruhe und das phrasenreiche Einverständnis im Kulturpolitischen sind ja wirklich ein Grund zur Beunruhigung. So viel Stille und Konsens herrscht nur, wo große Konflikte und Probleme zugedeckt werden. Zu reden wäre endlich über eine Kultur des Aufhörens, des Endes auch von Kultureinrichtungen. Die immer gleichen Argumente gegen Theaterschließungen etwa - bringt wenig, schadet viel, ist banausisch - ändern nichts daran, dass viele Kommunen die Mittel für ihre Theater kaum aufbringen können. Ist der Bestandsschutz immer gerechtfertigt und die beste Lösung für die Bürger der Stadt? Muss jedes Festival sein? Braucht Berlin wirklich drei Opernhäuser, womit der Löwenanteil des Kulturetats immer schon verplant ist?

Kultursubventionen sind Umverteilungsmaßnahmen zugunsten der akademischen Mittelschicht. Sie profitiert am meisten davon. Aber ist das nicht gut so? Geht es dem Land nicht eben deshalb gut, weil diese Schicht in der Öffentlichkeit den Ton angibt und Kunst und Kultur dabei als Ressource der Legitimierung und des Streits nutzt? Und schlittert das Land nicht deswegen so erfolgreich durch die Krise, weil seine Institutionen so stabil, zäh und alles in allem produktiv sind?

Wer mit harter Hand aufräumt, vernichtet Unwiederbringliches

Theater, Museen, Bibliotheken sind immer auch geronnene Geschichte. Viel Unlogisches, skurril Erscheinendes lässt sich aus den Entstehungsumständen erklären. Wer hier mit harter Hand aufräumt, vernichtet leicht Unwiederbringliches. Ganz neu anfangen, eine radikale Kur beginnen, den Wandel herbeiführen - das hat in Deutschland stets mehr rhetorischen Glanz als praktischen Erfolg.

Wer kulturpolitisch etwas ändern will, sollte einen Seitenblick auf die Universitäten werfen, die in gut begründeten, gut gemeinten Reformkampagnen durchgerüttelt und neu zusammengeschüttelt worden sind. Sie haben dabei einen großen Teil ihres wichtigsten Kapitals verloren: das Vertrauen und die Liebe vieler, die in ihnen arbeiten, denen die Universität einmal Lebensform war. Dazu ist es auch gekommen, weil Professoren und Studenten Missstände so lange hingenommen haben, bis die plattesten Reformpläne die größte Plausibilität gewannen.

Wer der reichen Kulturlandschaft des Landes ein ähnliches Schicksal ersparen will, sollte das missglückte Pamphlet beiseitelegen und mit der Diskussion beginnen, nicht darüber, ob und wozu Kultur sein solle und wie man immer mehr Geld auftreiben könne, sondern wie kulturpolitisch sinnvoll zu agieren sei.

Das auch den vier Polemikern sympathische und wahrscheinlich erfolgreichste kulturpolitische Instrument ist alt und vital zugleich: die Buchpreisbindung. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, heute ähnlich Gescheites zu entwickeln. Dafür braucht es aber weder Kulturschützer noch Pamphletisten. Nüchternheit und genaue Kenntnis der Details sind auch die größten Tugenden von Kulturverwaltungen. Sie werden durch Sonntagsreden und Krawallmacherei gleichermaßen in den Hintergrund gedrängt.

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