Debatte:Sprache ist wie Abtreibung

Der Widerstand gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes in Polen hatte Erfolg. Die regierende Pis benutzte zur Abwehr der Proteste sogar gendersensible Sprache - ein auch in Polen umstrittenes Thema.

Von Lukas Latz

In den vergangenen Wochen demonstrierten in Polen über hunderttausend Menschen hartnäckig gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes. In Reaktion auf den #CzarnyProtest, die Demonstrationen, bei denen Frauen geschlossen Schwarz trugen, twitterte die Parteizentrale der rechtspopulistischen Regierungspartei Pis am vergangenen Donnerstag: "Die Opposition hat die Polinnen und Polen angelogen. Sie nutzt ein so sensibles Thema wie Abtreibung zu politischen Zwecken aus. Sie hat kein Programm, deshalb spielt sie mit den Emotionen der Frauen. Die Pis ist und wird immer für die Verteidigung des Lebens sein, aber sie erlaubt sich nicht, dafür Polinnen auf die Straße zu führen."

Wegen des beleidigenden Tons war die Partei gezwungen, den Tweet zu löschen. Bemerkenswert daran ist aber auch, dass sich die Pis darin einer gendersensiblen Sprache bedient. Statt wie unter polnischen Konservativen üblich ein generisches Maskulinum für den Plural zu verwenden, ist hier die Rede von "Polinnen und Polen". Dabei gehört der Kampf gegen die sogenannte Gender-Ideologie zum weltanschaulichen Fundament der Partei. "Gender" ist für Politiker der Pis ein ähnlich polemisches Buzzword wie für russische Konservative der Kampfbegriff "Gayropa". Die Gender-Ideologie zerstört in den Augen der Pis die polnische Familie und den katholischen Charakter des Landes.

In den Augen der Pis zerstört die Gender-Ideologie die polnische Familie

Der Ausrutscher ist ein kleiner Beleg dafür, dass es polnischen Feministinnen gelingt, der öffentlichen Debatte ihren Stempel aufzudrücken, obwohl die mit absoluter Mehrheit regierende Pis eine sehr konservative Gesellschaftspolitik forciert.

In Polen hat die Diskussion um gendersensible Sprache deutlich andere Schwerpunkte als die Diskussion in Deutschland. Während sich hierzulande die Debatten meistens um die Verwendung von Pluralformen drehen, ist in Polen die Verwendung des generischen Maskulinums weitgehender Konsens. Nur in politischen Reden wollen Politiker, die in der Regel eher links sind, zuweilen betonen, dass alle Geschlechter angesprochen sind. Dann sprechen sie etwa von "Polinnen und Polen".

Die polnischen Debatten um gendersensible Sprache fokussieren sich seit einiger Zeit auf Berufsbezeichnungen, auf die Feminisierung der polnischen Sprache. Grammatisch weibliche Berufsbezeichnungen sollen in die Sprache eingeführt werden. Für ausgewählte Berufe gibt es solche Bezeichnungen schon länger. Vor allem aber für Berufe, die vor nicht allzu langer Zeit noch von Männern dominiert worden sind, haben sich weibliche Ausdrücke in der Mehrheitsgesellschaft noch nicht durchgesetzt.

Für Ingenieur, Soziologe und Richter ("inżenier", "socjolog", "sędzia") wurden grammatisch weibliche Pendants geschaffen ("inżenierka", "socjolożka", "sędzina").

Die polnische Sprache ist da recht flexibel, die Schaffung neuer weiblicher Berufs- und Funktionsbezeichnungen relativ einfach. Die Sprache lädt wie alle slawischen Sprachen sehr dazu ein, Stammwörter zu modifizieren.

Allerdings ist die Bildung von weiblichen Berufsbezeichnungen auf der Endung "-ka" mitunter problematisch, da diese Bezeichnungen oft einen verniedlichenden Anklang haben. Der Ausdruck "filozofka" ist historisch etwa nicht die Bezeichnung für "Philosophin", sondern die pejorative Bezeichnung für eine vorlaute Dame, die den Herren am Tisch die Welt erklärt. Ein wichtiger Teil des Kampfes um die Akzeptanz weiblicher Berufsbezeichnungen besteht darin, den wertneutralen Gebrauch dieser Ausdrücke zu stärken und den pejorativen Anklang zurückzuweisen.

Katarzyna Kłosinska, Linguistin in Warschau, beobachtet, dass der feminine Ausdruck für Ministerin ("ministerka") vor zehn bis zwölf Jahren anfing, sich auszubreiten. Ob eine Person linksliberal oder rechtskonservativ ist, könne man stets daran erkennen, ob sie grammatisch weibliche Berufsbezeichnungen verwendet oder nicht, fügt Kłosinska hinzu.

Ein Feld, auf dem sich die Debatte um gendersensible Sprache in Polen abspielt, ist Wikipedia. Im Artikel über die polnische Chemie-Nobelpreisträgerin Marie Skłodowska-Curie ist ihre berufliche Identität mehrfach geändert worden: von der grammatisch männlichen Form "chemik" und "fizyk" (Chemiker und Physiker) zu "chemiczka" und "fizyczka" wieder zurück. Barbara Nowacka, eine der Organisatorinnen des #CzarnyProtest, nennt sich selbst "informatyczka" (Informatikerin). Auf Wikipedia ist sie jedoch "informatyk".

Katarzyna Kłosinska meint, dass weibliche Berufsbezeichnungen nicht nur eine Sache der Political Correctness sind. Ihre Verwendung mache die Sprache runder und schöner. Wenn männliche Berufsbezeichnungen auf Frauen angewendet werden, können diese Berufsbezeichnungen nicht dekliniert werden. Das führt dazu, dass die Berufsbezeichnungen wie ein Fremdkörper im Satz stehen. Das hat Folgen für die soziale Anerkennung weiblicher Arbeit. Es lässt Frauen in Führungspositionen deplatziert aussehen.

Katarzyna Kłosinska setzt sich nicht für eine ideologisch gefärbte Sprache ein, sondern für eine präzise, betont sie. "Die Debatte darüber verläuft leider so wie die Debatte über Abtreibung", sagt sie. Die sachlichen Argumente für eine präzise Sprache werden viel seltener gehört als die emotionalen.

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