Debatte:Linkspauschalen

Beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel wird ziemlich einseitig über Griechenland diskutiert. Bis sich schließlich zwei Griechen zu Wort melden und ihrem Land die Opferrolle nicht abnehmen wollen.

Von Till Briegleb

Es war wenigstens ein kleiner Moment der Dissidenz, als der griechische Regisseur Anestis Azas sich am Samstag bei den Rednern der Konferenz "This is not Greece" für ihr "Neoliberalismus-Bla-Bla" bedankte, mit dem sie das Opfer Griechenland so ungemein sympathisch erscheinen ließen. Er kämpfe täglich gegen Korruption und die Bürokratie des griechischen Systems, und da hülfen ihm ideologische Reden nicht weiter. Diese kurze energische Intervention des Regisseurs vom Nationaltheater in Athen machte deswegen so hellhörig, weil in den vielen Stunden der Diskussion davor tatsächlich kein einziger Satz zur Eigenverantwortung der griechischen Demokratie an der Krise gefallen war.

Das ist für eine Konferenz, die sich vorgenommen hatte, gefährliche Stereotypen der deutschen Berichterstattung in diesem Konflikt zu analysieren, natürlich ein trauriges Zeugnis - wenn vielleicht auch typisch. Denn die Phrase vom allbösen Neoliberalismus, der global Freiheit und Demokratie vernichte, ist unter Linken mindestens so ein Stereotyp wie die Schmähung der "faulen Griechen" beim rechten Populismus. Und wie die beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel veranstaltete zweitägige Konferenz an dieser Einseitigkeit litt, ist vor allem angesichts des Pathos etwas peinlich, mit dem hier gefordert wurde, guter Journalismus müsse immer auch die andere Seite hören - womit dann doch nur die eigene gemeint war.

Aber stellt man seine Erwartungen an eine faire Diskussion auf einem Panel mal zurück, wo die meisten Redner und Rednerinnen gleich einleitend von "wir als Linke" sprechen, dann wurde in der Betrachtung dieses Konfliktes natürlich sehr viel berechtigte Kritik formuliert. Etwa dass die Niederlage der Tsipras-Regierung gegen die Gläubiger und ihre politischen Vertreter am 13. Juli eine Niederlage der Demokratie gegen die Finanzökonomie war, die im restlichen Europa erstaunlich lethargisch hingenommen wurde. Oder dass es ökonomisch eine ziemlich irrationale Lösung ist, Schuldenabbau durch Schuldenaufnahme erreichen zu wollen.

Eine Revolte in der EU? Ein kreativer Grieche rät: "Nicht jammern, anpacken!"

Bei den Begriffen, mit denen das Durchregieren angeblich "alternativloser" Finanzinteressen gegen den erklärten Willen einer angeblich souveränen Demokratie benannt wurde, gaben sich die Podiumsgäste wenig zimperlich. Angesichts der fatalen Folgen für die griechische Gesellschaft, die der verpasste Schuldenschnitt bedeutet, sprach bei einer ersten Journalistenrunde der österreichische Autor Robert Misik von "Wirtschaftsrassismus". Der für seine lustig klingenden Pauschalisierungen bekannte Spiegel-Kolumnist Georg Diez nannte die Verhandlungen mit Tsipras und Varoufakis einen "Gangbang". Und der Berliner Aufklärungsjournalist Harald Schumann diagnostizierte in Europa einen "ökonomischen Analphabetismus", der zu "dummem Nationalismus" führt.

Von späteren Rednern wie dem kroatischen Autor Srećko Horvat, der sich so charmant wie luzide mit der "Stinkefinger"-Affäre um Varoufakis befasste, und der griechischen Sozialwissenschaftlerin Athena Athanasiou wurde die Politik der europäischen Finanzminister konsequent als "Staatsstreich" tituliert. Wobei speziell der Vortrag von Athanasiou aus jenem selbstreferenziellen Linkenjargon mit Foucault-, Rancière- und Derrida-Zitaten bestand, bei dem vor allem die große Distanz zu jeder Form realer Politik und ihren menschlichen Konsequenzen zu spüren ist. Und deswegen lieferte die Diskussionsrunde mit den griechischen Kulturvertretern Anestis Azas und Poka-Yio die einzigen Beiträge, die den Konferenz-Titel "This is not Greece" mit einem konkreten Gegenbild versahen.

Während die bekennenden Linken bei dieser Konferenz auf die Frage, was nach der Niederlage der Syriza-Regierung gegen die Schäuble-Linie zu tun sei, wortreich das Fehlen einer europäischen "Internationale" beklagten, die Revolte und Revolution in der EU anzetteln könne, beschrieben Azas und Poka-Yio lieber die kreative und solidarische Stimmung, die von der unsicheren Lage bei den Griechen ausgelöst wird. Der Gründer und Leiter der Athen-Biennale Poka-Yio, der das Festival für zeitgenössische Kunst fast ohne Geld 2015 zum fünften Mal organisiert, brachte seine Philosophie auf die knappe Formel: "Nicht jammern, anpacken!" Und das war in seiner herzlichen Pragmatik das Optimistischste, was ein ökonomischer Analphabet von diesem Medientribunal mit nach Hause nehmen konnte.

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