Debatte in Berlin: Zehn Jahre 9/11:Am Anfang war das Bild

Hat der Terror des 11. September die Welt verändert - oder nur unser Weltbild? Das hängt ganz entscheidend von der Perspektive des Betrachters ab.

Inga Rahmsdorf

Terroristen sind darauf angewiesen, dass über ihre Anschläge berichtet wird. Nicht die unmittelbaren Opfer, sondern erst die Bilder des Anschlags garantieren ihnen die Wirkung. Der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September fand vor laufenden Kameras statt. Die Bilder von den Flugzeugen, die in die Türme flogen, von den brennenden Gebäuden und von Menschen, die fassungslos auf das Geschehen blickten, gingen um die Welt. Sie haben sich nicht nur in das kollektive Gedächtnis eingebrannt, sie markieren auch eine globale Zäsur.

Debatte in Berlin: Zehn Jahre 9/11: Die Anschläge zwangen des Bildern eine neue Bedeutung auf: Regina Schmekens Installation "Manhattan Skyline" im Haus der Kulturen der Welt.

Die Anschläge zwangen des Bildern eine neue Bedeutung auf: Regina Schmekens Installation "Manhattan Skyline" im Haus der Kulturen der Welt.

(Foto: HdKW)

Der 11. September 2001 hat die Welt verändert. Es ist weniger der Terroranschlag selbst als die symbolische Aufladung, die sich in den vergangenen zehn Jahren auf Politik, Sprache und Bilder auswirkte. Dass diese Veränderungen sich nicht in einfache Erklärungsmuster vom "Islam versus Westen" oder von "Demokratie versus Religion" pressen lassen, zeigte ein Symposium im Berliner Haus der Kulturen der Welt.

Bei den Diskussionen der international vertretenen Wissenschaftler, Politiker, Schriftsteller und Journalisten wurde deutlich: Wie die Welt sich seit dem 11. September verändert hat, hängt ganz entscheidend von der Perspektive des Betrachters ab.

Zwei Tage nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatte der damalige US-Präsident George W. Bush in einer Fernsehansprache gesagt: "Wir werden die Freiheit und alles, was gut und gerecht ist, verteidigen." Solch vermeintliche Eindeutigkeiten von dem Guten und Gerechten suggerierten eine Deutungshoheit des Westens, die sich nicht nur beim Einmarsch in den Irak widerspiegelte, sondern auch in dem Blick, den Europa und die USA in den vergangenen zehn Jahren auf den Islam und die arabische Welt gerichtet haben.

Für Leila Ahmeds Forschungsgebiet hatten sich vor dem 11. September nur einige Forscher und Feministinnen interessiert. Die in Ägypten geborene Wissenschaftlerin beschäftigt sich an der Harvard Universität mit dem Thema Frauen im Islam. Nach dem 11. September erklärten die USA und viele europäische Länder muslimische Frauen plötzlich zu einer nationalen Angelegenheit. Staatschefs präsentieren den Kampf gegen den Terrorismus auch als Befreiungskampf für die unterdrückten Frauen in Afghanistan, im Irak, aber auch für die Kopftuch und Burka tragenden Frauen in Europa und den USA.

Dabei bedienten sie sich Argumenten und einer Rhetorik, die noch aus den Kolonialzeiten stammen, kritisierte Ahmed. Frauen im Islam seien so zu einem Synonym für Unterdrückung, Angst und Gewalt geworden, die aus ihrer Unmündigkeit befreit werden müssten.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie das Zeitalter der Bilderflut endet.

Von der Bilderflut zum Nicht-Bild

Die arabischen Revolutionen, an denen viele junge Frauen maßgeblich beteiligt waren, haben dieses Bild widerlegt. Dass der Westen jedoch stur an seinem verzerrten Bild von der unterdrückten Frau festhält, zeigt die Projektion des Titelbilds des aktuellen US-Magazins Atlantic. Darauf ist eine Frau in einer Burka abgebildet, daneben steht die Frage: "Ist dies das Gesicht der arabischen Demokratie?" Es sei Zeit, diese Polemik endlich zu beenden, sagte Leila Ahmed.

Islam und Muslime seien in Europa zwar "nicht dämonisiert" worden, erklärte der Politologe Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Verändert habe sich im vergangenen Jahrzehnt aber die Art und Weise, mit der man auf den Islam blicke.

Für Wissenschaftler sei es schwierig geworden, unterschiedliche Schattierungen zu entwickeln, die sich nicht um Gewalt, Sicherheit und Terror drehen. Als Beispiel führte Perthes die Debatten über Migration an, die man unter wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Dimensionen betrachten kann, die aber nur noch unter dem Sicherheitsaspekt gesehen werde. "Es wird seit zehn Jahren so viel über Sicherheit diskutiert - dabei haben wir in Europa noch nie so sicher wie heute gelebt", sagte Perthes.

Die Definition von Folter

Dass sich nicht nur die Ausrichtung der politischen Debatten seit dem 11. September 2001 verändert hat, sondern auch die politische Sprache selbst, zeigte Kim Lane Scheppele von der Princeton Universität. George Bush habe viele Begriffe verwendet, die wie Kriegsrhetorik klangen, die aber für Juristen keinen Sinn ergeben hätten und nur leere Worthülsen waren. Bei anderen Begriffen habe Bush die Bedeutung geändert, sagte Scheppele. So waren viele Praktiken, die vor dem 11. September noch zur Folter zählten, nach den Terroranschlägen legal - weil Bush die Definition von Folter geändert hatte.

Michael Zürn warnte davor, bei dem 11. September den Fokus auf den Islam zu richten. Es sei falsch, den Terroranschlag als einen Gegensatz zwischen der westlichen Welt und der arabischen Welt zu begreifen, sagte Zürn, der am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die Abteilung zu Transnationalen Konflikten leitet. Der Anschlag habe keinen Kampf der Kulturen offenbart, sondern die Fundamente der politischen Ordnung im Westen erschüttert.

Anders als im Kalten Krieg, habe die Gewalt heute keinen klaren Absender mehr in Form von Nationalstaaten. Zürn forderte daher eine neue Debatte über normative Prinzipien für die Politik.

Für den libanesischen Schriftsteller Elias Khoury endete das Zeitalter, das mit der enormen Bilderflut am 11. September begann, zehn Jahre später mit einem Nicht-Bild - der Leiche von Osama bin Laden. Die US-Regierung hält die Bilder des getöteten Terroristen weiter unter Verschluss. Das eigentliche Ende der Epoche markiere jedoch, mehr noch als die Tötung Bin Ladens, die Revolutionen in den arabischen Ländern, sagte Khoury. Der friedliche Kampf für Freiheit sei die Antwort auf den 11. September 2001.

Der Schriftsteller warnte davor, den Islam als Feind der Demokratie und Moderne zu begreifen. Europa und die USA seien lange genug Komplizen der arabischen Diktatoren gewesen. Die arabischen Revolutionen markierten den Beginn einer neuer Epoche, sagte Khoury. Er sei optimistisch, dass nun eine andere Politik möglich sei als die der vergangenen zehn Jahre.

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