DDR-Jugend:Dekadente Erscheinung

Comiczeichner OL

Olaf Schwarzbach, Prenzlauer Berg, März 2015.

(Foto: Regina Schmeken)

Der Cartoon-Zeichner Olaf Schwarzbach (OL) erzählt seine DDR-Jugend.

Von Hilmar Klute

Seinen 20. Geburtstag will Olaf Schwarzbach bei seinen Freunden im Harz feiern. Er setzt sich in den Zug nach Halberstadt, Kuchen und Wein im Rucksack und dazu ein paar Bücher, in denen es jeweils auf ganz unterschiedliche Weise ums Reisen geht. "Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams und "Deutschland ein Wintermärchen" von Wolf Biermann, dem verfemten Liedermacher, der neun Jahre zuvor aus der DDR ausgebürgert wurde, und der in seinem Poem schreibt: "So gründlich haben wir geschrubbt/ mit Stalins hartem Besen,/ dass rotverschrammt der Hintern ist, der vorher braun gewesen."

Derlei wird im Jahr 1985 in der DDR nicht ausdrücklich als Zuglektüre empfohlen. Natürlich sprechen Olaf Schwarzbach unterwegs in Magdeburg zwei sogenannte Transportpolizisten an - diese Männer haben Leute auf dem Kieker, die sich in der DDR von irgendwoher nach irgendwohin aufmachen, und das ist ja immer verdächtig. Sie fragen Olaf Schwarzbach, was er im Rucksack habe. Eine Bombe, sagt er. Die Polizisten finden das nicht witzig. Sie bitten den jungen Mann zu einem Gespräch, wie sie das nennen. Er muss ihnen in ein leeres Abteil folgen, und dann geht das Verhör los, das dem Wachtmeister Gröbler ziemlich schnell entgleitet. "Irgendetwas in seinem Gehirn schien durchzuschmoren, denn plötzlich warf er mir einen Kugelschreiber an den Kopf, sprang hoch und begann auf mich einzudreschen. Spucke und Fäuste flogen mir ins Gesicht."

In der Aktennotiz des Wachtmeisters schnurrt die irre Prügelei auf einen Satz zusammen: "Die Person Schwarzbach, Olaf, wurde am 20.9.85 durch die Trapo im Vorfeld des Grenzgebietes auf Grund seiner äußeren dekadenten Erscheinung zugeführt." So steht eine Geschichte plötzlich mit zwei Wahrheiten da - in Olaf Schwarzbachs Erinnerungen "Forelle grau".

Olaf Schwarzbach, er nennt sich der Einfachheit halber OL, ist heute ein erfolgreicher Cartoon-Zeichner. Mit den Geschichten über die "Mütter vom Kollwitzplatz" ist er bekannt geworden als eine Art spätmoderner Heinrich Zille, dessen Figuren allerdings keine Drehorgelspieler im Hinterhof sind, sondern Bionade-Kisten schleppende Patchworkväter und ihre spätgebärenden Frauen. "Forelle Grau" beginnt 1989, einige Monate vor dem Fall der Mauer. Olaf Schwarzbach ist ausgereist, er lebt bei einer Tante in München, im Westen, wo er ums Verrecken nicht hinwollte. "Ich dachte, wenn ich schon in der DDR nicht klar komme, dann im Westen erst recht nicht."

Seine Mutter nahm sich das Leben, als er drei Jahre alt war. Warum sie es tat, sagt ihm niemand, über das Schicksal der jungen Frau wird nicht geredet. Als Jugendlicher lässt er sich die Haare wachsen, trägt das "Schwerter zu Pflugscharen"-Button und jetzt wird er natürlich ein interessantes Zielobjekt für die Staatssicherheit, die ihn unter dem Decknamen "Forelle" (eine Assoziation zu Schwarzbach) beschatten und betatschen lässt. Schwarzbach macht eine Lehre als Drucker, und als er seine ersten Comics zeichnet, wird er prompt zum Staatsfeind erklärt, weil seine Zeichnungen als pornografisch eingestuft werden. Er braucht jetzt einen Rechtsbeistand, es gibt in Ost-Berlin nur sehr wenige, die infrage kommen. Der eine, Gregor Gysi, drückt ihm die Daumen, mehr kann der Star-Anwalt nicht tun: "Wenn Gysi mir Glück wünscht, schien ich es nötig zu haben."

Die falschen Fragen gestellt, der Subkultur zu nahe gewesen

"Forelle grau" ist die Geschichte eines Jungen, der nicht deshalb zum Zielobjekt wird, weil er den Staat ablehnt, sondern weil der Staat seine Lebensweise nicht billigt. So wird Olaf Schwarzbach eher intuitiv zum Systemgegner, indem er in der Erziehungsanstalt die falschen Fragen stellt, sich den Subkultur-Szenen in Prenzlauer Berg nähert; Olaf Schwarzbach flicht immer wieder Auszüge aus seinen Stasi-Akten ein. Die Spitzelprosa ist die amtliche Beglaubigung von OLs eigenen, im Lauf der Zeit naturgemäß unscharf gewordenen Erinnerungen. Das Gedächtnis ist kein verlässliches Archiv, jedenfalls nicht so zuverlässig wie die Stasi-Unterlagen-Behörde.

Olaf Schwarzbach: Forelle grau - Die Geschichte von OL. Berlin Verlag, Berlin 2015, 314 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.

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