David Bowie: "Reality":Wie ein Schwitzfleck unter Jaggers Arm <p></p>

Manchmal klingt Bowie auf Bowies neuer CD ganz so, als ob er seine dritten Zähne im Wasserglas vergessen hätte. Doch, nein, halt! Bowie ist natürlich wie immer unschlagbar. Selbst in seinen Urheberrecht geschützten Manierismen.

KARL BRUCKMAIER

Vorne tut es etwas elektronisch und hinten endet es mit ein wenig Geraschel auf der Snare. Da will einer alles, und das in nur 49 Minuten. Beweisen, dass er seine Madonna- und Mirwaïs-CDs gehört hat - die Zunge bohrt sich durch die Backe - und klar stellen, dass hier trotzdem alles irgendwie handgemacht sein könnte und daher per se ehrlich wie ein Schwitzfleck unter Mick Jaggers Arm. Wenn er nur wollte, dero dünnliche Weißheit, der hochrespektable Iman-Schüler David Bowie, wenn er nur wollte. Weil er ja könnte. "Ich könnte jederzeit ein David-Bowie-ähnliches Hit-Ass aus dem Ärmel ziehen, tanzbar, mit tiefen Texten und hohem Kreischen: Am besten, ich platziere es gleich zu Beginn von Reality", seinem 26. Album.

David Bowie: "Reality": Ja doch, Bowie macht auch Reklame. In England für Vittel-Mineralwasser. Und in dem Spot trifft er auf Inkarnationen seiner früheren Selbsterfindungen. Ja doch, auch auf einen Diamond Dog.

Ja doch, Bowie macht auch Reklame. In England für Vittel-Mineralwasser. Und in dem Spot trifft er auf Inkarnationen seiner früheren Selbsterfindungen. Ja doch, auch auf einen Diamond Dog.

(Foto: Foto: Vittel)

So viel Vinyl: David Bowies Karriere findet sich - obwohl er so viel jünger wirkt als ein Wood, Clapton, Dylan - ebenfalls bereits im fünften Jahrzehnt. Zuerst ein Parvenü, dem in den Sechzigern keiner zuhören will, ein drogenbeschleunigter Star in den Siebzigern, ein Ex-Star in den Achtzigern, fast. In den Neunzigern gleicht er einem Souvenirverkäufer am Strand: Ist's nicht diese Brille, dann wird's wohl jenes Mützchen sein. Und, warum nicht, im frischen Jahrtausend präsentiert sich uns Bowie als bester Interpret des eigenen Kanons, umjubelt, immer noch sexy und witzig und klug: Wer außer ihm würde an die Börse gehen, um so zu erwartende Einnahmen aus Rechteerlösen in der Zukunft sofort zu Geld zu machen? Wer außer ihm beamt Konzerte via Internet in Echtzeit um den Globus und zieht damit die Konsequenz aus der Tatsache, dass man bei Großkonzerten eh nur noch auf die Videoleinwände starrt und nicht mehr auf die kleinen Hupfer mit den Instrumenten? Wer sonst war so was von Neuer Markt?

Aber selbst ein David Bowie mag einmal Ziggy sein und einmal ein Diamantenhund und dann wieder ein Kumpel, der in englischen Revolverblättern vor Drogen warnt: Was zählt, sind nicht die vielen Kostümwechsel, was zählt, sind die Konzerte - im Rahmen seiner siebenmonatigen Tour kommt er im Oktober nach Deutschland - und die Platten. Was zählt, ist also die Musik. Und mit "Reality" ist es David Bowie gelungen, falls er dieses Konzept verfolgt haben sollte, alle Höhen und Tiefen des Songschreibermöglichen auszuloten. Der Reihe nach: die Patent-Bowie-Nummer "New Killer Star" hatten wir schon.

Anschließend stellt Bowie mit Jonathan Richmans Worten fest, dass Pablo Picasso niemalsnienicht ein Arschloch genannt worden sei, was bei David B. niemalsnienicht ganz ausgeschlossen werden kann, so bedrängt er das punkrockige Original mit Gitarrensamples, bis jeder gemerkt hat, dass hier einer die Zeichen der Zeit verstanden hat. Zu "Never Get Old" merkt Bowie in jedem, aber wirklich jedem Interview derzeit an, dass der Song ironisch gemeint sei. In "The Loneliest Guy" meint man dann, Bowie habe seinen eigenen Ratschlag in Sachen Altwerden nicht beherzigt, weil er singt, als habe er seine dritten Zähne im Bad vergessen. Und so weiter genörgelt und so fort gemeckert über ältliche Sounds, von sich selbst besoffene Arrangements und einen kaputtproduzierten George-Harrison-Song.

Aber David Bowie würde nicht schon so lange dort oben auf dem Pop-Olymp herumlümmeln, hätte nicht auch eine eher mäßige Platte, die seinen Namen trägt, ihre großen Minuten: "She'll Drive the Big Car" und "Fall Dog Bombs the Moon" halten die Balance zwischen einer formalen Strenge und den urheberrechtlich geschützten Bowie-Manierismen und melden damit ihren Anspruch auf hype-überdauernden Klassikerstatus an. Und "Bring Me the Disco King" mit seinem schön gefälschten Jazz-Ambiente deutet eine Zukunftsperspektive für David Bowie an, wenn er von Fußballarenen wieder genug hat.

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