Datenskandal:Es ist Zeit für digitalen Umweltschutz

Man and woman holding their phones with wifi sign in chalk model released Symbolfoto property releas

Unsere Smartphones setzen permanent Daten und Informationen über uns in die Umwelt ab.

(Foto: imago/Westend61)

So wie einst sorglos Gift in Flüsse gekippt und Treibhausgas in die Luft geblasen wurde, geht die Welt heute mit Daten um. Vier Lösungsvorschläge, die den Raubbau beenden könnten.

Von Adrian Lobe

Die International Data Corporation (IDC) prognostiziert, dass das Datenvolumen bis 2025 infolge des Internets der Dinge auf 163 Zettabyte anschwellen wird. Eine Person wird durchschnittlich 4800 Mal am Tag mit vernetzten Geräten interagieren. Die ad nauseam wiederholte Analogie, Daten seien das neue Öl, die schon immer schief war, weil Daten keine endliche, sondern eine erneuerbare Ressource sind und sich durch Gebrauch nicht verbrauchen, hat durch den Facebook-Datenskandal einen faden Beigeschmack bekommen. Die Weitergabe von zig Millionen Facebook-Profilen an die Analysefirma Cambridge Analytica - wie auch schon zuvor der Yahoo-Hack - offenbart einen Strukturdefekt der Big-Data-Ökonomie: Je mehr Daten im Umlauf sind, desto verwundbarer wird das gesamte Ökosystem.

Egal, ob bei Smartphones oder intelligenten Stromzählern, Nutzer hinterlassen einen riesigen digitalen Fußabdruck, der in irgendwelchen Risikopools oder Datentümpeln namens Serverfarmen landet, wo sie von Algorithmen ausgewertet und möglicherweise gegen sie verwendet werden. Die Implikationen dieser Datenemissionen sind noch gar nicht absehbar. So wie im Industriezeitalter Abfälle von Produktionsanlagen rücksichtslos in Bäche und Flüsse abgeleitet und Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen wurden, werden heute Daten in die Umwelt emittiert, ohne dass man sich über die Langzeitfolgen Gedanken macht.

Die Datengurus sind von der Idee beseelt, in den Datenmengen etwas über das Funktionieren der Gesellschaft (Konjunktur, Krankheiten, Kriminalität) zu erfahren. Das heißt, um noch genauere Analysen zu bekommen, benötigt man noch mehr Daten. Ein Teufelskreis. Die Datenexplosion könnte dazu führen, dass die Modelle unscharf werden und soziale Probleme im Datendunst gar nicht mehr erkannt werden, weil sie vorab als Datenproblem definiert wurden. Die Gesellschaft droht im eigenen Datenmüll zu ersticken. Wäre es nicht klug, im Geiste des Club of Rome über die Grenzen des (Daten-)Wachstums nachzudenken?

Datensparsamkeit ist nicht nur wirklichkeitsfern, sondern auch innovationshemmend

In dem 1972 veröffentlichten Bericht sagten Wirtschaftsexperten um Dennis Meadows, dass das auf Umweltzerstörung und Rohstoffverbrauch gründende Wachstumsmodell westlicher Industrienationen nicht ewig so weitergehen könne. Heute betreiben Tech-Konzerne einen Raubbau an der Ressource persönlicher Daten, von dem klar ist, dass er nicht nachhaltig ist. Bräuchte es so etwas wie kontingentierte Schürfrechte, wo nur bestimmte Dinge verdatet und analoge Reservate (etwa in der Biometrie) ausgewiesen werden? Eine Obergrenze für Daten?

Der Grundsatz der Datensparsamkeit oder Datenminimierung, wie er in der EU-Datenschutz-Grundverordnung verankert ist, weist in die richtige Richtung. Im Bundesdatenschutzgesetz, dessen Neufassung 2009 in Kraft getreten ist, heißt es in § 3a: "Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten und die Auswahl und Gestaltung von Datenverarbeitungssystemen sind an dem Ziel auszurichten, so wenig personenbezogene Daten wie möglich zu erheben, zu verarbeiten oder zu nutzen."

Das Problem ist, dass dieser Grundsatz mit dem Ziel der Technologiekonzerne, möglichst viele Daten zu sammeln und aus den Datenmengen Erkenntnisse zu gewinnen, in Konflikt steht. Der Rechtsanwalt Niko Härting brachte das Dilemma in einem Blog auf den Punkt: "Wenn immer größere Datenmengen in intelligenten Netzen Wege zu neuen Erkenntnissen, zu Innovation und Fortschritt eröffnen, werden die Prinzipien der Datensparsamkeit und Datenvermeidung nicht nur wirklichkeitsfern, sondern innovationshemmend und kommunikationsfeindlich." Datenminimierung bedeute zugleich "Kommunikations- und Informationsminimierung". Das sei "sozialschädlich". Allein, ist es nicht auch sozialschädlich, wenn unter dem Vorwand der Systemoptimierung ein perpetuiertes Profiling von Bürgern betrieben wird und jede Informationsabfrage (etwa Google-Suchen) unter dem Vorverhalt einer strafprozessualen Auswertung steht?

Das Problem ist, dass Tech-Konzerne ähnlich wie die Öl-Multis den Datenextraktivismus ohne Rücksicht auf die Umwelt fortsetzen und Datenschutz (der ja keine Daten, sondern die dahinterstehenden Personen schützen soll) wie eine Barriere wirkt, die den freien Fluss der Informationen behindert. Der rechtskonservative Verfassungsjurist Richard Posner, ein "Chicago Boy" und Bekannter Milton Friedmans, postulierte in seiner 1977 publizierten "Ökonomischen Theorie der Privatsphäre", dass man schon aus ökonomischen Gründen kein Recht haben sollte, "materielle Fakten über sich selbst zu verbergen". Alles müsste transparent und offen sein, um den freien Fluss der Waren und Dienstleistungen zu gewähren.

Den Datenkapitalismus organisieren wie den Handel mit Emissionsrechten

Facebook-Chef Mark Zuckerberg sagte schon vor Jahren, dass Privatsphäre nicht länger eine "soziale Norm" sei. Die "Privatsphäre"-Einstellungen auf Facebook sind lediglich ein Hahn, mit dem man den Datenfluss in einer überwachungskapitalistischen Fabrik regulieren, aber nicht abdrehen kann. Fragen der Privatsphäre oder des Datenabflusses an Drittparteien wie Cambridge Analytica sind in diesem Kontext bloß externe Effekte wie Umweltverschmutzung oder der Klimawandel, die in den Bilanzen der Tech-Konzerne gar nicht auftauchen und für die sie nicht oder nur bedingt geradestehen. Doch müssten Plattformbetreiber für Datenlecks verantwortlich gemacht werden, so wie Ölplattformen für austretendes Öl haften?

Wenn die Emission persönlicher Daten externe Effekte wie Treibhausgase sind, müsste man das Problem freilich auch ökonomisch lösen. In der Wirtschaft gilt das Verursacherprinzip. Gewiss, die Daten produziert der Nutzer, aber es wäre unbillig, dem Einzelnen eine Verantwortung aufzubürden, wo seine Daten landen. Das liegt nicht in seinen Händen, weil er sie im Moment der Produktion bereits abtritt. Vielmehr müssten die Internetkonzerne dafür Sorge tragen, dass die Daten, die sie mit Algorithmen zu Informationen raffinieren, sicher sind. Es gibt schon länger Überlegungen, Technologieunternehmen wie Ölkonzerne zu regulieren und Datenverschmutzung der Umweltverschmutzung rechtlich gleichzustellen.

Erstens: Datenschutz ist eine globale Aufgabe, die alle angeht

Der Datenschützer Marc Rotenberg, Präsident der Datenschutzorganisation EPIC (Electronic Privacy Information Center), sagte schon in den Neunzigerjahren, als der Siegeszug des Internets noch gar nicht absehbar war, in einem Interview mit der New York Times, dass der Schutz der Privatsphäre im Informationszeitalter mehr wie der Umweltschutz im Industriezeitalter zu denken sei. Man könne es nicht lösen, sondern nur managen. Aus dieser Analogie lassen sich vier Schlüsse ziehen.

Erstens: Datenschutz ist eine globale Aufgabe, die alle angeht. Wer Informationen von sich preisgibt, gibt auch Daten von anderen (Freunden und Familie) von sich preis, mit denen wir interagieren und die dies unter Umständen gar nicht wollen. Zweitens: Das gestrige Biedersinnargument "Ich habe nichts zu verbergen" ist genauso egoistisch wie der Spruch "Was geht mich die Umwelt an?", weil es die informationellen Interdependenzen verkennt. Drittens: Jeder sollte darauf achten, wie viel Daten er emittiert. Viertens: Zu viele Daten können das Informationssystem verschmutzen, wie das Problem der Fake News zeigt. Die Inflation der (Meta-)Daten hat dazu geführt, dass wir immer weniger Informationen über die Information haben und Wahrheit entwertet wird.

Diese Überlegungen münden in der Erkenntnis, dass eine rein juridisch verfasste Datensparsamkeit beim Schutz von Persönlichkeitsrechten nicht ausreicht, sondern dass wir in einem Moment, wo das Internet der Dinge allmählich auch den menschlichen Körper ans Netz nimmt (zum Beispiel mit smarten Herzschrittmacher oder smarten Pillen), so etwas wie einen ökologischen Umgang mit Daten brauchen, der a priori überlegt, ob Daten überhaupt emittiert werden müssen oder sie auf digitalen Müllhalden zu unserem Nachteil recycelt werden.

Vielleicht sollte man den Datenkapitalismus wie den Emissionsrechtehandel organisieren, wo jeder Emittent nur eine bestimmte Datenmenge freisetzen darf und Schürfrechte an einer Börse handeln kann. Das hätte über den Charme einer Marktlösung den Vorteil, dass man Datenschutz nicht von der Nutzung, sondern von der Generierung her denkt und ihr Grenzen setzt. Nur so lässt sich langfristig die Integrität von Informationen und Informationsträgern sichern. Selbst wenn nur die Hälfte der menschlichen Information aus dem Medium Körper ausgelesen wird, ist das Konzept der Identität verbraucht - und zwar unwiederbringlich.

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