Datenmissbrauch:"Vertraut uns"

Datenmissbrauch: Hat Facebook „abgeerntet: Christopher Wylie.

Hat Facebook „abgeerntet: Christopher Wylie.

(Foto: Andrew Testa/The New York Times)

Das Netz und der Wilde Westen: Wie die Firma Cambridge Analytica die unrechtmäßig erhobenen Daten von etlichen Millionen Facebook-Nutzern missbrauchte.

Von Julian Dörr

Es ist eine dystopische Vorstellung: Ein paar mehr oder weniger achtsam auf Facebook verstreute Likes können Auskunft geben über das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, die politische Einstellung. Zumindest, wenn man den Algorithmus von Cambridge Analytica benutzt. Das ist der Algorithmus, mit dem die britische Datenanalyse-Firma das Ergebnis der US-Wahl im Jahr 2016 beeinflussen wollte. Cambridge Analytica hat die Daten von Millionen US-amerikanischen Facebook-Nutzern gesammelt, um daraus eine Software zu bauen, die Wahlverhalten vorhersagen und beeinflussen kann. Im vergangenen US-Wahlkampf hatte Cambridge Analytica eng mit dem Team von Donald Trump zusammengearbeitet. Die britische Firma hatte außerdem die Pro-Brexit-Kampagne unterstützt.

Cambridge Analytica sammelt Daten, um damit Persönlichkeitsprofile zu erstellen. So lassen sich Nutzer besonders effektiv mit politischen Botschaften ansprechen - bislang ist allerdings unklar, inwieweit solche zielgerichtete Ansprache tatsächlich Wahlentscheidungen beeinflussen kann. Die Firma wurde von Trump-Unterstützer und Hedgefonds-Milliardär Robert Mercer gegründet. Stephen Bannon, der ehemalige Chefberater des US-Präsidenten, saß im Aufsichtsrat der Firma.

Eine Recherche der New York Times und des britischen Observer zeigt nun, dass Cambridge Analytica die Daten, mehrere Millionen Profile, die sich die Firma in unlauterer Weise angeeignet hatte, trotz Aufforderung von Facebook nicht gelöscht hat.

Der britischen Sonntagszeitung The Observer verriet Christopher Wylie, der Cambridge Analytica bei der Datenakquise unterstützte, wie genau die Firma dabei vorging: "Wir haben Facebook ausgenutzt, um Millionen Nutzerprofile ,abzuernten'. Wir haben dann Modelle gebaut, basierend darauf, was wir über diese Menschen wussten, und ihre inneren Dämonen ins Visier genommen. Das war die Grundlage, auf der das ganze Unternehmen aufgebaut war." Inzwischen ist bekannt geworden, dass Facebook mittlerweile Wylies Account gesperrt hat.

Wylies Kollege Aleksandr Kogan hatte den Zugang zu persönlichen Daten von 270 000 Facebook-Mitgliedern über eine App gewonnen, die Nutzer herunterladen konnten. Die App versprach einen Persönlichkeitstest und bezeichnete sich selbst auf Facebook als "Research-App". Die Nutzer der App gaben Kogan die Zustimmung, auf Informationen wie Wohnort und Likes zuzugreifen. Die App sammelte jedoch noch weitere Daten, zum Beispiel über Facebook-Freunde und Kontakte.

Daraus resultierte ein enormer Datenpool an Profilen, die Kogan schließlich an Cambridge Analytica und Christopher Wylie weitergab. Damit aber brach Kogan die Nutzungsbestimmungen von Facebook, die das Sammeln von Freundesdaten nur erlauben, wenn es zur Verbesserung der Nutzererfahrung dient - und nicht zum Verkauf.

Dokumente, die dem Observer vorliegen, beweisen offenbar, dass Facebook bereits im Jahr 2015 von den Aktivitäten der Firma erfahren, seine Nutzer aber nicht ausreichend über dieses Datenleck informiert hatte. Von Cambridge Analytica, Wylie und Kogan verlangte Facebook demnach, dass die gesammelten Daten unverzüglich zerstört werden. Alle drei bestätigten dies damals, wie New York Times und Observer berichten. Doch den Recherchen der Medien zufolge wurden die Daten dann doch nicht gelöscht.

In einem ersten Schritt hat Facebook neben Wylies Benutzerkonto auch die Accounts von Strategic Communication Laboratories, also der Mutterfirma von Cambridge Analytica, sowie das Profil des Cambridge-Psychologen Aleksandr Kogan gesperrt.

Im US-Kongress hat man sich nach Bekanntwerden der Affäre für strengere Auflagen ausgesprochen, um Facebook besser kontrollieren zu können. Es sei deutlich geworden, dass die Internetdienste sich nicht selbst regulieren könnten, schrieb die Senatorin Amy Klobuchar am Samstag auf Twitter. "Sie haben gesagt, ,vertraut uns'. Mark Zuckerberg muss vor dem Justizausschuss des Senats aussagen", sagte die Demokratin, die selbst im Ausschuss sitzt, über den Facebook-Chef.

Ihr Parteikollege Mark Warner verglich die Lage in der Online-Werbebranche mit dem Wilden Westen. Es sei klar, dass "dieser Markt weiter anfällig für Betrug und durch mangelhafte Transparenz geprägt sein wird, wenn er unreguliert bleibt".

Die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Massachusetts nahm am Samstag Ermittlungen in dem Fall auf. Auch die britischen Datenschutzbehörden kündigten eine Untersuchung darüber an, wie Facebook mit den vielen Daten seiner Milliarden-Kundschaft umgeht. Das größte soziale Netzwerk steht bereits im Zusammenhang mit der Russland-Affäre unter Druck.

Facebook hatte im September eingeräumt, dass in den Monaten vor und nach der US-Wahl etwa 3000 Anzeigen mit polarisierenden Inhalten geschaltet worden seien. Die Auftraggeber säßen vermutlich in Russland. Schon damals forderte man, Konzerne wie Facebook künftig strenger zu regulieren.

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