"Das Wunder von Cordoba"-Inszenierung:Hansi im Fußballglück

Ein wüster Fußball-Derwisch im legendären Spiel gegen die deutsche Fußballnationalmannschaft: Massimo Furlan alias Hans Krankl spielt in Wien "Das Wunder von Cordoba" nach - alleine.

Ingo Petz

"Hansi! Hansi! Hansi!", schallt es von der Ost-Tribüne des Wiener Hanappi-Stadions. Rund 2500 Menschen jubeln einem Mann mit Bauchansatz zu, der nun schon seit mehr als 50 Minuten seine Runden auf dem flutlichtgrünen Spielfeld dreht. Allein, einsam, ohne Ball. Man sieht gleich, dass es hier offenbar um ein Fußballspiel geht, wenn auch auf einer anderen Ebene. Es ist nicht Österreichs Fußball-Nationalheld Hans "Hansi" Krankl, der da im österreichischen Dress der Mannschaft von 1978 über den Platz läuft, angefeuert von den Zuschauern. Es ist der Italo-Schweizer Massimo Furlan, ein 42-jähriger Künstler, der mit einer eigenwilligen Performance an das "Wunder von Cordoba" und dessen Haupthelden Hansi Krankl erinnern will.

90 Minuten zeichnet Furlan die Laufwege, Standpunkte und Tore des wüsten Fußball-Derwischs Krankl im legendären Spiel gegen die deutsche Fußballnationalmannschaft nach. Die Hansi-Rufe wirken in der unwirklichen Atmosphäre dieses Geisterspiels wie ein Mantra, mit dem das Publikum so kurz vor der Europameisterschaft auch den Geist von Cordoba zu reanimieren versucht.

Am 21. Juni 1978 hatten Krankl, Prohaska & Co. die deutsche Fußballnationalmannschaft in der Finalrunde der Weltmeisterschaft in Argentinien mit 3:2 niedergekämpft. Damit waren die Deutschen als amtierender Weltmeister ausgeschieden. Geschlagen von einem Fußballzwerg. Seither gilt dieses Spiel, das in der zweitgrößten Stadt Argentiniens stattfand, nördlich der Alpen als "Schmach von Cordoba", in den Alpen als "Wunder von Cordoba" - vermutlich das einzige Wunder, das der österreichische Fußball je hervorgebracht hat.

Künstlerische Mogelpackung

Furlan alias Krankl hat gerade in der 66. Minute mit einem imaginären Volleyschuss das 1:1 geschossen. "Hansi! Hansi! Hansi!", schallt es wieder von der Tribüne. Weil die meisten Zuschauer natürlich wussten, wann der Ausgleich fallen würde, begann der Jubel bereits, als Furlan gegen den Strafraum stürmte. Viele halten sich Dosenradios an die Ohren. Daraus schallt die Stimme von Edi Finger Junior, dem Sohn der Radio-Legende Edi Finger, die das Cordoba-Spiel mit seinen euphorisierten Kommentaren zum historischen Ereignis machte. An diesem Abend kommentiert der Junior die Erinnerungsschlacht live. "Zwei Tore sind gefallen, drei sind es noch." Alles lacht.

Es ist nicht das einzige Mal an diesem Abend, dass die Realität die Erinnerung schlägt und zu ihrem eigenen Schauspiel macht. Vorher waren schon drei Flitzer auf das Spielfeld gerannt. Die Vermischung von Mythos und Gegenwart ist Teil der bizarren Inszenierung im Rahmen der Wiener Festwochen. Furlan will seine exzentrische Erinnerungssause als Solo-Fußballtheater verstanden wissen. Er hat auch schon Michel Platini gespielt. Bald will er als Jürgen Sparwasser an die 0:1-Niederlage der Bundesrepublik gegen die DDR von 1974 in Halle erinnern. In Interviews brachte Furlan das "kollektive Gedächtnis" und "Fußball als Kinderzimmertraum" als Erklärungs-Fragmente für sein Tun ins Spiel.

Das ist eine künstlerische Mogelpackung. Denn wenn wir etwas von legendären Spielen erinnern, dann sind es die dramatischen Höhepunkte: die Fouls, die vergebenen Chancen, die Tore. Sie spielen wir immer wieder nach, im Geiste, auf dem Bolzplatz, im Kinderzimmer. Aber niemand wird behaupten, dass es normal sei, sich jede einzelne Bewegung eines Spielers zu verinnerlichen.

Von sympathischem Irrwitz

Einem Fußballspieler beim Dauerlauf oder Herumstehen zuzuschauen ist meistens doch ziemlich langweilig. Die Ästhetik eines Fußballspiels entsteht nicht durch einen besonders virtuosen Wunderspieler, sondern sie ist das Resultat des idealen Zusammenspiels einer harmonischen Mannschaft. Fußball ist eben ein Mannschaftssport. Somit zementiert Furlans Schauspiel unfreiwillig auch die Absurdität seines Unternehmens. Künstlerisch ist der Abend der blanke Unsinn, wenn auch beseelt von einem sympathischen Irrwitz. Einem Irrwitz, dem wohl nur ein Land, das sich im fiebrigen EM-Taumel befindet, freudestrahlend folgen kann.

Als Furlan/Krankl in der 87. Minute das lang erwartete imaginäre Tor zum 3:2-Sieg schießt, ist der Geist von Cordoba endgültig los. Die Tribüne tobt, und aus den Radios schallt nicht mehr Edi Finger Junior, sondern der historische O-Ton seines Vaters: "Tooor - Tooor - Tooor - Toooor - Toooor - Tooooooor! I wer' narrisch!" Der Rest des Kommentars geht im explodierenden Jubel unter. Und da wird dann auch einem Piefke ganz schaurig.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: