"Das verlorene Wochenende" von Charles Jackson:Eine Schreibmaschine für einen Drink

Operations At The Jack Daniel's Distillery

"Trinken und weiter trinken bis zur Besinnungslosigkeit; und morgen wieder trinken": Hauptfigur Don Birnam in "Das verlorene Wochenende".

(Foto: Bloomberg)

Eindrucksvolles Porträt eines Alkoholikers: Charles Jacksons Trinkerroman "Das verlorene Wochenende" aus dem Jahr 1944, preisgekrönt verfilmt von Billy Wilder, ist in einer schönen Neuausgabe wiederzuentdecken.

Von Ulrich Rüdenauer

Jackson nahm 1968 per Schlaftabletten eine Abkürzung ins Jenseits, 65 Jahre alt war er da. Heute ist er fast vergessen, und seinen wichtigsten Roman kennen manche höchstens noch, weil Billy Wilder ihn bereits 1946 als Film adaptierte und vier Oscars dafür bekam. Wie eine Reihe anderer großer amerikanischer Autoren und Trinker, man denke an Richard Yates und John Cheever, holt man nun aber dankenswerterweise auch diesen verlorenen Klassiker wieder aus der Versenkung.

Das Buch ist ganz aus der Perspektive eines Alkoholikers erzählt: Don Birnam, ein abgehalfterter, ruhmloser Schriftsteller, hat längst den Punkt erreicht, "wo es immer nur das Eine gab: trinken und weiter trinken bis zur Besinnungslosigkeit; und morgen wieder trinken". Sollte der Whiskey zunächst noch über Schreibkrisen hinweg- und der Kreativität auf die Sprünge helfen, so ist er irgendwann zum einzigen Lebensinhalt geworden.

Birnam, mittel- und aussichtslos, ist bei seinem Bruder Wick untergekrochen; es gibt eine Frau in seinem Leben, Helen, die auch nach Jahren voller Rückschläge ihr Helfersyndrom nicht ganz abschütteln kann und immer wieder neue Anläufe unternimmt, Birnam von der Flasche wegzubekommen. Ein unmögliches Unterfangen. Don agiert trickreich, versteckt seine "Medizin" strategisch an verschiedenen Orten der Wohnung, und das so gekonnt, dass er sie zuweilen selbst nicht wiederfindet.

Selbstdemütigungen und Allmachtsphantasien

Jacksons Roman spielt an einem langen, erschlichenen Wochenende, an dem Don eigentlich mit dem Bruder aufs Land fahren sollte. Er entzieht sich geschickt der Fürsorge seiner Liebsten und bleibt alleine in der Wohnung zurück. So kann er sich für einige Tage ungehemmt dem Suff hingeben. Das ist das Setting für "Das verlorene Wochenende": ein fulminant erzählter, nicht endender Albtraum, der in einer Bar beginnt, auf die Alkoholstation eines Krankenhauses führt, deliriumsartige Zustände für Don bereithält, Selbstdemütigungen und Allmachtsphantasien.

Charles Jackson lässt seinen Helden durch Manhattan taumeln, es ist ein Schwanken und Schwirren, ein einziger Rausch, eine Prüfung und ein großer Selbstbetrug. Das erste Glas am Tag wird noch mit Bedacht hinausgezögert, dann genehmigt Don sich einen Schluck zur Beruhigung, und die Dinge nehmen berechenbar ihren Lauf. Der Alkohol verzerrt die Wahrnehmung, er macht zugleich übermütig und mutig. Pläne für einen Roman werden gefasst, von Glas zu Glas wird das Vorhaben tollkühner und mit jedem weiteren Promillegrad illusorischer. Die Drinks spülen Erinnerungen ins Bewusstsein, die Wirklichkeit wird furchteinflößend und zugleich bedeutungslos.

Prototyp des unbehausten Nachkriegsamerikaners

"Das verlorene Wochenende" von Charles Jackson: Charles Jackson: Das verlorene Wochenende. Roman. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Dörlemann Verlag. 24,90 Euro, E-Book 18,99 Euro.

Charles Jackson: Das verlorene Wochenende. Roman. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Dörlemann Verlag. 24,90 Euro, E-Book 18,99 Euro.

Jackson bleibt dabei treu bei seinem Helden, überlässt ihn gnadenlos seinem Schicksal. Jede Regung und jeder Gedanke werden schamlos protokolliert. Eine Bar-Begegnung bringt die unrühmliche Geschichte seines Uni-Abgangs auf die Theke - angedeutet wird das Techtelmechtel mit einem Mitstudenten. Unterschwellig scheinen Dons homophile Neigungen, gut kaschiert, durchaus mit seinen Alkohol-Exzessen zusammenzuhängen: der Alkohol als Medizin gegen eine verbotene Sehnsucht. Er hilft außerdem zeitweise ganz gut gegen die fatale Erkenntnis, dass man mit Anfang dreißig etwas aus seinem Leben hätte machen sollen, statt auf die Gnade des Bruders angewiesen und haltlos seinem Unbehagen an der Welt ausgesetzt zu sein. Wie eine Tschechow-Figur packt Don die Verzweiflung, ein pathetisches Gefühl, das zur Kläglichkeit zusammenschnurrt, wenn ihn der Tremor durchschüttelt. Jede Faser konzentriert sich auf den nächsten Schluck.

Die eindrücklichste Szene des Romans beschreibt einen schier unmenschlichen Gewaltakt: Am Ende seiner Kräfte kämpft sich Don mehrere Blocks weit durch Manhattan, seine Schreibmaschine unterm Arm, auf der Suche nach einer Pfandleihe, um ein paar Dollars für eine Flasche Whiskey zu ergattern. Da aber Jom Kippur ist, haben die jüdischen Geschäfte geschlossen. Ausgebrannt, leer, zitternd, schwitzend, von Wahnvorstellungen verfolgt, muss er tatenlos kehrtmachen, verloren wie Thomas Manns Hans Castorp im Schneesturm-Kapitel des "Zauberberg" - eine der vielen literarischen Anspielungen in diesem Buch.

Souverän übersetzt und kundig kommentiert

Charles Jackson hat mitten im Zweiten Weltkrieg in Don Birnam nicht nur das eindrucksvolle Porträt eines Alkoholikers gezeichnet, sondern vielleicht sogar schon einen Prototypen des unbehausten, urbanen Menschen im Nachkriegsamerika skizziert: ein Mann, der durch sein Leben stolpert, dem alle Gewissheiten abhandengekommen sind und der durch das Schneegestöber der Wirklichkeit hindurch nicht mehr weiter sieht als bis zu seiner Hand, die gerade noch ein Glas Whiskey zu halten vermag. Die Figuren von Yates und Cheever werden, wenn ihre Träume mit den alltäglichen Erniedrigungen kollidieren, ebenfalls zu Trinkern oder zu Fällen der Psychiatrie.

So reiht sich die Neuausgabe des vergessenen Bestsellers "Das verlorene Wochenende", von Bettina Abarbanell souverän übersetzt und von Rainer Moritz in einem Nachwort kundig kommentiert, wunderbar in diesen neu gewonnenen Nebenkanon der US-amerikanischen Literatur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine wirkliche Wiederentdeckung.

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